Eine Gruppe von Menschen sitzt im Kreis und redet miteinander

Sara Matrisciano-Mayerhofer

Video What makes a city smart? - WU Vienna

What makes a city smart? - WU…

Was heißt hier smart? Bau­stel­len­kom­mu­ni­ka­ti­on von der See­stadt bis „Smartseil­le“

Viele Städte wollen heute „smart“ werden – mit digitalen Diensten, vernetztem Verkehr und effizienter Energieversorgung. In der Kommunikation setzen Smart-City-Bauprojekte  aber weniger auf Technologie und eher auf Lebensfreude und Natur. Woher kommt dieser Kontrast? Das hat die Linguistin Sara Matrisciano-Mayerhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) erforscht.

Die Smart City ist ein Leit­mo­tiv mo­der­ner Stadt­ent­wick­lung: Di­gi­ta­le Tech­no­lo­gien sol­len unter an­de­rem dabei hel­fen, En­er­gie zu spa­ren, den Ver­kehr bes­ser flie­ßen zu las­sen, die Ver­wal­tung zu ver­ein­fa­chen – und so das ur­ba­ne Leben le­bens­wer­ter zu ma­chen. Damit diese Vi­si­on Rea­li­tät wird, haben viele Städ­te in Eu­ro­pa – dar­un­ter auch Wien – ei­ge­ne Smart-​City-Strategien ent­wi­ckelt.

Aber: „Was eine Smart City wirk­lich sein soll, ist nicht ein­heit­lich de­fi­niert. Auch in der For­schung gibt es dazu leb­haf­te Dis­kus­sio­nen“, sagt Sara Matrisciano-​Mayerhofer, Uni­ver­si­täts­as­sis­ten­tin Post­doc am WU In­sti­tut für Ro­ma­ni­sche Spra­chen und Ex­per­tin für Wirt­schafts­lin­gu­is­tik. Sie hat ana­ly­siert, wie Städ­te in ihrer Kom­mu­ni­ka­ti­on den Be­griff „Smart City“ ver­wen­den – al­ler­dings nicht nur in tro­cke­nen Stra­te­gie­pa­pie­ren, son­dern auch im ech­ten Leben: auf Bau­stel­len­zäu­nen und -​plakaten von ent­ste­hen­den Smart-​City-Projekten in Wien und Mar­seil­le.

„Bau­stel­len sind auch des­halb in­ter­es­sant, weil sie sel­ten für Be­geis­te­rung sor­gen“, er­klärt Matrisciano-​Mayerhofer. Und bei smar­ten Bau­stel­len kann die Kri­tik an Lärm, Schmutz und Ver­kehrs­um­lei­tun­gen schnell zur Kri­tik an der Smart City selbst wer­den. Au­ßer­dem be­feu­ern Di­gi­ta­li­sie­rung und Sen­so­rik immer Sor­gen vor To­tal­über­wa­chung und Da­ten­miss­brauch. Hier ist also be­son­de­res Fin­ger­spit­zen­ge­fühl bei der Bau­stel­len­kom­mu­ni­ka­ti­on ge­fragt: „Sie soll nicht nur über den Bau­fort­schritt in­for­mie­ren, son­dern Be­geis­te­rung für das Ent­ste­hen­de we­cken und dazu bei­tra­gen, das da­hin­ter­ste­hen­de Pro­jekt zur Pro­jek­ti­ons­flä­che des Be­geh­rens­wer­ten wer­den zu las­sen.“

Smart City: ein Traum in Grün?

Strah­len­de Kin­der und la­chen­de Men­schen – die neue Nach­bar­schaft stellt sich vor, ver­mit­telt gute Laune und er­zählt von viel Grün und Ent­span­nung im neuen smar­ten Vier­tel. So sahen die Bau­stel­len­zäu­ne aus, die ein Bau­pro­jekt in der Wie­ner See­stadt schmück­ten. Auf ähn­li­che Bil­der setz­te auch Mar­seil­le: Die Pla­ka­te zum ent­ste­hen­den Éco­quar­tier Smartseil­le zei­gen Léo, Lisa und Carlo – eine glück­li­che Fa­mi­lie beim Früh­stück in einer Woh­nung mit Meer­blick. Auf einem an­de­ren Pla­kat ist eine Stadt vol­ler Bäume zu sehen, zwi­schen denen ent­spann­te Men­schen zu Fuß und auf dem Fahr­rad un­ter­wegs sind.

