Pannonische Aufbrüche - Gerhard Senft
Sozialrevolten im westungarischen Raum von den frühen Bauernaufständen bis zur Räteperiode 1918/19. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Burgenlandes1
Vorbemerkungen
Der Landstrich entlang der alten Bernsteinstraße, das heutige Burgenland, ist für Außenstehende immer etwas erklärungsbedürftig. Wer es nicht oder nur oberflächlich kennt, stellt sich hässliche Gewerbeparks vor, an deren Randzonen Halbalphabetisierte hausen. Wer sich aber näher mit Land und Leuten beschäftigt hat, ist vertraut mit einer sanfthügeligen, während der warmen Jahreszeit von Sonnenlicht durchfluteten Landschaft. In den Weinbaugebieten – die örtliche Weinkultur hat sich bereits vor Jahrhunderten einen legendären Ruf erworben – tollen frühmorgens unzählige Hasen herum, die bebauten Felder atmen an langen Nachmittagen im Gleichklang. Die Menschen erscheinen nur selten von Hektik angetrieben, der alles bestimmende Wettbewerb hat hier noch nicht Einzug gehalten. Nicht zufällig haben sich zahlreiche Kunstschaffende in dieser stets der großen Welt zugewandten Region niedergelassen. Wer sich einmal bei der Einwohnerschaft der südlichen Bezirkshauptstadt Oberwart nach dem Weg zum örtlichen Friedhof erkundigt hat, ist sicher mit der Frage konfrontiert worden, ob man den katholischen, den protestantischen, den jüdischen oder den calvinistischen suche. Einen ausufernden Streit um mehrsprachige Ortstafeln ließ man im Burgenland gar nicht aufgekommen, diese gibt es seit vielen Jahren ganz selbstverständlich.
Historisch betrachtet erweist sich Österreichs jüngstes Bundesland (das übrigens nach dem Ersten Weltkrieg erst 1921 pazifiziert werden konnte) jedoch als ein Stiefkind der ökonomischen Entwicklung. Bis weit ins 20. Jahrhundert blieb der landwirtschaftliche Sektor dominierend, traditionell stellte die Feldarbeiterschaft einen erheblichen Bevölkerungsanteil, die durch den Großgrundbesitz vorgegebenen Strukturen sind zum Teil bis heute erkennbar. Der industrielle Fortschritt gelangte nur punktuell zum Durchbruch, dementsprechend rasch erhöhte sich der Stellenwert von Auswanderung und Arbeitsmigration. Das geringe Interesse der politisch Verantwortlichen hinsichtlich des Ausbaus von Verkehrsinfrastruktur und Bildungswesen war evident. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde der südliche Teil des Gebietes an das österreichisch-ungarische Eisenbahnnetz angeschlossen.
In einer geschichtlichen Betrachtung ist zudem die Vorstellung eines stets ruhigen Hinterlandes zu relativieren. Immer dann nämlich, wenn ausbeuterische Verhältnisse und die Unterdrückung durch die Obrigkeit überhandnahmen, war die Region durch Aufruhr und widerständiges Handeln gekennzeichnet. Gegenüber den Emanzipationsströmungen der Moderne blieb die westungarische/burgenländische Bevölkerung alles andere als verschlossen. Die folgenden Passagen sollen einige Einblicke liefern.
Das Aufbegehren der bäuerlichen Bevölkerung
In vielen Regionen des europäischen Kontinents hatten Bauernunruhen bereits während des Mittelalters erhebliche territoriale Ausbreitung gefunden (Bartel 1983, 99 f. Krammer 1976, 17 ff). Dass es in den ländlichen Gebieten in der frühen Neuzeit fortgesetzt zu revolutionären Erhebungen kam, ergab sich aus der zunehmend strafferen Handhabung der Feudalherrschaft, die durch verschiedene Kriegswirren verstärkt wurde. In Westungarn gingen die Uhren etwas anders, doch wurde auch dieser Landstrich zum Schauplatz von Bauernrebellionen (Zimányi 1962). War der gegen die Stiftsherrschaft Marienberg gerichtete Aufstand 1514 noch lokal begrenzt geblieben, so erfuhr die westungarische Bauernbewegung zu Beginn der 1570er Jahre (im Gleichklang mit den Entwicklungen in Kroatien und Slowenien) bereits einen erheblichen Zulauf (Krammer 1976, 18). Die Verelendung im Gefolge der Pestkatastrophe in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts führte zu weiteren gesellschaftlichen Erschütterungen. Auch wenn die Bauernrevolten den Sturz der Feudalordnung nicht herbeizuführen vermochten, stellten sie doch bedeutende historische Leistungen dar.
Im Laufe des 18. Jahrhundert gingen die wenigen mächtigen Magnatenfamilien, die Westungarn unter sich aufteilten, dazu über, die Lasten für das Bauerntum beständig zu erhöhen (Homma 1947, 10 ff). Mit der Etablierung gutsherrschaftlicher Strukturen (Stichwort: Meierhöfe) war nicht nur die Aneignung ursprünglich gemeinschaftlich genutzter Bodenflächen verbunden (Krammer 1976, 20 f). Da sich zahlreiche bäuerliche Betriebe aufgrund steigender Steuerlasten und damit einhergehendem Substanzverlustes verkleinern mussten, wurden zusätzlich Grundstücke frei, die ebenfalls eingezogen und den Eigenwirtschaften der adeligen Familien zugeschlagen werden konnten (Krammer 1976, 16). Dazu kam, dass der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten ausschließlich in den Händen der Grundherren lag, somit monopolisiert war (Kropf 1986, 152). Rechtliche Maßnahmen zu ergreifen war den Untertanen versagt, da die Gerichtsbarkeit dem örtlichen Adel unterstand. Die Urbarial-Gesetzgebung erlaubte eine völlige Unterwerfung der Bäuerinnen und Bauern: Sie wurden zur Zwangsarbeit auf den Feldern der Grundherren herangezogen, auch mussten sie ausgedehnte Fuhrdienste leisten, etwa um die feudalen Stadtpalais reichlich mit Gütern zu versorgen (Kropf 1969, 127 f).
Um ihren aufwendigen Lebensstil sicherzustellen, wurde die Aristokratie immer erfinderischer. Waren die Mittel im adeligen Haushalt einmal knapp, wurde einfach eine Reihe von Dörfern an Kreditgeber verpfändet. Wesentlich ging es darum, die Erträge der Gutswirtschaften stabil zu halten, bedeutete doch die Aufteilung des adeligen Besitzes durch die Erbfolge eine Zersplitterung der Güter (Kropf 1986, 153). In den im Pinkatal und im Umland von Eisenberg gelegenen Siedlungen wurde die Zahl der Robottage auf das Doppelte bis Dreifache erhöht (Kropf 1969, 122). Während der Erntezeit hatten die Bauern oft mehrere Wochen ununterbrochen die herrschaftlichen Felder zu bewirtschaften, sodass das bäuerliche Land vernachlässigt und das Verderben der Ernte riskiert wurde. Kam der ländliche Untertan seinen Steuerpflichten nicht nach, erfolgte die Eintreibung ohne viel Federlesens durch von der Herrschaft eingesetzte Schergen. Erwies sich der Abgabensäumige als weiter hartnäckig, landete er im Verlies (Kropf 1986, 152).
