WU-Forschung
WU-Projekt widmet sich Vertreibung jüdischer und oppositioneller Studierender nach dem „Anschluss Österreichs“
Ein aktuelles Forschungsprojekt der WU beschäftigt sich mit der Vergangenheit der ehemaligen Hochschule für Welthandel zur Zeit des "Anschlusses Österreichs" und der "Naziherrschaft" in den Jahren 1938-1945. Ziel des Projekts ist es u.a., jene Studierenden, die aufgrund ihres jüdischen Glaubens oder Opposition zum NS-Regime daran gehindert wurden, ihren Abschluss zu machen, zu identifizieren. Den Vertriebenen bzw. Betroffenen wird am neuen Campus eine Gedenkstätte gewidmet.
Der "Anschluss Österreichs" 1938 brachte auch für die damalige Hochschule für Welthandel tiefgreifende Veränderungen mit sich. Reichsdeutsche Gesetze und Bestimmungen traten in Kraft und trafen Hörer/innen jüdischen Glaubens mit voller Härte. Auch Lehrpersonal, das politisch abweichende Meinungen hatte oder gemäß den "Nürnberger Gesetzen" als nicht "rassisch einwandfrei" galt, musste die Hochschule verlassen. Anstelle der ausgeschiedenen Lehrkräfte wurden Professoren von deutschen Universitäten und regimetreue österreichische Wissenschaftler eingesetzt. Obwohl auch der gewählte Rektor Bruno Dietrich (1936-1939) der Partei angehörte, wurde er durch den Führer des NS-Dozentenbundes Kurt Knoll (1939-1944) ersetzt. Dieser wurde 1944 durch Leopold Mayer ersetzt. Ab 1945 übernahm Franz Dörfel die Leitung der Hochschule für Welthandel.
Jüdische Diplomstudierende wurden am Studium gehindert
WU-Professor Peter Berger, Leiter des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte ist gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Johannes Koll damit beschäftigt, die Vertreibung jüdischer Studierender aus den Diplom- und Doktoratslehrgängen aufzuarbeiten. "Leider gibt es keine zentrale Liste aller betroffenen Personen, deshalb erstreckt sich die Recherche auf verschiedene Archive und Datenbanken im In- und Ausland", so Peter Berger. Das Team konnte bereits 33 Jüdinnen und Juden im Diplomstudium ermitteln, denen nach dem "Anschluss" das Weiterstudium und/oder die Ablegung von Prüfungen verwehrt wurden. Bei einer Gesamtzahl von damals 764 (1937/38) bzw. 464 (1938/39) Studierenden entspricht das einem Anteil von 4,3% bzw. 7,1% der Inskribierten. "Über das weitere Schicksal der Vertriebenen sind nur provisorische Aussagen möglich. 20 Personen konnten auswandern bzw. in ihr Heimatland (viele waren polnische Staatsbürger/innen) zurückkehren, acht davon haben den Krieg überlebt. Zu etlichen Personen laufen derzeit noch Anfragen", erläutert Johannes Koll. Einige jüdische Studierende konnten 1938 noch Prüfungen absolvieren bzw. erhielten formlos ein Abgangszeugnis.
Promotionen während der NS-Zeit
Zwei jüdischen Doktoranden wurde trotz positiver Gutachten der Abschluss des Promotionsverfahrens verwehrt, hingegen durften im Juli 1938 13 jüdische Doktoranden ihre Promotion abschließen. Sie wurden aber - im Gegensatz zu den meisten "arischen" Doktorand/inn/en - verpflichtet, ihre Dissertationen drucken zu lassen. Promotionen von jüdischen Studierenden durften außerdem nicht öffentlich sein, die Universitätsangehörigen durften keine Talare und der Pedell nicht das Universitätsszepter tragen. Ansprachen bei der Überreichung des Diploms durch den Rektor waren nicht gestattet. Von der fallweisen Nichtbehinderung des Abschlusses von Promotionen im Laufe des Jahres 1938 versprach sich das Regime, dass die frisch promovierten Juden und Jüdinnen bald darauf das Land verlassen würden. Zwei Personen wurden ihre bereits erlangten akademischen Grade aberkannt, nach Kriegsende wurde diese Entscheidung revidiert.
Projekt wird unter Mithilfe der Öffentlichkeit fortgeführt
Das Projekt über die Vertreibung jüdischer Studierender soll in Zukunft unter Einbezug der Öffentlichkeit mittels Projektwebsite bzw. virtuellem Gedenkbuch vertieft werden. Erfahrungen zeigen, dass sich viele Nachfahren von vertriebenen Studierenden im Anschluss an die Veröffentlichung der Namen ihrer Vorfahren mit zusätzlichen Informationen oder historischen Dokumenten melden. "Derartige Hinweise, vor allem zu Personen, die aufgrund ungünstiger Quellenlage noch nicht eindeutig als Opfer identifiziert werden konnten, helfen bei der Aufarbeitung", erläutert Peter Berger den Start der Website.
Opfern des Nationalsozialismus wird auf Campus Denkstätte gewidmet
Den Opfern der damaligen Zeit wird am neuen Campus eine Denkstätte gewidmet. "Es ist unsere gesellschaftliche Pflicht, das dunkle Kapitel der Vergangenheit, das Teil jeder Universitätsgeschichte ist, aufzuarbeiten. Wir wollen jener Personen gedenken, die aufgrund des Nationalsozialismus vertrieben wurden oder ihr Studium nicht abschließen konnten und nutzen den neuen Campus dazu, unsere Geschichte nicht einfach hinter uns zu lassen", sagt dazu WU-Rektor Christoph Badelt. Die Gedenkstätte wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres feierlich enthüllt. "Das Projekt soll über einen langen Zeitraum betrieben werden, damit die Aufarbeitung sorgfältig fortgesetzt und vervollständigt werden kann. Aus diesem Grund werden wir so rasch wie möglich eine virtuelles Gedenkbuch einrichten, auf dem alle bisher recherchierten Details veröffentlicht werden", so der Rektor weiter.
Rückfragehinweis:
Mag. Cornelia Moll
Pressesprecherin
Tel: + 43-1-31336-4977
cornelia.moll@wu.ac.at
http://blog.wu.ac.at