Was auf den Bau­stel­len­pla­ka­ten und -​zäunen hin­ge­gen in den Hin­ter­grund rückt, sind Be­zü­ge zu in­tel­li­gen­ten Kommunikations-​ und In­for­ma­ti­ons­tech­no­lo­gien, die ei­gent­lich cha­rak­te­ris­tisch für eine Smart City sind. „Die smar­ten Vier­tel skiz­zie­ren damit eine Ge­gen­vi­si­on zum hy­per­mo­der­nen, men­schen­lee­ren und vor allem kal­ten Stadt­bild, das Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne gerne von der Smart City zeich­nen“, er­klärt Sara Matrisciano-​Mayerhofer von der WU. Dafür las­sen sie die fak­ti­schen oder fik­ti­ven Be­woh­ner*innen sogar selbst zu Wort kom­men: die Smart City als le­ben­di­ge Stadt mit Ge­schich­ten, Namen und Ge­sich­tern.

Wenn Vernetzung mehr als nur ein Kabel ist

Durch diese Art der Kom­mu­ni­ka­ti­on soll die Ak­zep­tanz von Smart-​City-Bauprojekten in der Be­völ­ke­rung er­höht wer­den. Sie hat aber auch einen po­si­ti­ven Ne­ben­ef­fekt: Der Be­griff „Smart City“ wird so nach und nach mit neuen In­hal­ten ge­füllt und steht nicht mehr nur für di­gi­ta­le Tech­no­lo­gie, son­dern auch für eine Stadt, die dem Men­schen und sei­nem Wohl­be­fin­den dient: „Smart­ness be­deu­tet in die­sem Fall we­ni­ger An­ony­mi­tät, Stress und Beton und mehr Ge­mein­schaft, Natur und Le­bens­freu­de.“

Aber han­delt es sich dabei nicht um Eti­ket­ten­schwin­del? Kei­nes­wegs, meint Sara Matrisciano-​Mayerhofer: „Der Be­griff Smart City wird auch da­durch ge­prägt, wie die Städ­te und die Men­schen, die darin woh­nen, ihn ver­wen­den. Dann kann er ge­nau­so für Le­bens­qua­li­tät, Bäume und Rad­we­ge ste­hen wie für Tech­nik und Sen­so­ren,“ und fügt hinzu: „Ich je­den­falls möch­te in einer Stadt leben, in der ‚smart‘ mehr be­deu­tet, als nur ‚in­tel­li­gent ver­netzt‘“.

Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen

Wenn 'smart­ness' ge­ra­de nicht 'di­gi­ta­le Tech­no­lo­gi­sie­rung' be­deu­tet: Kom­mu­ni­ka­ti­ve Prak­ti­ken des Bau­stel­len­mar­ke­tings smar­ter Städ­te in Frank­reich und Ös­ter­reich zwi­schen De-​Semantisierung und Re-​Semiotisierung. Matrisciano-​Mayerhofer, S., 2023, Wer­bung und PR im di­gi­ta­len Zeit­al­ter: Gren­zen, Über­gän­ge und neue For­ma­te. 1. Aufl. Wies­ba­den: Sprin­ger VS, (Eu­ro­päi­sche Kul­tu­ren in der Wirt­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on, Band 34).
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Über die For­sche­rin

Sara Matrisciano

Sara Matrisciano-​Mayerhofer ist Uni­ver­si­täts­as­sis­ten­tin Post­doc am In­sti­tut für Ro­ma­ni­sche Spra­chen der WU. Zu ihren For­schungs­be­rei­chen zäh­len So­zio­lin­gu­is­tik, Mi­gra­ti­ons­lin­gu­is­tik, in­ter­ne Un­ter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on, Dis­kurs­ana­ly­se und die Un­ter­su­chung von Mar­ke­ting­stra­te­gien aus sprach­wis­sen­schaft­li­cher Sicht. Ihre Ar­ti­kel wur­den in re­nom­mier­ten wis­sen­schaft­li­chen Zeit­schrif­ten wie Qua­der­ni di se­man­ti­ca oder Lin­gua e Stile ver­öf­fent­licht. Der­zeit lei­tet sie das vom Ju­bi­lä­ums­fonds der Stadt Wien ge­för­der­te Dritt­mit­tel­pro­jekt „SmartSpea­king City – alles nur bla bla? Eine Ana­ly­se der sprachlich-​semiotischen Kon­struk­ti­on von 'smart­ness' in der Stadt und im Stadt­mar­ke­ting aus cross­na­tio­na­ler Per­spek­ti­ve.“