Nachdem der wachsende Groll der Bauernschaft lange Zeit ignoriert worden war, begannen sich Anfang der 1760er Jahre die widerständigen Handlungen zu mehren. Die zunehmende Zahl von Robot- und Zinsverweigerungen zeigte an, dass die Bauernschaft nicht mehr bereit war, die Ausbeutungsverhältnisse länger zu akzeptieren. Die Welle der Empörung nahm ihren Ausgang in den Herrschaften Güssing, Rechnitz und Schlaining, in der Folge wurde das gesamte Komitat Eisenburg (Vas) erfasst, um schließlich auch auf die Nachbarkomitate überzugreifen. (Komitat = Verwaltungseinheit über den Bezirken und Gemeinden). Die passive Resistenz schlug schließlich um in einen offenen Aufruhr gegen die Grundherren. Dort, wo Gemeineigentum zuvor durch die Herrschaft okkupiert worden war, ging die Landbevölkerung daran, Einfriedungen niederzureißen, um sich so Grund und Boden wieder anzueignen (Kropf 1969, 141).
Die soziale Basis der Aufständischen bildeten sowohl Bauern als auch Kleinhäusler und das Gesinde. Ihre Forderungen bezogen sich zunächst auf eine Beschränkung des Robots auf maximal zwölf Tage pro Ansiedlung im Jahr und auf Höchstgrenzen bei der Besteuerung (Kropf 1969, 130). Je mehr sich jedoch die Bewegung radikalisierte, desto mehr wurde das feudale Herrschaftssystem als Ganzes infrage gestellt. Demokratisierungsbestrebungen gingen dahin, eine Art Bauernparlament ins Leben zu rufen und Bauernräte durch Wahl zu bestimmen. Bis 1765 spitzte sich die Situation derart zu, dass sich Gutsverwalter im öffentlichen Bereich nicht mehr sicher fühlen konnten (Kropf 1969, 140). Die Grundherren trugen das Ihre zur Verschärfung der Lage bei, indem sie bewaffnete Kräfte in Einsatz brachten und die Anführer der Bauern festnehmen ließen. Nachdem diese in einer Nacht-und-Nebel-Aktion befreit worden waren, wurde der Ruf nach einer Bewaffnung der Bauernschaft lauter. Dennoch blieb der Widerstand weitgehend gewaltfrei.
Im Jahr 1766 wurde die Arbeit auf den herrschaftlichen Gütern nahezu zur Gänze eingestellt, auch die Steuerverweigerung hatte ein flächendeckendes Ausmaß erreicht (Kropf 1969, 134). Der wirtschaftliche Schaden für die Magnatenhäuser war bereits enorm, als sich der Hof in Wien einschaltete. Nachdem kaiserliche Truppen an die Orte der Unruhe entsandt worden waren, traf ein Bevollmächtigter aus Wien ein, der die Angelegenheit nun genau untersuchen sollte. Als klar wurde, dass sich die ökonomischen Bedingungen für die Bauernschaft alles andere als günstig entwickelt hatten, übernahm der Hof die Vermittlung in dem Konflikt. Eine echte Befriedung gelang jedoch nicht. Als sich die Lage 1767 einigermaßen beruhigt hatte, brachten die Grundherren die Bauernführer erneut vor Gericht und verpassten ihnen neben körperlichen Züchtigungen mehrjährige Haftstrafen verbunden mit Zwangsarbeit. Das Ausbleiben einer nachhaltig wirksamen Konfliktbewältigung bedingte, dass es bis zum Ende der 1780er Jahre immer wieder zu lokalen Bauernunruhen kam (Kropf 1969, 143). Die Bauernproteste zwischen 1762 und 1766 waren die heftigsten im westungarischen Raum. Sie bewirkten, dass die Veränderungsbereitschaft des absolutistisch regierenden Herrscherhauses in Wien zunahm. Noch unter Maria Theresia wurde begonnen, die Zahl der Gutswirtschaften zu beschränken. Weitreichender waren die Reformen Josephs II., der daranging, die Erbuntertänigkeit abzuschaffen (Rauscher, Scheutz 2011).
Wirtschaftlicher und sozialer Wandel
Das gemäßigte Untertänigkeitsverhältnis bewirkte keine substanzielle Verbesserung der Lage der ländlichen Bevölkerung, doch war mit der Herausbildung einer Lohnarbeiterschicht nun eine wesentliche Voraussetzung für eine kapitalistische Neuausrichtung erfüllt (Bauer 1925, 96). Verglichen mit der Entwicklung im gesamten ungarischen Raum vollzog sich die ökonomische Modernisierung in den westlichen Komitaten Wieselburg/Moson, Eisenburg/Vas und Ödenburg/Sopron auffällig schleppend. Im 19. Jahrhundert und auch noch später überwogen neben der bäuerlichen Wirtschaft kleingewerbliche Strukturen, der Industrieanteil blieb stets schwach ausgeprägt (Bachinger 1973). Abgesehen von einigen Zuckerfabriken, etwas Textilerzeugung und Papierherstellung gab es kaum Massenproduktion (Zirkovits 1974, 107 f). Erwähnenswert erscheinen allenfalls noch die Spiritusverarbeitung oder die wenigen Tafelgeschirr-Manufakturen.
Die Rohstoffförderung stellte ebenfalls keinen Wachstumssektor dar. Von Relevanz für die Industrien im Wiener Becken waren rund ein halbes Dutzend Braunkohlebergwerke, relativ wichtig waren auch die zahlreichen Steinbrüche und Ziegeleien sowie die Gewinnung von Antimon. Eine untergeordnete Rolle spielte die Glasverarbeitung. Der im weiteren Verlauf hinzukommende Abbau von Asbest konnte nicht ausgleichen, dass der Kupfer- und der Schwefelabbau erschöpft waren. Zunehmend an Gewicht gewannen die Kalkbrennereien, die für die entstehende chemische Industrie innerhalb der Monarchie als Zulieferer relevant wurden.
Eine wirtschaftliche hemmende Wirkung ergab sich aus dem Umstand, dass die westungarischen Komitate in verkehrstechnischer Hinsicht lange Zeit vernachlässigt wurden. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es im Eisenbahnsektor zu größeren Ausbauleistungen. Das Fehlen einer umsichtigen Wirtschaftspolitik, die frühzeitiger Impulse hätte setzen können, machte sich schmerzlich bemerkbar. Auch im Bildungswesen bestanden erhebliche Versorgungslücken, wie eine über weite Strecken hohe Analphabetenrate deutlich machte.
Der landwirtschaftliche Bereich, in dem der größte Teil der Beschäftigten tätig war, zeigte eine nur geringe Entwicklungsdynamik. Zwar ermöglichte die Grundentlastung im Zuge der Revolution von 1848 die Herausbildung eines freien Bauerntums, doch nahm der Verschuldungsgrad der landwirtschaftlichen Betriebe über die Jahre zum Teil dramatische Ausmaße an. Die Preise der Agrarprodukte verminderten sich mit den zunehmenden Importen aus dem Überseeraum. Viele Bauern konnten durch die sinkenden Erträge nicht mehr die notwendigen Mittel zum Überleben erwirtschaften und waren mitsamt ihren Angehörigen gezwungen, sich als Landarbeiter (Söllner, Sölde = Haus ohne Landwirtschaft) zu verdingen. Einzig die Position des Großgrundbesitzes bestand unangefochten. Nach wie vor verfügte der Adel – Erzherzog Friedrich, Fürst Esterházy, die Grafen Batthyány, Erdődy, Draskovich und Almássy – über ausgedehnte Güter (Böröcz 1995, 9). Mehr als 40 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens befand sich in den Händen von knapp 200 Großgrundbesitzern und rund 1.000 Großbauern, während sich 55.000 mittlere Gehöfte sowie Klein- und Kleinstbetriebe mit dem verbleibenden Rest begnügen mussten (Böröcz 1995, 16).
