Karin Heitzmann
Was ist Armut – und wie kann man sie messen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Karin Heitzmann. Denn Armut hat viele Facetten und kommt in ganz unterschiedlichen Ausprägungen daher, auch in einem reichen Land wie Österreich.
Wie kann man Armut messen? | Meet…
Die Leiterin des WU Forschungsinstituts Economics of Inequality forscht seit fast drei Jahrzehnten zum Thema Armut. Für den Sozialbericht 2024 des österreichischen Sozialministeriums hat sie sich damit befasst, wie wir unseren Sozialstaat armutsfest machen können und verschiedene Empfehlungen erarbeitet. Diese reichen von einer Arbeitsplatzgarantie – die ebenfalls am INEQ-Institut mit einem vielversprechenden Pilotprojekt erforscht wurde – bis zu einer breit angelegten Diskussion darüber, ob bestimmte Leistungen als Grundversorgung gesehen werden und allen Menschen unabhängig von ihrem Einkommen zur Verfügung gestellt werden sollen.
In unserer neuen Episode von „Meet Our Researchers“ erklärt Karin Heitzmann, auf welche verschiedenen Arten man Armut definieren kann – und wie viele Menschen in Österreich davon betroffen sind. Was sie bei ihrer Forschung antreibt, woran sie derzeit arbeitet und wo auf dem Campus WU sie am liebsten ihre Zeit verbringt, haben wir außerdem bei einem kurzen Besuch in ihrem Büro erfahren.
Karin Heitzmann vor dem Forschungsinstitut „Economics of Inequality“, das sie seit 2015 leitet: „Ich genieße die vor Ideen sprudelnde Dynamik meiner jungen Kolleginnen und Kollegen: Das steckt an!“
Das Thema Armut ist eine Konstante in Ihrer Arbeit als Forscherin. Was fasziniert Sie daran?
Ich habe Sozialpolitik studiert, und Armut ist ein Kernbereich der sozialpolitischen Forschung. Das Vorliegen von Armut sagt nämlich auch etwas über die Qualität und Effektivität eines Sozialsystems aus. Wenn wir es nicht schaffen, absolute und relative Armut einzudämmen, zeigt das, dass wir Lücken in unserem Sozialsystem haben. Denn wir leben in einem Land, in dem es eigentlich keine Armut geben müsste.
Was möchten Sie mit Ihrer Forschung bewirken?
Ich möchte jedenfalls Forschung machen, die relevant ist. Mich interessieren Themen vor allem dann, wenn ich das Gefühl habe, da fehlt uns noch Wissen dazu – da kann man etwas beitragen und Vorschläge machen, um Lücken im Sozialsystem zu schließen. Ich will Armut aber auch einfach für mich selbst verstehen: Wer ist warum armutsgefährdet? Welche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt es dabei? Welche Lebensentwürfe und -risiken beeinflussen Armut und wie wird das über Generationen weitergetragen? Bei all diesen Fragen habe ich schlicht ein persönliches Erkenntnisinteresse. Ich bin neugierig, so wie alle Forscherinnen und Forscher.
Welche Erfolge hatten Sie dabei?
In der österreichischen Forschung zu Armut haben wir dazu beigetragen, ein bisschen mehr Licht in die Dunkelheit zu bringen und besser zu verstehen, wer davon betroffen ist und warum. Ich kooperiere oft mit Kolleg*innen in Mixed-Methods-Settings, um hinter die blanken Zahlen zu blicken. Und was ich gut kann, das sage ich ganz unbescheiden, ist, diese Komplexität gut und verständlich zu erklären und auch außerhalb der wissenschaftlichen Community in relevante Kreise zu bringen: in die Verwaltung, in die Politik, in Sozialorganisationen, aber auch zu den Armutsbetroffenen selbst, beziehungsweise in die Gesellschaft an sich.
Ein Bücherstapel in Karin Heitzmanns Büro: Derzeit arbeitet sie an der Neuauflage eines Lehrbuchs zu Sozialpolitik und ist mit entsprechend viel Lektüre eingedeckt.
Woran forschen Sie derzeit?
An mehreren Dingen. Einerseits arbeite ich gerade mit meinen Kollegen August Österle und Christoph Badelt an einer Neuauflage der „Grundzüge der Sozialpolitik“, das ist unser Lehrbuch zur Sozialpolitik, das wir ab dem kommenden Sommersemester dann auch in der neuen Spezialisierung „Soziale Sicherheit und Wohlfahrtssysteme“ innerhalb des BAWISO-Studienzweigs WUPOL (Wirtschaft-Umwelt-Politik) verwenden werden. Außerdem arbeite ich an Artikeln, in denen es um Armut in spezifischen Familientypen geht. Ein weiteres Projekt dreht sich darum, wie wir die Multidimensionalität von Armut besser darstellen können. Und dann gibt es ein Projekt, auf das ich mich besonders freue: da geht es um Zeitarmut. Wir machen eine Analyse der aktuellen Zeitverwendungsstudie, bei der ich mir gemeinsam mit Kolleg*innen anschauen werde, wie Zeitarmut mit anderen Formen von Armut korreliert. Wir verknüpfen dazu die Zeitverwendungserhebung mit weiteren Datenquellen, um zu sehen, wie Zeitarmut beispielsweise mit Einkommensarmut zusammenhängt.
Sie sind schon fast 30 Jahre an der WU. Was schätzen Sie an unserer Universität?
Die Infrastruktur der WU ist sensationell. Ich habe in meiner Karriere viele Unis kennengelernt, und da sind wir wirklich speziell: Was die Räume oder die IT angeht, die Bibliothek oder die Weiterbildungsprogramme: da ist die WU mehr als gut aufgestellt. Das schätze ich sehr. Und: Dass an einer Wirtschaftsuni viel zur Verteilung generell und zur Armut im Speziellen geforscht wird, ist eigentlich logisch, aber im Vergleich doch unüblich – und macht uns besonders.
Haben Sie einen Lieblingsort auf dem Campus WU?
Es klingt vielleicht komisch, aber: mein Büro. Weil es ein wunderbarer Arbeitsplatz ist. Ich bin zudem gerne am INEQ im Gebäude D3 und genieße die vor Ideen sprudelnde Dynamik meiner jungen Kolleginnen und Kollegen: Das steckt an!
Zur Person
Name: Karin Heitzmann
Position: Leiterin Forschungsinstitut INEQ, außerordentliche Universitätsprofessorin
Alter: 54
Geboren in: Lienz, Österreich
An der WU seit: 1995