Katastrophenwirtschaft 1918-1938
Erich Hans Wolf : Katastrophenwirtschaft.
Geburt und Ende Österreichs 1918-1938. Zürich - New York 1939 Erich Hans Wolf ist das Pseudonym des Juristen und Bankenexperten Jakob Hans Hollitscher (1875-?), der 1938 aus Österreich in die Schweiz emigrierte und dort als Wirtschaftspublizist tätig wurde. In seinem Buch „Katastrophenwirtschaft“ formulierte er die Überzeugung, dass die prozyklische Wirtschaftspolitik der 1930er Jahre jeden Aufschwung verhinderte und damit dem deutschen Faschismus das Einfallstor weit öffnete. Zum Geldthema hatte sich Hollitscher bereits früher geäußert: Die Sozialisierung des Geldes, Wien - Leipzig 1919. Gold, Währung und Krise, Wien 1932. Schwundgeld, in: Neue Freie Presse vom 23. August 1933, 12.
(Bildquelle: Titelblatt, Wolf)
Mit dem Andauern der krisenhaften Situation verschärften sich die gesellschaftlichen Spannungen auf allen Ebenen. Als es zu Beginn des Jahres 1933 zu einer Abstimmungspanne im österreichischen Parlament kann, nutzte Bundeskanzler Engelbert Dollfuss die Situation zur Ausschaltung der bestehenden Volksvertretung. Verfestigt wurde der eingeschlagene autoritäre Kurs mit der berufsständischen Verfassung vom Mai 1934, die eine Vereinigung von Arbeitgebern und -nehmern in Zwangsverbänden vorsah. In seiner wirtschaftspolitischen Ausrichtung unterschied sich das austrofaschistische Regime jedoch nicht von den Regierungen zuvor. Weiterhin galten ein ausgeglichener Staatshaushalt und ein harter „Alpendollar“ als unantastbare „heilige Kühe“. Mit der Festlegung auf einen Interventionsverzicht wurden Abbaumaßnahmen in den Bildungs- und Sozialbereichen sowie ein Schrumpfungsprozess in der produzierenden Wirtschaft in Kauf genommen, sodass die Arbeitslosenraten konstant hoch blieben. Die Unterauslastung der Volkswirtschaft nahm dramatische Formen an. Im Jahr 1935 waren im Zink- und Bleiabbau zwei Betriebe beschäftigt, 29 hingegen stillgelegt. Die Kupferproduktion konnten lediglich zwei Unternehmen der gesamten Branche wahrnehmen, 57 waren dichtgemacht. Nur zu rund 20 Prozent ausgelastet war der Graphitbergbau. Vorschläge, die auf konjunkturbelebende Maßnahmen zielten (der Deutsch-Vértes-Plan setzte auf eine ausgedehnte Anleihepolitik, gewerkschaftliche Kreise plädierten für eine produktive Kreditschöpfung), schieden im Gefolge der autoritären Machtübernahme aus dem offiziellen Diskurs aus. Die Aktivitäten wirtschaftsoppositioneller Gruppen verlagerten sich nun mehr in den Untergrund, sodass die Verfehlungen der Regierung weiterhin Thema blieben. Die Staatsführung räumte dem Abbau öffentlicher Schulden gegenüber allen anderen Zielen den Vorrang ein und sie unterstützte die Führung der Nationalbank in ihrer Unterlassungspolitik. Das während der 1930er Jahre entstandene Bankenmonopol konnte unbeschränkt seine Wirksamkeit entfalten, das Zinsniveau erreichte Rekordhöhen, eine schwach bleibende Investitionstätigkeit war zwangsläufig die Folge. Strukturreformen, die zu einer Auflösung des Bankenmonopols und zu einem vermehrten Kapitalangebot geführt hätten, wurden gar nicht ernsthaft ins Auge gefasst. Zwar versuchte das austrofaschistische Regime den Anschein zu erwecken, den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern, doch blieben entsprechende Vorkehrungen auf halbem Wege stecken; von einer auf Nachhaltigkeit angelegten Politik konnte keine Rede sein. Die für Arbeitsbeschaffungszwecke aufgebrachten Anleihegelder dienten überwiegend finanzpolitischen Transaktionen. Ab 1936 kam die Investitionstätigkeit des öffentlichen Sektors nahezu gänzlich zum Erliegen. Dabei hätten verschiedene Infrastrukturvorhaben (Eisenbahnbau, Schifffahrtsverkehr, Energiesektor) dringend entsprechender finanzieller Zuwendungen bedurft. An Vorbildern aus dem Ausland fehlte es nicht: In Großbritannien war 1932 der Kredit spürbar verbilligt worden, sodass in den Bereichen der Industrie und der Infrastruktur sowie im Wohnungswesen deutliche Impulse gesetzt werden konnten. Schweden begann 1932/33 mit einer Ausweitung beschäftigungspolitischer Maßnahmen. Die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten erholte sich nach dem Übergang zur Politik des New Deal 1933. Hier wurde ebenfalls mit der Belebung des Arbeitsmarktes ein wichtiger Schwerpunkt gesetzt. Im eingangs erwähnten Buch „Katastrophenwirtschaft“ wird auch auf das Wörgler Beispiel hingewiesen, das, so der Autor, „erhebliche Erfolge“ vorzuweisen hatte und das wertvolle gedankliche Anregungen bieten hätte können. Das Beharren auf orthodoxen Denkmustern habe in letzter Konsequenz den Untergang Österreichs herbeigeführt.
Literatur:
Gerhard Senft: Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934 bis 1938. Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, Band 15, Wien 2002.
Emmerich Talos; Florian Wenninger: Das austrofaschistische Österreich 1933-1938. Politik und Zeitgeschichte, Band 10, Berlin - Münster - Wien - Zürich - London 2017.