Die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse und der zunehmende Bevölkerungsdruck bewogen viele Menschen zur Auswanderung, wobei die USA zum bevorzugten Zielland wurden (Dujmovits 2012, 17 ff). Bis 1914 verließen fast 33.000 Menschen ihre pannonische Heimat (Böröcz 1995, 8). Die veränderte räumliche Mobilität zeigte sich aber auch anhand des wachsenden Heeres von Wanderarbeitern. Immer mehr Saisonarbeitskräfte zog es in die Nachbarregionen Westungarns.
Nicht alle der Wanderungsbewegungen in der Geschichte Ungarns waren auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen. Ein Auslöser war auch die Minderheitenpolitik des „aufgeklärten Absolutismus“. Der pannonische Raum war frühzeitig zum Zielgebiet von Roma-Familien geworden, nachdem sie als „fahrende“ Personen in verschiedenen europäischen Ländern der Verfolgung ausgesetzt gewesen waren. Unter der „Aufsicht“ von Grundherren wie Batthyány und Erdődy fristeten sie ein Dasein die längste Zeit am Rande der Gesellschaft, bevor unter der Regentschaft Maria Theresias begonnen wurde, sie zwangsweise „sesshaft“ zu machen. Den Zielen einer sozialen Disziplinierung entsprechend, wurde dem „liederlichen Dasein“ und der „Landstreicherei“ der Kampf angesagt; jede verfügbare Hand sollte nun ökonomisch nutzbringend eingesetzt werden. Unter Joseph II. traten zur „Lösung der Zigeunerfrage“ weitere Verschärfungen in Kraft. Die Verwendung der Sprache Romanes (auch: Romani) wurde untersagt, Zuwiderhandlungen wurden mit schwerer körperlicher Züchtigung sanktioniert. Schließlich wurde dekretiert, Roma-Kinder ihren Familien wegzunehmen und deren Aufzucht „tugendhaften“ Handwerks- und Bauernfamilien anzuvertrauen. Nachvollziehbar, dass sich Roma-Clans bei Nacht und Nebel einmal mehr auf den Weg machten, um sich den Zumutungen der Obrigkeit zu entziehen (Baumgartner 2010).
Die Anfänge der Arbeiterbewegung
Die trüben wirtschaftlichen Aussichten und die eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten in den westlichen Komitaten Ungarns bewirkten im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Zunahme der Arbeitsmigration. Ein Teil der mobilen Arbeitskräfte zog Richtung Zentralungarn, um als Landarbeiter eine Anstellung zu finden, ein anderer Teil versuchte sein Glück diesseits der Leitha, entweder als Arbeiter in den südlich von Wien angesiedelten Industrien oder als Bauarbeiter in der sich dynamisch entwickelnden Donaumetropole (Kovács 1972, 5). Menschenwürdige Arbeitsbedingungen suchte man jedoch allerorts vergebens. Die Arbeitszeit in den Fabriken betrug rund 15 Stunden täglich, die Entlohnung reichte bestenfalls für ein knappes Überleben, hinsichtlich der sozialen Risken gab es keinerlei Absicherung, gegenüber den Unternehmern war die Arbeiterschaft völlig rechtlos gestellt (Hautmann, Kropf 1974).
In den wirtschaftlich vorangeschrittenen Nationen hatten die mit der Industrialisierung verbundenen sozialen Defekte schon bald Protestaktionen der Arbeiterschaft herbeigeführt. Die Ideenwelt des Sozialismus begann rund um den Erdball eine immer größere Anhängerschar zu gewinnen. Auch in den Industrieregionen des Habsburgerreichs formierte sich Widerstand gegen das durch den ungezügelten Kapitalismus verursachte Elend. Im Zuge der revolutionären Ereignisse von 1848 trat der Unmut der Arbeiterschaft erstmals vehement hervor (Hautmann; Kropf 1974, 31 ff). Bei den ersten Anläufen ging es um die Beseitigung rechtlicher Hürden, die die Organisationstätigkeit des Proletariats einschränkten. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass bis in die 1860er Jahren eine gesetzliche Regelung in Kraft war, die für das „Verbrechen des Streiks“ die Todesstrafe vorsah. Erst 1870 wurde die Streikaktion entkriminalisiert, zeitgleich mit der Abschaffung des sogenannten Koalitionsverbots, das Interessenvertretungen von Arbeitern grundsätzlich untersagt hatte (Hautmann; Kropf 1974, 57 ff).
Einen ersten wichtigen Meilenstein in der Entwicklung der ungarischen Arbeiterbewegung stellte die Gründung des Allgemeinen Arbeitervereins im Februar 1868 dar. Der Verein stand spürbar unter dem Einfluss Ferdinand Lassalles, der den Kampf um das allgemeine Wahlrecht sowie die Förderung von proletarischen Produktivgenossenschaften auf seine Fahne geschrieben hatte. Einen wesentlich schärfer formulierten Forderungskatalog präsentierte die im Mai 1880 ins Leben gerufene Allgemeine Arbeiterpartei. Unter anderem wurden das Verbot von Kinderarbeit, die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden sowie die Verstaatlichung der Infrastrukturbetriebe verlangt (Senft 2019, 9 f). Die Versammlungstätigkeit war aber nach wie vor schwierig, da immer wieder zahlreiche behördliche Schikanen zum Tragen kamen. Einzelne Ortsgruppen wurden daher oft unter einem Tarnnamen oder überhaupt als konspirativer Zirkel geführt.
All die polizeilichen Maßnahmen vermochten jedoch nicht verhindern, dass sich aus zaghaften Anfängen allmählich eine Massenbewegung formierte. An den Kundgebungen am 1. Mai 1890 waren allein in Budapest zwischen 30.000 und 40.000 Angehörige des Arbeiterstandes beteiligt. Im Dezember desselben Jahres gelang es, die Sozialdemokratische Partei aus der Taufe zu heben (Gruppe Arbeiter/innen/Standpunkt 1990,11 f). Eingebunden in die internationale sozialistische Bewegung und orientiert an der Gedankenwelt von Karl Marx übernahm sie die Führungsrolle innerhalb der „ungarländischen“ Arbeiterschaft. Obwohl die Sozialdemokratie durch die weite Verbreitung ihrer Presseprodukte (Zentralorgan: „Népszava“ („Volksstimme“)) beständig an gesellschaftlichem Stellenwert zulegte, blieben ihr größere politische Erfolge versagt. Der größte Hemmschuh ergab sich aus der restriktiven ungarischen Wahlordnung, die die Arbeiterschaft, die urbanen Unterschichten, die Kleinbauern sowie das ländliche Gesinde bis zum Ende der Monarchie von demokratischen Prozessen ausgrenzte (Hoensch 1991, 68).
