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Silvio Gesell

Silvio Gesell (1862-1930)

Mit der Verbreitung der Publikationen Silvio Gesells gewann die Debatte um das „Schwundgeld“ erstmals an Dynamik. Sein Hauptwerk „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ erschien auf dem Höhepunkt des Schlachtengetümmels im Ersten Weltkrieg 1916. Bald sollten weitere Auflagen und auch erste Übersetzungen folgen.
(Bildquelle: Wikimedia Commons)

Die Familie Silvio Gesells stammte aus dem Ardennen-Eifel-Gebiet. Nachdem Gesell als junger Migrant nach Argentinien gekommen war, baute er in Buenos Aires ein Unternehmen auf. Als ein Praktiker des Geschäftslebens mit zahlreichen Krisen konfrontiert, die zumeist auf den Geldsektor zurückzuführen waren, begann er sich mit ökonomischen Modellen zu befassen. Fragen der Geldemission wurden um 1900 durch zwei konkurrierende Denkschulen zu klären versucht. Während die Anhänger der Currency-Lehre für eine restriktive Geldpolitik eintraten – die Banknoten sollten überwiegend durch Gold gedeckt sein –, plädierten die Vertreter der Banking-Theorie eine Anpassung des Notenumlaufs an die Erfordernisse der Wirtschaftstätigkeit. Gesells gedankliche Ansätze waren der Traditionslinie der Banking-Schule zuzuordnen. Seine Lehre durchbrach die von (neo-)klassischen Ökonomen der Wirtschaft unterstellte Gliederung in einen monetärem und einen realen Sektor (die sogenannte klassische Dichotomie), die den Einsatz von Geldpolitik sinnlos erscheinen lässt (da jede Erhöhung der Geldmenge nur inflationäre Effekte mit sich bringe, so das Argument). Gesell schlug eine Beschleunigung der Umlaufmittel vor, um Stagnationserscheinungen entgegenzuwirken und mehr Fairness auf der Verteilungsebene herbeizuführen. Ein gradueller Wertverlust der Währung sollte den Geschäftsaktivitäten Schwung verleihen, Investitions- und Konsumausgaben anregen, um damit Deflation und Arbeitslosigkeit zu verhindern. Das kapitalistisch organisierte Kreditwesen würde zurückgedrängt, da monetäre Mittel unter Umlaufzwang rasch und kostengünstig (d. h. ohne Zinslasten) dort landen, wo sie dringend benötigt werden. Wenn sich die Wohlstandsspirale ausreichend gedreht habe, würden Sättigungseffekte dazu führen, dass sich die Menschen anderen Tätigkeiten als dem Gelderwerb zuwenden – ein Entwicklungsziel, dass als ressourcenschonend begriffen werden kann. Für die Durchführbarkeit von Gesells Reformen sollte anstelle der Notenbank ein eigenes Währungsamt sorgen. Der ökonomische Autodidakt strebte jedoch kein nationales Lösungsmodell an. Er plädierte vielmehr für Länderzusammenschlüsse, die nach seiner Einschätzung die erstrebte wirtschaftliche Stabilität besser zu garantieren imstande sind. Nachdem für Gesell aber auch klar war, dass es zu einem Run auf Sachwerte, Rohstoffe und Landflächen kommen wird, sobald das Horten von Reichtum in Geldform unterbunden ist, erachtete er ein eigenes Konzept für die Verwaltung von Grund und Boden als notwendig. Unter dem Titel „Freiland“ entwarf er das Programm eines Pächtersozialismus, das die Überleitung des Faktors Grund und Boden in öffentliches Eigentum vorsieht, um so den Gemeinden oder dem Staat die Abschöpfung entsprechender Renten und Wertzuwächse zu ermöglichen. Die so gewonnenen Mittel sollten sozialen Zwecken zur Verfügung stehen. Als Begünstigte treten mit der Beendigung der Rentenökonomie, so Gesell, die Bezieher von Arbeitseinkommen hervor. Kein Zinsgewinn, keine Grundrente sollten nach der Durchführung der Reformen die Arbeitseinkommen mehr schmälern können. Die ersten Veröffentlichungen Gesells erschienen auf Spanisch, später publizierte er auf Deutsch. Eine breite Rezeption seiner Ideen setzte am Beginn der Zwischenkriegszeit ein. Die krisenhaften Bedingungen auf wirtschaftlicher Ebene trugen das Ihre dazu bei, dass es zu verschiedenen Freigeld-Versuchen auf lokaler Ebene kam. Eine erste größere Enquete über die Freigeldlehre kam in der Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg zustande. Auch in Österreich, wo durch Freiland-Bewegung Hertzkas bereits Vorarbeit geleistet worden war, wurde Gesell mit seiner Lehre sehr bald wahrgenommen. Gesell zog, nachdem sein Unternehmen in Argentinien in Schwung gekommen war, wieder nach Europa, wo er zunächst in der Schweiz, später in Deutschland lebte. Im Revolutionsjahr 1919 wurde er von Aktivisten der Bayerischen Räterepublik, von Gustav Landauer und Erich Mühsam, als „Volksbeauftragter für Finanzen“ nach München geholt. Nach dem Räteabenteuer vor Gericht, gelang es Gesell nur durch tatkräftige Unterstützung seines Freundeskreises ungeschoren davonzukommen. Seine letzte Lebensphase verbrachte Gesell in der Genossenschaft Eden in Oranienburg im Umland von Berlin.

Literatur:
  • Gerhard Senft: Weder Kapitalismus noch Kommunismus. Silvio Gesell und das libertäre Modell der Freiwirtschaft. Archiv für Sozial- und Kulturgeschichte, Band 3, Berlin 1990.

  • Roland Wirth: Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. Eine Neubewertung der Freiwirtschaftslehre aus wirtschaftsethischer Sicht. St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik, Band 34, Bern - Stuttgart - Wien 2003.