Nadine Thielemann
Nadine Thielemann
Researcher of the Month
Zwischen Motzen und Moral: Konfliktkultur am Arbeitsplatz im Ländervergleich
Verfehlungen am Arbeitsplatz wie das unzureichende Ausführen eines Arbeitsauftrages bergen ein großes Konfliktpotenzial in sich. WU Professorin Nadine Thielemann und ihre KollegInnen am Department für Fremdsprachliche Wirtschaftskommunikation untersuchten in einer aktuellen Studie die sprachlich-kulturellen Unterschiede im Umgang mit internen Konflikten bzw. Kritik an Mitarbeitenden in verschiedenen Ländern. Kulturelle bzw. sprachliche Spezifika zeigten sich besonders in der Direktheit mit der die Verfehlung am Arbeitsplatz angesprochen wird, in der Verknüpfung aus Thematisierung des Problems und dem dazugehörigen Lösungsvorschlag aber auch in der Bedeutung von Macht- und Hierarchiebewusstsein.
Kulturelle Unterschiede in der Kommunikation können in einer zunehmend internationalen Arbeitswelt zur Herausforderung werden – vor allem dann, wenn sie sich in schwierigen Situationen wie bei Beschwerden oder Verfehlungen herauskristallisieren. Nadine Thielemann leitet an der WU das Department für Fremdsprachliche Wirtschaftskommunikation und untersuchte in einer aktuellen Studie, wie Kritik aufgrund von beruflichen Fehlleistungen in Frankreich, Deutschland, Russland, Österreich und Polen kommunikativ bearbeitet werden. Thielemann erklärt: „Beschwerden, weil zum Beispiel ein Arbeitsauftrag nicht korrekt ausgeführt, ein Akt falsch eingeordnet wurde, stellen eine Form der moralischen Kommunikation dar. Sie thematisieren oft Verfehlungen und weisen den jeweiligen AdressatInnen die Verantwortung dafür zu. Oftmals werden in Beschwerden auch Kompensationsleistungen zur Wiedergutmachung bzw. zur Problemlösung eingefordert, zum Beispiel wird der/die betreffen MitarbeiterIn angehalten, den Fehler zu korrigieren oder eine zusätzliche Leistung zu erbringen. Die Art und Weise wie Kritik am Arbeitsplatz kommuniziert wird, wird insbesondere auch durch das Machtverhältnis der KommunikationspartnerInnen beeinflusst und hängt außerdem stark davon ab, welche soziale Distanz zwischen ihnen herrscht. Darüber hinaus spielt die Schwere der Verfehlung eine wichtige Rolle bei der Beschwerde.“ Die Studie wurde anhand einer Online-Umfrage wissenschaftlicher MitarbeiterInnen an Universitäten in Russland, Polen, Deutschland, Österreich und Frankreich durchgeführt.
Macht- und Statusbewusstsein in Frankreich
In der Studie hat sich gezeigt, dass in allen untersuchten Sprachen bzw. Kulturen von Führungskräften an MitarbeiterInnen gerichtete Beschwerden sehr lösungsorientiert realisiert wurden. Unterschiede konnten aber in der Art und Weise festgestellt, wie der Lösungsvorschlag unterbreitet wurde: Die französischen TeilnehmerInnen tendierten dazu, das Problem direkt anzusprechen und dem/der Mitarbeitenden klar die Verantwortung dafür zuzuschreiben, bevor schließlich eine Lösung eingefordert wurde. In den deutsch- und slawischsprachigen Beschwerden spielten hingegen weder die Thematisierung der Verfehlung noch die Zuweisung der Verantwortung eine derart zentrale Rolle. Im Russischen und Polnischen wurde der Lösungsvorschlag unmittelbar als Aufforderung zu handeln realisiert, während in den deutschsprachigen Daten eher analytisch vorgegangen wurde. Hier bat die Führungskraft oftmals zunächst um ein Bild der Lage und machte zudem ein Unterstützungsangebot, um auf eine Lösung hinzuarbeiten. Auffällig ist auch, dass in Deutschland und Frankreich Führungskräfte ihre Beschwerde wesentlich seltener rechtfertigen mussten. Nadine Thielemann erklärt: „Die französischen Beschwerden illustrieren ein sehr macht- bzw. statusbewusstes Handeln, welches der Führungskraft erlaubt, Verfehlungen direkt anzusprechen und Kompensationen einzufordern, ohne sich dabei auf Diskussionen einlassen zu müssen. Auch deutschen Führungskräfte mussten ihre Kritik selten rechtfertigen, zeigten sich allerdings sehr konstruktiv, da sie den Mitarbeitenden auch in kritischen Situationen noch relativ viel Handlungsautonomie zugestanden. Die slawischen Daten weisen eine ähnlich starke Lösungsorientierung auf, wobei die Führungskraft die Lösung hier direkt vom Mitarbeitenden einfordert, ohne diesem dabei viel Gestaltungsspielraum zu lassen.“
Deutsche „nörgeln“ am meisten, französische ProbandInnen setzen auf Vermeidung
In der Beschwerdekommunikation ohne Machtgefälle zwischen den Kommunikationspartnern und wenn es um kleine Verfehlungen geht (wie Verschmutzung in der Gemeinschaftsküche), besteht auch die Möglichkeit, das Risiko einer Konfrontation zu vermeiden, also eine Beschwerde gar nicht vorzubringen. Kulturen sind oft unterschiedlich bereit, dieses „soziale Risiko“ einer Beschwerde einzugehen. Bei den deutschen ProbandInnen zeichnete sich eine besonders ausgeprägte Beschwerdeneigung ab, dicht gefolgt von den österreichischen, polnischen und russischen TeilnehmerInnen. In den französischen Daten entschieden sich dagegen etwas mehr als die Hälfte für eine Vermeidungsstrategie und gaben an, keine direkte Beschwerde zu realisieren.