Nach und nach wurde auch der ökonomisch abgehängte westungarische Raum von dem gesellschaftlichen Aufbruch erfasst. Es waren vor allem die Wanderarbeiter, die regelmäßig aus den entwickelten Teilen der Monarchie in ihre Herkunftsdörfer zurückkehrten und über soziale Kämpfe berichteten. Bereits an der großen Versammlung in Wien Mitte Dezember 1868 nahmen zahlreiche westungarische Arbeitskräfte teil. Unter ihnen befanden sich der gebürtige Ödenburger Martin Berka und der aus Stegersbach stammende Friedrich Häcker. Beide tauchten in Wien anlässlich der Massendemonstration 1869 erneut auf. Wegen ihrer führenden Rolle bei der Organisation der Kundgebung wurden sie festgenommen und im Zuge des anschließenden Hochverratsprozesses zu Gefängnisstrafen verurteilt (Steiger-Moser 2017, 18). Vor Gericht wurden die beiden mit „belastendem Material“ konfrontiert, dass die untersuchende Behörde bei der Verhaftung der beiden gefunden hatte: Mitgliedskarten und Programme proletarischer Organisationen sowie ein Exemplar einer Arbeiterzeitung (Gerichtsprotokoll in: Scheu 1911, 639). Nach dem Prozess standen Arbeitskräfte aus Westungarn unter besonderer Beobachtung. Jede politische Betätigung war ihnen untersagt, bei Zuwiderhandlungen drohten die Beendigung des Dienstverhältnisses und die Abschiebung (Steiger-Moser 2017, 18). Doch die Einschüchterungsversuche verfehlten ihr Ziel. Bereits Anfang der 1870er Jahren zeigte die Arbeiterschaft Westungarns deutliche Lebenszeichen. In der Folge kam es zur Gründung von Bildungsvereinen, Interessenvertretungen und Unterstützungskassen. 1907 konnte das regelmäßige Erscheinen der „Westungarischen Volksstimme“ sichergestellt werden (Steiger-Moser 2017, 20).
Anarchisten und Sozialrevolutionäre in Ungarn
Die ersten nennenswerten sozialen Verbesserungen, die in der Donaumonarchie in den 1880er Jahren durchgesetzt werden konnten – Reduktion der täglichen Arbeitszeit auf elf Stunden, Einrichtung von Arbeiterkrankenkassen – galten ausschließlich für Industriebeschäftigte und erlangten in Ungarn keinerlei Gültigkeit. Dadurch erhielt der Selbsthilfegedanke einen besonderen Stellenwert. 1892 gründete der Schuhmachergehilfe Johann Fiala in Ödenburg einen Arbeiterbildungsverein, der den einfachen Menschen ein erhöhtes Selbstbewusstsein vermitteln und sie zur Gründung von Interessenvertretungen anregen sollte. Ebenfalls in Ödenburg entstand im Laufe der 1890er Jahre die Kreis-Arbeiter-Versicherungskasse. Ihr wesentlicher Proponent war Adolf Berczeller. Die Obrigkeit verfolgte die zunehmenden Aktivitäten der Arbeiterschaft mit Misstrauen. Anlässlich des 1. Mai 1895 wurden in Neufeld, Neudörfl und Sauerbrunn die Einsatzkräfte der Gendarmerie verstärkt (Steiger-Moser 2017, 20 f).
Bis zur Jahrhundertwende wuchs die Arbeiterbewegung in Ungarn zu einem ernstzunehmenden Faktor heran. Im gesamten ungarischen Raum waren 1904 etwa 50.000 Personen gewerkschaftlich organisiert. Zu Jahresende 1912 – in Wien wurde gerade das Kriegsleistungsgesetz verabschiedet, das „disziplinlose“ Arbeitskräfte der Heeresgerichtsbarkeit unterwarf – demonstrierten rund 100.000 Menschen in Budapest gegen die Militarisierung der Gesellschaft. Dass der für den März 1913 geplante Generalstreik abgeblasen wurde, war der nun verstärkt „patriotisch“ agierenden Führung der Sozialdemokratie zuzurechnen (Droz 1975, 145). Insgesamt ergibt sich nach 1900 das Bild zunehmend radikalisierter Massen, die für eine gemäßigte Linie immer schwerer zu gewinnen waren.
Bereits 1907 hatten sich die Unruhen deutlich vermehrt, nachdem die in Wien beschlossene Wahlrechtsreform für die ungarische Arbeiterschaft ohne Konsequenzen geblieben war. Besonders schlagzeilenwirksam war der Streik der Bergleute des Kohlereviers Brennberg, der sich auf das benachbarte Abbaugebiet Ritzing ausdehnte. Als die Arbeiterschaft eine Erhöhung der Löhne sowie die Reduzierung der Arbeitszeit einforderte, kam es zu Aussperrungen und zu Delogierungen von Arbeiterfamilien. Damit nicht genug, wurden auch Heerestruppen in Einsatz gebracht. Die Streikkasse wurde beschlagnahmt, die Anführer des Protests wurden festgenommen und eingekerkert. Der auf Arbeiterseite opferreich geführt Ausstand war einer der am längsten dauernden in der westungarischen Geschichte. Er endete mit einem Teilerfolg der Bergleute, nachdem auch die Streikbrecher – die extra aus Rumänien angefordert worden waren – ihre Arbeit eingestellt hatten (Arbeitsgemeinschaft 1984, 159 f).
Die Sozialdemokratische Partei Ungarns hatte um 1900 wesentliche Positionen der deutschen Sozialdemokratie übernommen, deren Führung durch Wahlen in entscheidende politische Positionen gelangen wollte, um auf diesem Wege einen sozialistischen Umbau der Gesellschaft einzuleiten. Eine solche Adaption der Marx’schen Lehre bedeutete zwar eine Abwendung vom Konzept der Revolution, verminderte aber für kurze Zeit die Flügelkämpfe innerhalb der Partei. Dem Revisionismus, der die Lehre vom Klassenkampf vollständig aufgegeben hatte, wurde damit ebenso eine Absage erteilt wie dem Radikalismus, der auf die Beibehaltung einer revolutionären Linie pochte. Die Führung der ungarischen Sozialdemokratie unterschätzte aber nicht nur die politische Nische, die sie nun neben sich für radikalere Gruppen geschaffen hatte, sondern auch die Bedürfnisse der verelendeten Landarbeiter, die gegenüber gewerblichen und industriellen Arbeitern eine deutliche Mehrheit bildeten (Thorpe in Bak 1991, 247). Der Anarchismus, der in Ungarn bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts von sich Reden gemacht hatte, sollte nun einen Bedeutungszuwachs erleben.
