Trennlinien zur NS-Ideologie
Trennlinien zur NS-Ideologie
Silvio Gesell oder Gottfried Feder?
Seit dem Erscheinen des von Gottfried Feder (1883-1941) verfassten „Manifests zur Brechung der Zinsknechtschaft“ in München 1919 waren geldreformerische Strömungen verstärkt dem Generalverdacht ausgesetzt, antisemitisches bzw. (prä-)faschistisches Gedankengut zu fördern. Nachdem Rassismus und Antisemitismus alles andere als Kavaliersdelikte darstellen, vielmehr von einer extrem abartigen Denkweise zeugen, ist an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit geboten.
(Bildquelle: Titelblatt: Der Kampf gegen den Zins, hrsg. von der Ortsgruppe Wels der national-sozialistischen Partei, Wels o. j., etwa 1921)
Feder gründete im September 1919 den Bund zur Brechung der Zinsknechtschaft, der sich nur wenig später in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) eingliederte. Nachdem es Feder gelungen war, Adolf Hitler und weitere NS-Größen von seinen Ansätzen zu überzeugen, fanden seine wirtschaftsideologischen Vorstellungen Eingang in das 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920. Feder wollte weder das Privateigentum noch den Kapitalismus abschaffen. Er griff lediglich die stereotypbehaftete Unterscheidung zwischen „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital auf, und schlug vor, dem Staate zu einer bedarfsgerechten Ausweitung der Geldmenge die Notenpresse zur Verfügung zu stellen. Als Verfechter eines kredit- und zinskritischen Kurses spielte Feder überwiegend in den 1920er Jahren eine gewisse Rolle, mit der Machtergreifung der NSDAP in Deutschland jedoch war seine Zeit abgelaufen, da im Rahmen der Geldpolitik nun verstärkt auf bewährtes Expertenwissen zurückgegriffen wurde. Der Begriff „Zinsknechtschaft“ verschwand ab 1933 zunehmend aus dem Sprachgebrauch der Nazi-Partei. Feder und Gesell waren einander im Frühjahr 1919 kurz über den Weg gelaufen, ohne dass eine wie auch immer geartete Annäherung stattfand. Inhaltliche Übereinstimmungen wiesen beide stets zurück. Feder lehnte Gesell und sein Programm ab, da dieser sich in der Phase der Bayerischen Räterepublik mit Gustav Landauer und Erich Mühsam verbündet hatte. Landauer und Mühsam galten bei deutschen Nationalisten als absolute Unpersonen. Programmatisch waren die Differenzen zwischen Feder und Gesell offenkundig. Während Gesells geldpolitische Überlegungen auf dem ökonomischen Diskurs seiner Zeit aufsattelten, griff Feder zur Herleitung seiner monetären Ideen tief in die Mottenkiste antisemitischer Ressentiments, wobei er wesentliche Denkanstöße aus dem klerikalkonservativen Umfeld des rechtspopulistischen Wiener Politikers Karl Lueger bezog. Währungsreform bedeutete für Gesell den Einsatz feinsteuernder Maßnahmen, Feder hingegen lieferte nur sehr holzschnittartig formulierte Vorschläge. Gesell bevorzugte das Leitbild des Freihandels, Feder plädierte demgegenüber für die nationale Autarkie. Der Kredit, für Gesell ein unerlässlicher Faktor im Wirtschaftsleben, ist für Feder nichts anders als das Resultat „jüdischer Hinterlistigkeit“. Gesells Betrachtungen liefen im Wesentlichen auf eine Vorwegnahme ordoliberaler Positionen hinaus, während Feders Entwurf in die Richtung einer Zwangswirtschaft führte. Auch der Zugang zum Phänomen Zins erfolgte von ganz unterschiedlichen Seiten aus. Gesell verband sein Konzept mit sozialökonomischen Anliegen, Feder argumentierte völkisch und antisemitisch. In der NS-Broschüre „Der Kampf gegen den Zins“ werden Gesells Positionen als „irrig“ und in ihren „Schlussfolgerungen (als) unzutreffend“ bewertet. Die Autoren sind überzeugt: „Freigeld erzeugt periodisch auftretende Handelskrisen“. Indem Gesell länderübergreifende Freigeld-Assoziationen anstrebe, verwerfe er zudem jegliches Nationalbewusstsein. Als besonders verdächtig musste ihnen in Gesells Forderungskatalog der Punkt „Freiland“ erscheinen: „Gesell will den Boden sozialisieren“, wurde festgestellt, was „vom Standpunkte unseres Volkstums geradezu verheerend“ wäre. Gesell gebe damit nämlich Raum für die „Einwurzelung uns wesens- und rassefremder Ausländer … in deutsche Heimaterde“. Mit Karl Marx habe Silvio Gesell „den Internationalismus gemeinsam“, wurde abschließend hervorgehoben. Nur ein Reformkonzept erscheine zukunftsträchtig – das von Gottfried Feder! Wie verschiedene historische Dokumente belegen, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die gesellianische Richtung frei von Antisemitismus gewesen wäre. Die endemische Verbreitung judenfeindlicher Denkmuster – sämtliche Lager (Deutschnationalismus, Konservativismus, Liberalismus, Sozialdemokratie) zeigten sich dadurch angekränkelt – fand auch innerhalb der Freiwirtschaftsbewegung einen Niederschlag. Anzumerken ist dazu allerdings, dass der Antisemitismus niemals ein tragendes Bauelement im Konzept Gesells darstellte und dass die freiwirtschaftliche Programmgestaltung in Österreich stets auf derartiges Beiwerk verzichtete. Damit stand die Freiwirtschaftsbewegung im Gegensatz zu Organisationen wie der Christlichsozialen Partei – der führenden politischen Kraft im Österreich der Zwischenkriegszeit –, die sich etwa in ihrem Programm von 1926 die Bekämpfung der „Übermacht des zersetzenden jüdischen Einflusses auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiet“ verordnete. Mit Gewissheit konnten die Mitglieder des Freiwirtschaftsverbandes in den 1930er Jahren davon ausgehen, dass sie im Falle einer Annexion Österreichs durch Deutschland keine freundliche Behandlung durch das neue Regime zu erwarten haben. Sowohl die durch Distanz auf beiden Seiten geprägte Vorgeschichte als auch die Berichte der Anhängerschaft Gesells aus Hitlers Reich deuteten darauf hin. Unmittelbar nach Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich verfügte die Leitung des Freiwirtschaftsverbandes die freiwillige Selbstauflösung. Dass der neuen Herrschaft gegenüber zugleich loyales Verhalten in bindender Form zugesichert wurde, spiegelte einmal mehr das Klima der Angst im Frühjahr 1938.
Literatur:
Gottfried Feder: Die Linzer Beschlüsse zur Geldreform, in: Volk und Gemeinde. Monatsblätter für Nationalen Sozialismus und Gemeindepolitik, Teil I: (4) 3/1922, 27 ff. Teil II: (4) 5/1922, 49 ff. Teil III: (4) 8/1922, 73 ff.
Gerhard Senft: Antikapitalismus von Rechts? Eine Abrechnung mit Gottfried Feders „Brechung der Zinsknechtschaft“, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, (32) 106/1995, 18-32.