Bei geringer Verfehlung besteht die Beschwerde sprachübergreifend zumeist ausschließlich aus einem Lösungsvorschlag, wobei dieser in den russischen Daten auch in Form einer inklusiven Aufforderung („Lasst uns…“) realisiert sein kann. In den anderen Sprachen dagegen fordert der Sprecherin bzw. der Sprecher die KollegInnen als potentielle UrheberInnen direkt dazu auf, das angemahnte Verhalten in Zukunft zu unterlassen bzw. den Missstand zu beheben. „Die russischen und deutschen TeilnehmerInnen versuchten außerdem häufiger als die mit anderen Sprachen, die Beschwerdehandlung durch Humor in ihrer sozialen Wirkung abzufedern“, so die Studienautorin.
Interkulturelle Kompetenzen als Schlüsselfaktor im internationalen (Arbeits-)Umfeld
„Die Ergebnisse unserer Studie geben Einblicke in die kulturspezifischen Vorstellungen von rollen- und situationsangemessenem sprachlichen Handeln am Arbeitsplatz. Sie illustrieren, wie Normvorstellungen von sprachlichem Handeln in kritischen Situationen variieren können. Dieses Wissen kann helfen, MitarbeiterInnen auf eine Tätigkeit im Ausland bzw. in einem sprachlich-kulturell diversen Arbeitsumfeld vorzubereiten, indem es ermöglicht, abweichende Handlungsstrategien als kultur- bzw. sprachspezifisch konventionalisiert zu begreifen und so nicht zu einer Quelle für Irritationen werden zu lassen“, erklärt Thielemann.
Die Studie: Thielemann/Göke/Savych: Motzen und Moral. Eine kontrastiv-pragmatische Pilotstudie zur Unzufriedenheitskommunikation am universitären Arbeitsplatz. (in Begutachtung, auf Anfrage)
Nadine Thielemann
Nadine Thielemann leitet das Institut für Slawische Sprachen an der WU. Die Linguistin absolvierte ihr Studium der Slawistik und Politikwissenschaft in Freiburg, Kazan und Krakau. Anschließend lehrte und forschte sie an der Ivan-Franko-Universität in L'viv (Ukraine), der Universität Potsdam sowie der Universität Hamburg. 2015 folgte sie einem Ruf an die WU, wo sie sich seither schwerpunktmäßig mit dem Russischen und Polnischen sowie mit interkulturelle Wirtschaftskommunikation beschäftigt. Dabei stehen insbesondere Sprache im Gebrauch sowie gesprochene Sprache aus face-to-face Interaktion in privaten und institutionellen Kontexten im Zentrum ihrer Forschung. Daneben bildet auch die Diskursanalyse, vor allem des politischen Diskurses in Mittel- und Osteuropa, einen weiteren wichtigen Forschungsbereich. Aktuelle Projekte beschäftigen sich mit kommunikativen Strukturen in ethnic businesses in Wien (v.a. Hotspots der Balkan-community und Russenläden), Verständigungsstrategien in internationaler/mehrsprachiger Projektkommunikation (v.a. ukrainisch-österreichische Konstellationen), CSR-Kommunikation aus kulturvergleichender Perspektive sowie mit der Verschränkung von wirtschaftlichem und politischem Diskurs in den sozialen Medien in Polen und Russland unter Bedingungen einer sich verschärfenden Mediengesetzgebung.