Im Wesentlichen lassen sich vier Wellen anarchistischer Organisationsbildung herausarbeiten (Bozóki; Sükösd 2006, 62 ff, 162 ff):
Erste anarchistische Ideen gelangten über politisch Verfolgte ins Land, die in Ungarn Unterschlupf suchten, wobei sich vor allem der Einfluss französischer und russischer Denker geltend machte. Die Agrarkrise der 1880er Jahre, die sowohl das Landproletariat als auch das verschuldete Kleinbauerntum in Bedrängnis brachte, begünstigte die Verbreitung radikalen Gedankengutes. Ármin Práger, András Szalay und ihre konspirativ organisierten Mitstreiter agitierten gegen das bestehende „Wuchersystem“, das durch brutale Schuldeintreibungen für viele existenzbedrohende Ausmaße angenommen hatte. Zwischen Beginn und Mitte der 1880er Jahre trat der Anarchismus vor allem durch die „Propaganda der Tat“ hervor (Thorpe in Bak 1991, 239). Eine offene Versammlungstätigkeit war durch den Polizeiapparat verunmöglicht, der bereits bei leisen Anzeichen subversiven Handelns mit Verhaftungen und mit der Beschlagnahmung „communistischer“ Schriften reagierte.
Der Anarchismus blieb in Ungarn bis zur Jahrhundertwende eindeutig durch die agrarsozialistische Bewegung geprägt. Dazu kam aber eine befruchtende Wirkung, die von urbanen libertären Zirkeln ausging. Unter dem Einfluss Jenő Henrik Schmitts nahm der Anarchismus nun gewaltfreie Formen an. In seinem Blatt „Állam nélkül“ („Ohne Staat“) vertrat Schmitt einen antiklerikalen Kurs, betonte jedoch den Stellenwert spiritueller und ethischer Momente (Gautsch 2017, 30-55). Durch Wanderlehrer und Saisonarbeiter gelangten die Neuerungsideen nun auch in die abgelegensten Dörfer. Als eine weitere zentrale Person trat István Várkonyi hervor, der Grund und Boden zu Gemeineigentum machen wollte. Das von ihm herausgegebene Blatt „Földmívelő“ („Landarbeiter“) wurde nach den großen Erntestreiks von 1898 verboten (Bernád 2017, 185; Hoensch 1991, 72).2
Die Entwicklung nach 1900 war von einer klaren Hinwendung zum Anarchosyndikalismus gekennzeichnet, wobei entscheidende Impulse aus Frankreich kamen (Thorpe in Bak 1991, 247 f). Der Syndikalismus betonte die Rolle der Gewerkschaften, die über ihre Funktion als Interessenvertretung hinaus zu Trägern von Produktion und Distribution werden sollten. Die Programmatik des Syndikalismus fand sowohl im industriellen als auch im ländlichen Proletariat spürbare Resonanz. Als führender Exponent dieser Strömung trat Ervin Szabó auf, der u. a. mit Ervin Batthyány zusammenwirkte, 1907 Begründer der Zeitschrift „Társadalmi Forradalom“ („Soziale Revolution“) (Szabó 1908 in Bak 1991, 93-117; Batthyány 1907 in Bak 1991, 29-34). Beide übersetzten wichtige sozialistische Autoren ins Ungarische. Aus den anarchosyndikalistischen Aktivitäten gingen u. a. eine Reformschule für junge Bauern und Landarbeiter im westungarischen Bögöte sowie die Budapester „Bibliothek sozialistischer Studierender“ hervor (Jászi 1923 in Bak 1991, 213-217).
Ein neues Kapitel anarchistischer Geschichte in Ungarn wurde während der revolutionären Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg aufgeschlagen, in einer Zeitspanne, in der sich eine hohe Übereinstimmung zwischen den Prinzipen einer direkten partizipativen Arbeiterdemokratie, wie sie von der anarchistischen Gruppe um Károly Krausz in Budapest vertreten wurde, und den entstehenden Rätestrukturen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen zeigte (Krausz 1919 in Bak 1991, 35-39). Die im März 1919 aus Sozialdemokraten und Kommunisten gebildete Räteregierung fand zunächst die Unterstützung der Gruppe um Krausz (Barricade Collective 2006, 3 f). Doch der zunehmend autoritäre Umgangston der Regierenden förderte die Abwehrhaltungen auf anarchistischer Seite, sodass es schließlich zum Bruch kommen musste. Die folgenden Versuche der „Anarchistische Union“, dem revolutionären Geschehen wieder eine libertäre Note zu verleihen, scheiterten jedoch bereits im Vorfeld (Everett 2006, 21).
Programmatisch setzt der Anarchismus auf antiautoritäre gesellschaftliche Strukturen, auf Föderalismus und Selbstverwaltung, auf die „freie Initiative der Individuen“ (Haas in Greussnig 1989, 34). In Ungarn gelang es während des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, erhebliche Teile der Arbeiterschaft für anarchistische Ideen einzunehmen und damit den Bestand libertärer Traditionen über mehrere Jahrzehnte aufrechtzuerhalten. Wesentlich hatte dieser Umstand damit zu tun, dass das oftmals zögerliche Vorgehen der sozialdemokratischen Führung sozialistischen Minderheiten ein erhöhtes Gewicht verschaffte, weil sie streitbarer und mit deutlich mehr Entschlossenheit nach neuen Wegen suchten.
Die Revolution in Westungarn 1918
Zu Jahresbeginn 1918 wurde das Habsburgerreich von einer Protestwelle erfasst, die auch Ungarn nicht verschonte. Die Bevölkerung forderte eine sofortige Beendigung des Krieges, verbesserte Arbeitsbedingungen sowie Maßnahmen zur Linderung des sozialen Elends. Unverkennbar hatte die Revolution in Russland 1917 entscheidende Impulse geliefert. In Westungarn wurde die revolutionäre Stimmung auf Massenversammlungen spürbar. Der Zusammenbruch staatlicher Strukturen bedingte, dass öffentliche Aufgaben nun immer mehr von lokalen Räten übernommen wurden. Die zunehmenden Unruhen, die sich rasch vom Norden auf den Süden ausdehnten – besonders betroffen war die Region Oberwart –, wurden vor allem durch unzufriedene Bauern und Kriegsheimkehrer ausgelöst. Hinzu kam ein Streik der Eisenbahner, der den Verkehr in Westungarn tagelang lahmlegte (Schlag 2001, 91, 132 f).
Die Bildung bewaffneter Territorialkräfte entsprach dem Versuch, wieder etwas Ordnung in das Geschehen hineinzubringen, nachdem die konfuse Lage auch von Plünderern ausgenutzt worden war. In Mattersdorf (ab 1924 Mattersburg) kam es Anfang November 1918 zur Schaffung einer 360 Mann, überwiegend aus Kriegsheimkehrern bestehenden Arbeitergarde. Die entscheidenden Akteure, insbesondere Hans und Josef Suchard sowie Anton und Viktor Kräftner, verfolgten jedoch weiter gehende Ziele. Ihnen und ihrer gar nicht kleinen Anhängerschar ging es darum, die mehr als 300 deutschsprachigen Gemeinden zusammenzufassen und einen westungarischen Freistaat ins Leben zu rufen (Hütterer 2018, 35). In diesen Autonomiebestrebungen spiegelte sich sowohl die Auflösung des Habsburgerreiches als auch die verfehlte Minderheitenpolitik Budapests der vergangenen Jahrzehnte wider. Da eine Anbindung an Neu-Österreich zu dieser Stunde unrealistisch erschien, konnte nur die Gründung einer eigenen „Heinzenrepublik“3 infrage kommen. Ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass die Westungarn mit ihren Vorstellungen nicht alleine standen. Im polnischen Tarnobrzeg gelang im November 1918 die kurzzeitige Etablierung einer sozialistischen Bauernrepublik (Senft 2019, 24). Gleichzeitig setzte der Arbeiter- und Soldatenrat der deutschen Stadt Bremen Maßnahmen zum Aufbau einer Räterepublik (O. V. 1968, 334 ff). Auf dem Gebiet der Ukraine war eine Bauernarmee aktiv mit dem Ziel, die herrschenden Gutsbesitzer zu vertreiben und eine anarchistische Ordnung zu errichten (Arschinoff 1921, 57). In vielen Regionen Europas entstanden nach dem Zerfall der Großreiche größere oder kleinere Freistaaten.
