Viktoria Robertson
Wie können wir digitale Technologien nutzen, um illegale Preisabsprachen aufzudecken? Mit dieser Frage am Schnittpunkt von Recht und Data Science beschäftigt sich Viktoria Robertson, Leiterin der Abteilung für Kartellrecht und Digitalisierung an der WU.
What is Computational Antitrust?…
Wer heutzutage eine neue Waschmaschine kaufen will, findet im Internet fast unendliche Auswahl. Zum Glück gibt es Preisvergleichs-Portale: Mit ihrer Hilfe findet man schnell das gewünschte Modell zum günstigsten Preis. Aber was ist, wenn alle Händler für eine bestimmte Waschmaschine genau den gleichen Preis verlangen? Vielleicht ist das einfach ein Zufall – es könnte aber auch ein Hinweis auf illegale Preisabsprachen sein.
Damit Wettbewerbsbehörden gegen solche Preisabsprachen vorgehen können, müssen sie diese allerdings erst nachweisen. Viktoria Robertson, Professorin für Unternehmensrecht, Kartellrecht und Digitalisierung an der WU, forscht an neuen Methoden, um genau das zu tun – und zwar mit Hilfe von Data Science. Die Daten, die im Internet – etwa auf Preisvergleichsportalen – verfügbar sind, lassen sich nutzen, um verdächtige Preisgestaltung zu erkennen. Dieser neue Zweig des Kartellrechts nennt sich „Computational Antitrust“. Erste Studien in diese Richtung sind vielversprechend – aber es ist noch einiges an Forschung nötig, um das Potenzial von Computational Antitrust für Kartellverfahren voll nutzen zu können.
In der aktuellen Episode von „Meet Our Researchers“ erklärt Viktoria Robertson den Stand der Forschung in dieser neuen Disziplin, in der sie Spitzenforschung betreibt. Nach dem Dreh haben wir sie in ihrem Büro besucht und mehr über ihre Forschung, ihre Faszination für Kartellrecht und ihre Lieblingsorte am Campus WU erfahren.
Viktoria Robertson an ihrem Arbeitsplatz in Gebäude D3: auch eine Professorin im Bereich Digitalisierung verwendet nach wie vor „echte“ Bücher.
Sie forschen und publizieren seit über 15 Jahren zum Thema Kartellrecht. Was fasziniert Sie daran?
Kartellrecht ist so vielfältig! Es geht einerseits ums Eingemachte: Preisabsprachen, Marktmachtmissbrauch und Fusionskontrolle. Aber ganz grundlegend geht es darum, wie wir unser Zusammenleben als Gesellschaft gestalten möchten. Die Wurzeln des Kartellrechts in den USA etwa beruhen auf demokratischen Überlegungen. Da meinte Senator Sherman im Jahr 1890 sinngemäß: Wenn wir keinen Kaiser dulden, warum sollen wir es dann dulden, dass Unternehmen uns beherrschen? Macht braucht Kontrolle, das ist nicht nur in der Politik so, sondern auch in der Wirtschaft.
Computational Antitrust verlangt viel technisches Know-how. Was sind die Herausforderungen bei der interdisziplinären Arbeit am Schnittpunkt von Recht und Data Science?
Interdisziplinäre Forschung fordert uns auf positive Weise heraus. Ich muss Kolleg*innen aus anderen Disziplinen meine Forschungsfragen und meine Methoden näherbringen und die ihren verstehen. Dabei gewinne ich so viele neue Einblicke – in andere Disziplinen, aber auch in mein eigenes Feld. Das erlaubt letzten Endes einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, der über die einzelnen Disziplinen hinausgeht.
Gefragte Autorin: Unter den vielen juristischen Werken in Viktoria Robertsons Büro finden sich einige, die sie selbst verfasst bzw. an denen sie mitgewirkt hat.
Wenn es um Kartellrecht geht, dominieren derzeit die großen Tech-Konzerne die Nachrichten. Wie beurteilen Sie die Vormachtstellung dieser Unternehmen?
