Eine Gruppe von Menschen sitzt im Kreis und redet miteinander

Anton Pichler

Können wir die gesamte Weltwirtschaft mit all ihren Lieferketten in einer Datenbank abbilden? Anton Pichler vom WU Institut für Transportwirtschaft und Logistik sagt Ja. Er hat mit Forscher*innen aus aller Welt eine Initiative gestartet, um genau das zu tun – und unsere Wirtschaft damit robuster und nachhaltiger zu machen.

Video The challenges of mapping global supply chains | Meet Our Researchers: Anton Pichler

The challenges of mapping global…

Die globale Wirtschaft besteht aus mehr als 300 Millionen Unternehmen, die durch ein Lieferketten-Netzwerk mit insgesamt 13 Milliarden Verbindungen miteinander verknüpft sind. Lange Zeit war es unvorstellbar, diese weltweiten Geld- und Warenflüsse in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu analysieren – bis jetzt.

Anton Pichler vom WU Institut für Transportwirtschaft und Logistik hat gemeinsam mit Forscher*innen aus aller Welt einen Denkanstoß in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht: Wenn Forschung, Regierungen und internationale Organisationen zusammenarbeiten, wäre es erstmals möglich, eine Karte der globalen Wirtschaft mit einem Großteil ihren Lieferketten zu erstellen. Eine solche Karte würde uns wertvolle Einblicke in die globale Wirtschaft geben und es uns ermöglichen, sie robuster, fairer und nachhaltiger zu machen.

In der aktuellen Folge von „Meet Our Researchers“ erklärt Anton Pichler, wie Digitalisierung und Big Data uns diese neuen Möglichkeiten in der Forschung ermöglichen. Wie es dazu kam, dass er sich für eine globale Forschungsinitiative einsetzt, haben wir ihn beim Gespräch in seinem Büro gefragt.

Foto von Anton Pichler in Gebäude D1

Anton Pichler in den Räumlichkeiten des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik in Gebäude D1: „Ich habe das Glück, Teil eines tollen Teams zu sein, in dem man unterstützt wird und eine angenehme Atmosphäre herrscht.“

Es kommt nicht alle Tage vor, dass man als Erstautor einen internationalen Aufruf in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht. Wie kam es dazu?

In den letzten Jahren habe ich in verschiedenen Forschungsteams mitgewirkt, die sich mit dem Aufbau granularer Wirtschaftsmodelle bis auf die Ebene einzelner Unternehmen beschäftigten. Dabei ist das Ziel, heterogene makroökonomische Effekte besser abzubilden, als das mit aggregierten Modellen möglich ist. Um derart detaillierte Modelle zu entwickeln, bedarf es allerdings besserer Daten auf der Ebene der Unternehmen und deren zugrundeliegender Lieferkettenstruktur. In einigen Ländern gibt es solche Daten und wir sind in der Lage, einen „proof of principle“ zu erbringen, der das Potenzial dieser Ansätze aufzeigt.  

Um den Austausch und die Zusammenarbeit in dieser Community zu fördern, war ich in den vergangenen Jahren in die Organisation von Workshops zu Unternehmensproduktionsnetzwerken involviert. Dort wurden die neuesten Entwicklungen in Bezug auf Daten und Modelle präsentiert und es gab die Gelegenheit, sich mit anderen Forscher*innen zu vernetzen. Nach drei Auflagen dieses Workshops in Wien und einer in Cambridge, wird die fünfte in diesem Jahr in Oxford stattfinden. Dabei lässt sich gut erkennen, dass sich dieses junge Feld schnell weiterentwickelt und eine größere Forschungsagenda im Entstehen ist.

Wie waren die Reaktionen auf diesen Artikel?

Es haben sich seither einige neue Kooperationen gebildet und verschiedene Forschungsinstitute haben sich vernetzt. Auch Vertreter verschiedener staatlicher statistischer Institute waren bei unseren Workshops und es wurden grenzübergreifende Projekte in Angriff genommen. In unserem Artikel betonen wir die bedeutende Rolle, die die Politik in diesem Zusammenhang spielen könnte. In einigen Ländern wurden zum Beispiel effizientere Steuererhebungsprozesse eingeführt, was zu einer viel besseren Datenlage und Steuerdisziplin führte. Mit diesem Artikel wollten wir auch für diese Vorteile ein Bewusstsein schaffen.