Hans Suchard stammte aus einer Arbeiterfamilie, hatte im Ersten Weltkrieg an der Isonzo-Front gedient und war schwer verwundet in seine Heimat zurückgekommen (Weisgram 2018, 7). Umtriebig reiste er nun von Versammlung zu Versammlung, um seine Landsleute auf kommende Entwicklungen vorzubereiten. In Mattersdorf ging man daran, die bestehende Administration aufzulösen, der Bezirkshauptmann wurde abgesetzt und die Gebietsverwaltung in eigene Hände übernommen. Im Laufe des Novembers wurden die Vorbereitungen zur Gründung einer Republik „Heinzenland“ intensiviert. Flugblätter wurden gedruckt und Plakate affichiert. Um dem Vorhaben Nachdruck zu verleihen, sollte die örtliche Garde mit geeigneten Waffen ausgerüstet und nach Ödenburg (der künftigen Republikshauptstadt) entsandt werden. Dazu forderte man die Unterstützung des Arbeiter- und Soldatenrates in Wiener Neustadt sowie des an der Grenze stationierten österreichischen Militärs an. Hier war man bereit, zumindest mit Waffenlieferungen aushelfen. Allerdings kam nur ein kleiner Teil der am 5. Dezember in Gang gesetzten Transporte am Zielort an, alle anderen Lieferungen wurden abgefangen. Der Wille, rasch und unverzüglich Fakten zu schaffen, blieb trotzdem ungebrochen. Noch in den Abendstunden des 6. Dezember wurde in Mattersdorf feierlich der Freistaat ausgerufen, verbunden mit der Zielsetzung, wirtschaftlich eng mit Österreich zu kooperieren. Das Gründungsmanifest des „Heinzenlandes“ enthielt die Berufung auf das von US-Präsident Woodrow Wilson verkündete „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ (Schlag 2001, 138).4 Womit man aber offenbar nicht gerechnet hatte: Noch während der Nacht setzte sich ein Panzerzug mit ungarischen Einheiten an Bord in Bewegung, um am frühen Morgen ganz Mattersdorf zu umstellen und die örtliche Garde zur Aufgabe zu zwingen.
Für das Scheitern des Vorhabens war maßgeblich, dass man im revolutionären Eifer vergessen hatte, die Kommunikationswege nach außen abzuschneiden und die Bahnhöfe zu besetzen. In Wien waren die Presseredaktionen, aber keine politischen Stellen von den Plänen verständigt worden. Als die Zeitungen am 7. Dezember die Ausrufung eines Freistaates in Westungarn meldeten, war dies bereits nicht mehr aktuell. Die Mehrheit der westungarischen Bevölkerung sympathisierte zwar mit den Sezessionsbestrebungen, allerdings war sie in die Vorbereitungen nicht ausreichend eingebunden. Informationen waren zu schleppend weitergegeben worden, in den südlich gelegenen Dörfern kamen sie oft gar nicht an. Suchard und andere führende Separatisten landeten vor einem improvisierten Standgericht und wurden zum Tode verurteilt. Es kam jedoch zu keiner Vollstreckung und die des Hochverrats Beschuldigten wurden nach Ödenburg geschafft, um sie vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Letztlich ging die Sache für die meisten Beteiligten aber glimpflich aus, da sie von der „Weihnachtsamnestie“ 1918 profitierten. Einer der Akteure kam unter ungeklärten Umständen im Gefängnis ums Leben (Schlag 2001, 140).
Dem Geschehen in einer nachträglichen Beurteilung „abenteuerliche operettenhafte Züge“ (Fred Sinowatz) zu unterstellen, mag zwar naheliegend erscheinen, doch sollte die Resonanz auf die Ereignisse nicht unterschätzt werden (Schlag 2001, 144). In Paris, wo um eine Nachkriegsordnung gerungen wurde, erkannte man erstmals richtig die Bedeutung der westungarischen Frage. Alarmiert war man auch in Budapest, wo klar wurde, dass man zumindest die Bodenreform nun rasch voranzutreiben habe. Westungarn blieb noch über mehrere Jahre ein heftig umkämpftes Gebiet. Als sich 1921 die militärische Lage erneut zuspitzte, war es der Anarchist und radikale Pazifist Rudolf Großmann (= Pierre Ramus), der den Autonomiegedanken erneut aufgriff (Ramus 1921, 1). Er forderte, dass „Westungarn ein neutrales, autonomes, sich selbst gehörendes, sowohl von Ungarn, wie von Österreich freies, unabhängiges Landesgebiet werde“!
Die ungarische Räterepublik 1919
Ein Produkt der revolutionären Umbrüche nach dem Ersten Weltkrieg war auch die Ausrufung der ungarischen Räterepublik im März 1919 (Koller; Marschik 2018). Die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch eine sozialdemokratisch-kommunistische Allianz wurde ohne Einsatz von Gewalt vollzogen. Mit dieser für viele unerwarteten Wende gelangten die Akteure der „Heinzenrepublik“ von 1918 wieder in politische Ämter. In einem seiner autobiografisch gefärbten Texte berichtet Hans Suchard, dass die westungarischen Sozialisten „an alle ihnen angeschlossenen Organisationen die Weisung“ ausgaben, der neuen Regierung in Budapest „Gefolgschaft zu leisten“ (Suchard 1931, 76). Hans Suchard wurde Mitglied des Komitatsrates, übernahm das Amt des Politischen Bezirkskommissars und stieg zum Abgeordneten im „Landeskongress der Räte“ auf (Atlas 2018).5
Mit der politischen Neuordnung sollte in Ungarn ein „Stoß in die Moderne“ bewirkt werden. Zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Räteregierung zählten die Verstaatlichung der Industriebetriebe, des Bankenwesens, des Bergbaus, wesentlicher Teile der Infrastruktur sowie des Großhandels. Ein eigenes Sozialisierungskonzept wurde im Wohnungssektor umgesetzt. Das gesamte ökonomische Geschehen war nun einer zentralen Leitung untergeordnet. Zahlreiche gesellschaftspolitische Reformen stellten das Sozialversicherungs- und Gesundheitswesen auf neue Beine. Mit dem nunmehr uneingeschränkten Zugang des weiblichen Teils der Bevölkerung zu einer höheren Bildung wurden in Ungarn erstmals auch frauenpolitische Forderungen berücksichtigt. Im Bereich der Kulturpolitik kam es zu einem breiten Ausbau der Kunstförderung, auch das Bildungs- und das Ausbildungswesen wurden modernisiert, wobei besonderes Augenmerk auf die Erwachsenenschulung gelegt wurde (Senft 2019, 43 ff, 56 ff).