Wir alle haben einen Teil unseres beruflichen und sozialen Lebens ins Digitale verlagert, daher ist das eine Frage, die uns alle angeht. Big Tech-Konzerne üben viel Macht mittels der digitalen Plattformen aus, die wir tagtäglich nutzen. Denken wir nur an Onlinesuche, WhatsApp-Nachrichten, Musikstreaming und so weiter. Die Frage ist: Wer kontrolliert diese Macht? Wieviel Information über uns Nutzer*innen benötigt Big Tech, um eine Suchanfrage für uns zu personalisieren? Muss es unser Alter, unsere Herkunft, unseren Ruhepuls und unsere letzten Einkäufe bei Amazon kennen? Und was tut Big Tech mit diesen Informationen wirklich? Das Kartellrecht, aber auch neue Regulierungen wie etwa der Digital Markets Act, sind dazu da, die Ausübung dieser wirtschaftlichen Macht durch Big Tech zu überwachen, und im Bedarfsfall einzugreifen. Hier haben Wettbewerbsbehörden und Gerichte in den letzten Monaten wichtige Signale geschickt, die es nun aber zu intensivieren gilt.
Beschäftigt Sie Big Tech derzeit auch in Ihrer Forschung?
Allerdings. Ich setze mich gerade mit der Frage auseinander, inwiefern die politische Macht von Big Tech, die einen ungerechtfertigten Einfluss auf unsere liberale Demokratie nehmen kann, kartellrechtlich in Angriff zu nehmen ist. Dazu habe ich heuer in Oxford geforscht, und dazu spreche ich im Dezember bei der OECD in Paris.
Außerdem forsche ich zu Schadenstheorien bei digitalen Fusionen. Big Tech versteht es unglaublich gut, innovative Start-ups aufzukaufen und damit künftigen Wettbewerb auszuschalten. Die Frage ist: welche Schadenstheorien können Wettbewerbsbehörden bei der Prüfung solcher Zusammenschlüsse anwenden? Was können wir aus der Rechtsprechung, aber auch aus der Ökonomie hierfür gewinnen? Das ist auch ein Thema, das mich als Non-Governmental Advisor der Europäischen Kommission im International Competition Network beschäftigt.
Ich führe natürlich auch meine Projekte im Bereich Computational Antitrust weiter, wie im Video angesprochen. Die ersten Daten zum Einsatz von unsupervised machine learning für Kartellrechtsscreens liegen schon vor, hier wird es demnächst spannende Ergebnisse geben!
Was schätzen Sie an der WU?
Wir verfügen an der WU über einen einmaligen Campus, der uns alle hier am Prater bündelt und zum Austausch über Disziplinengrenzen hinweg einlädt – es ist inspirierend, in so einem Setting arbeiten zu dürfen. Gäste von ausländischen Universitäten können oft nicht glauben, dass wir als öffentliche Universität so einen Campus haben. Darauf dürfen wir zu Recht stolz sein! Als Mitglied der Forschungskommission des Senats möchte ich außerdem unsere WU Research Encounters besonders hervorheben, die wir heuer gemeinsam mit der Vizerektorin für Forschung, Bernadette Kamleitner, ins Leben gerufen haben. Die Research Encounters regen intern zum wissenschaftlichen Austausch an und stoßen neue Projektideen an. Im November etwa zum Thema Innovation.
Haben Sie einen Lieblingsort auf dem Campus WU?
Das Learning Center von Zaha Hadid – es ist schlicht einmalig und steht bei mir bei jeder Campusführung am Programm. Und da darf dann auch ein Abstecher ins Library Café nicht fehlen.
Zur Person
Name: Viktoria Robertson
Position: Professorin und Leiterin der Abteilung für Kartellrecht und Digitalisierung
Geboren in: Graz
Stationen in: u.a. Hamburg, Zaragoza, Oxford, Brüssel
An der WU seit: 2020