Seit dem Artikel wurden wir eingeladen, die Relevanz dieses Themas in unterschiedlichen Kontexten zu erklären. Zum Beispiel haben wir in einem SUERF Policy Brief die Vorteile für Zentralbanken und die Geldpolitik näher beschrieben. Auch im Rahmen von Think20, einer offiziellen Engagement Gruppe der G20, haben wir die Bedeutung von granularen Daten für ein besseres Verständnis von Klimawandel-Folgen beschrieben.

Insgesamt passiert sehr viel auf diesem Gebiet, da auch Organisationen wie die OECD Initiative ergriffen haben und das gesamte Forschungsfeld expandiert. Wir sind bestrebt, diese Gruppen miteinander zu vernetzen, weil es sich hierbei um wichtige Grundlagenforschung mit großem Potential für bessere Modelle in der Zukunft handelt.

Foto von Anton Pichler vor seinem Whiteboard

Im Reich der Zahlen zuhause: Anton Pichler hat Quantitative Science an der WU studiert und anschließend einen PhD in Mathematik an der Universität Oxford gemacht.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung auch sonst hauptsächlich mit Lieferketten. Was fasziniert Sie so daran?

Für mich ist die Analyse von komplexen Firmennetzwerken vergleichbar mit der Kartierung eines bisher unerforschten Gebiets. Durch die Interaktionen von Unternehmen entsteht eine Netzwerkstruktur, die ein tieferes Verständnis der Güter- und Geldströme ermöglicht – eine Art Landkarte unserer Wirtschaft.

Diese Netzwerkstrukturen sind für mich ein zentraler Baustein, um zu verstehen, wie lokale Interaktionen zu unterschiedlichen makroökonomischen Effekten führen, die wiederum Entscheidungen auf der Mikroebene beeinflussen. Lieferketten bieten also wertvolle Einblicke, um die Funktionsweise der Wirtschaft als Ganzes besser zu verstehen.

Ich denke, da gibt es Parallelen zu anderen Disziplinen. Zum Beispiel werden in der Biologie Mikroskope genutzt werden, um Moleküle und ihre Wechselwirkungen sichtbar zu machen und dadurch die Mechanismen und Evolution von Organismen zu entschlüsseln. Ebenso wird eine bessere Abbildung lokaler Interaktionen von Unternehmen dazu beitragen, wirtschaftliche Dynamiken besser zu verstehen.

Seit wann sind Sie an der WU?

Ich war schon als Student an der WU, wo ich den Master in Quantitative Finance absolviert habe. Das war auch die ideale Vorbereitung für den darauffolgenden PhD in Mathematik an der Universität Oxford. Nach vier Jahren Oxford bin ich mit einem James S. McDonnell Fellowship wieder zurück nach Wien an den Complexity Science Hub. Seit Herbst 2023 bin an der WU am Institut für Transport und Logistik, wo ich im Bereich Supply Chain Analytics tätig bin.

Portraitbild von Anton Pichler

Licht tanken auf der Terrasse von Bürogebäude D1: „Von hier aus kann man wunderbar Sonnenuntergänge beobachten.“ 

Wie gefällt Ihnen die WU als Arbeitsplatz?

Die gebotene Infrastruktur ist erstklassig, und der WU-Campus zählt auch im internationalen Vergleich zu den besten. Zudem habe ich das Glück, Teil eines tollen Teams zu sein, in dem man unterstützt wird und eine angenehme Atmosphäre herrscht.

Haben Sie einen Lieblingsort am Campus WU?

Leider habe ich meistens nicht genug Zeit, die vielen schönen Orte an der WU zu genießen, weil ich dafür zu oft mit Terminen durchgetaktet bin. Erwähnen kann ich aber auf alle Fälle die Terrasse in unserem Bürogebäude, D1, von der aus man wunderbar Sonnenuntergänge beobachten kann.