Ein Teil der projektierten Vorhaben, etwa im Bereich der Verkehrspolitik, konnte relativ zügig und erfolgversprechend umgesetzt werden. Dass es daneben aber auch zu einem Problemstau kam, hatte nicht nur mit den Gebietsstreitigkeiten bzw. den militärischen Auseinandersetzungen zu tun, in die Ungarn mit seinen Nachbarn verwickelt war, sondern auch mit durchaus vermeidbaren Fehlern aufseiten der Räteregierung (Senft 2019, 47 f, 49 ff, 60 f):
Zu den ersten Maßnahmen gehörte die Beendigung der „wilden Bodenbesetzungen“, mit denen Landarbeiter und kleine Bauern bereits 1918 begonnen hatten. Zielsetzung der Regierung war es, die landwirtschaftliche Produktion staatlichen Betrieben zu überlassen. Dies stand im Gegensatz zu der Wunschvorstellung weiter Bevölkerungskreise, die genossenschaftliche Zusammenschlüsse und Eigenwirtschaften präferierten.
Die größeren Betriebe waren nach der Verstaatlichung zwar einer (beschränkten) Arbeiterkontrolle unterworfen worden, oftmals jedoch blieben die Unternehmer und Manager in ihren ursprünglichen Positionen, da die Spitzen der Räterepublik nicht auf das vorhandene Know-how verzichten wollten. Für die Arbeiterschaft entstand damit aber oft der Eindruck, dass sich für sie im Grunde nichts verändert habe.
Die anfängliche Phase des „Experimentierens“ mit monetären Mitteln bedingte, dass viel Zeit vergeudet wurde, bevor ein rationales Muster in der Geldpolitik erkennbar werden konnte. Das größte Problem in Ungarn stellte bis zur erstmaligen Emission räterepublikanischen Geldes in der zweiten Juli-Hälfte 1919 die Inflation dar, durch die die Löhne permanent entwertet wurden.
Das Vertrauen in die bestehende Ordnung wurde nicht zuletzt durch den „Roten Terror“ erschüttert. Bewaffnete Sonderkommandos führten auf der Suche nach konterrevolutionären Kräften willkürlich Festnahmen durch, wobei sich rasch herumsprach, dass die selbst ernannten Ordnungsmächte auch vor Folterungen und Liquidierungen nicht zurückschreckten.
Der ungarische Rätekongress kritisierte zwar die zunehmenden Gewaltexzesse scharf und drängte auf eine Abschaffung der Todesstrafe, konnte sich aber nicht durchsetzen (Ruegg 1921, 23). Was den westungarischen Raum anbelangt, dürfte dieser von den Auswüchsen des „Roten Terrors“ weitgehend verschont worden sein (Suchard 1931, 85), Spannungen zwischen uniformierten Vertretern des Regimes und der Zivilbevölkerung waren dennoch wahrzunehmen. In seiner Reportage „Reise durchs Heanzenland“ berichtet Joseph Roth, dass Rotgardisten auf offener Straße harmlose Bürger anhielten, um sie um einige Geldscheine zu erleichtern (Roth 2019, 118). Die jüdische Bevölkerung scheint unter derartigen Übergriffen besonders gelitten zu haben.
Konfliktbeladen war auch das Verhältnis zwischen Rotgardisten und bäuerlicher Bevölkerung. Die Kommunisten schätzten das Bauerntum zumeist als „reaktionär“ ein (Ruegg 1921, 13).6 (Tatsächlich war es jedoch so, dass die ungünstige wirtschaftliche Lage des kleinen und mittleren Bauerntums bewirkte, dass bereits frühzeitig eine Offenheit gegenüber sozialistischen Ideen entstand. Das erste vor der Jahrhundertwende in Ungarn in Umlauf gebrachte Bauernblatt trug jedenfalls eine sozialistische Ausrichtung.) Umgekehrt bestanden bei kleinen Bauern und Landarbeitern wegen der abgebrochen Bodenbesetzungen ebenfalls erhebliche Abwehrhaltungen. Außerdem griff das Regime mit einer völlig überflüssigen Verbotskultur – Roth berichtet von streng gehandhabten Alkohol- und Tanzverboten – in das Alltagsleben der Bevölkerung ein (Roth 2019, 118). Ein Vorfall, der sich in der Ortschaft Harkau ereignete, illustriert das Ganze (Schindler 1987, 128). An einem Frühsommertag tauchten um die Mittagszeit Uniformierte in Feierlaune auf, um im Dorf ein halbes Dutzend Schweine zu requirieren. Das Borstenvieh sollte ohne Verzögerung zum Schlachten gehen. Einwände der Bauern, dass die warme Jahreszeit zum Schlachten ungeeignet wäre, wurden nicht akzeptiert. Die Situation eskalierte, als einer der Rotgardisten sein Gewehr in Anschlag brachte, um der Sache Nachdruck zu verleihen. Zum Glück für die Bauern kam gerade der Ortskommandant vorbei, der dem Treiben seiner Leute rasch ein Ende setzte und klarmachte, dass undiszipliniertes Verhalten von einem Revolutionstribunal geahndet werde.
Nach 133 Tagen war die ungarische Räterepublik Geschichte. Anfang August 1919 waren die außenpolitische Isolierung und der militärische Druck vonseiten der Nachbarstaaten zu stark geworden. In der Folge bestimmten Übergangsregierungen das politische Geschehen in Ungarn, bis Mitte November 1919 Miklós Horthy als wesentlicher Exponent der Gegenrevolution an der Spitze seiner Kampftruppe in Budapest einzog. Für die Westmächte war Horthy ein Garant für die „Normalisierung“ der Lage in Ungarn, für seine Gegner wurde er zum Hauptverantwortlichen für den „Weißen Terror“, der Tausende Menschen das Leben kostete und der unzählige in die Flucht trieb.7
Schlussakt: Vom „Heinzenland“ zum Burgenland
Der Anfang März 1920 zum Staatsoberhaupt gekürte Miklós Horthy wachte in den folgenden Jahren über die politischen Geschicke Ungarns. In den Beginn seiner Amtszeit fällt der Abschluss des Vertrags von Trianon vom 26. Juni 1920, der Ungarn einen Gebietsverlust von rund 70 Prozent seiner Landfläche und einen Bevölkerungsschwund von mehr als 60 Prozent bescherte (Hoensch 1991, 78). Der damit verbundene Schock trug zweifellos dazu bei, dass um den Verbleib des westungarischen Raumes im magyarischen Staatsgebiet nun besonders heftig gerungen wurde. Allerdings hatte bereits der Friedensvertrag von St. Germain vom 10. September 1919 vorgesehen, Westungarn inklusive Wieselburg und Ödenburg dem neuen Österreich zuzusprechen. Die endgültige Lösung der Frage wurde jedoch auf die lange Bank geschoben.
Die Bevölkerung Westungarns gliederte sich in eine überwiegend deutschsprachige Mehrheit sowie in eine größere kroatische und eine kleinere magyarische Minderheit. Hinsichtlich einer Einverleibung des Gebietes durch Österreich gab es seitens der Einwohnerschaft eine mehrheitliche Zustimmung, was nicht zuletzt den Schikanen Horthy-Ungarns zuzurechnen war, denen die deutsche Sprachgruppe ausgesetzt war (Hohenbichler 1971, 10). Die weiteren Verhandlungen waren vor allem durch Fragen der exakten Grenzziehung bestimmt, wobei immer deutlicher wurde, dass es der österreichischen Seite an Durchsetzungsmöglichkeiten mangelte und Horthy-Ungarn so auf Zeit spielen konnte. Zusätzliche Verwirrung stifteten die beiden Restaurationsversuche des Hauses Habsburg in Ungarn im März und im Oktober 1921. Immerhin aber steigerten derartige Aktivitäten das Interesse aufseiten der Siegermächte, rasch zu einem Abschluss zu gelangen, sodass die Aufforderung an Ungarn erging, seine Truppen aus Westungarn abzuziehen. Horthy-Ungarn begann daraufhin, paramilitärische Einheiten (in ungarischer Diktion „Freischärler“) für einen Einsatz im umstrittenen Gebiet aufzustellen. (Schlag 2001, 394 ff).
Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Trianon am 26. Juli 1921 war der Weg zur offiziellen Übergabe Westungarns frei. Doch als österreichische Gendarmen und Zollwachebeamte Ende August 1921 die Grenze überschritten, wurden sie von regulären ungarischen Truppen und paramilitärischen Einheiten angegriffen. Horthy-Ungarn rechtfertigte das Vorgehen mit der Befürchtung, die „Roten“ könnten in Westungarn wieder ein bedeutender Faktor werden. Rund 2.000 von österreichischer Seite in Einsatz gebrachte Kräfte mussten sich nach wenigen Tagen unter schweren Verlusten zurückziehen (Schlag 2001, 401 ff, 422). Die ungarischen Paramilitärs verbreiteten nicht nur Angst und Schrecken in dem von ihnen gehaltenen Gebiet, sondern überfielen auch Grenzorte in Österreich.
Der Ortschronik von Bad Sauerbrunn ist zu entnehmen: „In der Freischärlerzeit hielten zwanzig Freischärler das Stationsgebäude besetzt, sie rissen Geleise auf, sodass der Zugverkehr während dieser Zeit unterbrochen war. Für die Verpflegung musste die Gemeinde sorgen. […] Die Freischärler waren ungemein verhasst, das zeigte schon der Umstand, dass man sie Banditen nannte.“ (Balasko; Kern 1999, 56). Um Westungarn gänzlich dem Zugriff der Österreicher zu entziehen, gingen die „Freischärler“ Anfang Oktober daran, einen eigenen Staat mit der Bezeichnung „Lajtabánság“ ins Leben zu rufen (Schlag 2001, 91, 430 ff). Nun ging es darum, weitere Verzögerungen im Einigungsprozess zu vermeiden. Noch im Oktober fand in Venedig unter der Teilnahme von Vertretern Italiens, Österreichs und Ungarns eine Konferenz statt, die deutliche Fortschritte zeigte. In dem am 13. Oktober 1921 unterzeichneten Protokoll wurde festgehalten, dass das westungarische Gebiet „von den Banden gesäubert“ werden soll, um „in vollster Ruhe und Sicherheit von Österreich in Besitz genommen“ zu werden. Offen blieb jedoch der Zeitpunkt der Übergabe: „Es wird der Kommission der interalliierten Generale obliegen, festzustellen, wann diese Pazifizierung durchgeführt ist und wann demzufolge Österreich zur Besitznahme des Landes schreiten soll.“ (Protokoll in Hohenbichler 1971, 23).
Das wohl wichtigste Ergebnis der Konferenz in Venedig war, dass die Gebietsabtretung nicht ohne vorherigen Volksentscheid durchgeführt werden sollte (Protokoll in Hohenbichler 1971, 24). Obwohl eine derartige Vereinbarung niemals zuvor ein Thema gewesen war, wurde damit dem Wunsch Ungarns entsprochen. Die Vertreter Italiens hatten sich in diesem Punkt aus geopolitischen Erwägungen heraus für die magyarische Seite starkgemacht, weil man Horthy-Ungarn für einen antislawischen Block gewinnen wollte.8 Die Volksabstimmung fand unter Aufsicht Italiens am 14. Dezember 1921 statt. Die Bevölkerung entschied sich mehrheitlich für einen Beitritt zu Österreich. Lediglich die Einwohnerschaft von Ödenburg und Umgebung votierte dagegen, wobei alles darauf hindeutete, dass hier eine Abstimmungsmanipulation vorlag (Ullrich o. J., 6). Deutsch-Westungarn gelangte also schließlich doch zu Österreich, allerdings hatte sich Wien mit einem kleineren als ursprünglich in Aussicht gestellten Gebiet zufriedenzugeben. Die vorgesehene Bezeichnung „Vierburgenland“ musste fallengelassen werden, aus dem früheren „Heinzenland“ wurde einfach das Burgenland.9
Anmerkungen:
1 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde für den vorliegenden Text durchgehend die männliche Geschlechtsbezeichnung gewählt. Es versteht sich aber von selbst, dass damit sämtliche geschlechtliche Ausprägungen gemeint sind.
2 Erstaunlich erscheint die unter einfachen Bauern und Feldarbeitern verbreitete Erinnerungskultur. Die Bevölkerung Hódmezővásárhelys (Komitat Csongrád) beging den 1. Mai 1893 unter selbst genähten, mit dem Symbol rotes Kreuz auf weißem Grund versehenen Fahnen. Dieses Zeichens hatten sich bereits die Bauernrevolutionäre des 16. Jahrhunderts bedient (Márta in Erdélyi 2015, 329).
3 Die Benennung Heinzenland (auch: Heanzenland) ergab sich aus dem Begriff „Heanzen“ (vgl. Winterstetten 1919). Derart wurden die im 11. Jahrhundert aus dem süddeutschen Raum zugewanderten Bauern bezeichnet. Andere Einschätzungen gehen davon aus, dass sich dieser Begriff aus den sprachlichen Eigentümlichkeiten der Region Westungarn ergab.
4 Das Manifest befindet sich heute zusammen mit anderen aussagekräftigen Dokumenten im Burgenländischen Landesarchiv in Eisenstadt.
5 Das Ziel einer westungarischen Autonomie wurde von Hans Suchard und seinen Gefährten auch in der Phase der Räterepublik nicht aufgegeben.
6 Dass die Haltung der Bauernschaft nach dem Ersten Weltkrieg alles andere als konterrevolutionär gewesen ist, musste sogar der prominente Austromarxist Otto Bauer zugestehen (Bauer 1923, 122 f.).
7 Gegenüber dem „Roten Terror“, der nicht wenige Menschen das Leben kostete (geschätzt werden 153 bis 400 Opfer), gebärdete sich der „Weiße Terror“ wesentlich extremer. In dessen Opferbilanz finden sich an die 5.000 ermordete Personen. Ausführlich dazu: Senft 2019, 61, 63 f.
8 Ungarnfreundlich äußerte sich 1921 auch der zu dem Zeitpunkt noch wenig bekannte Journalist und Politiker Benito Mussolini, der spätere faschistische Diktator in Italien (Schlag 2001, 441).
9 Die erste burgenländische Landesregierung trat in Bad Sauerbrunn zusammen. Eisenstadt wurde erst 1925 zur Hauptstadt des Burgenlandes.
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