Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal
Lehre im Wintersemester: Kontinuitäten und Wandel unter Pandemiebedingungen
Auch das vierte Semester in Folge findet unter Pandemiebedingungen statt. Ähnlich wie im letzten Herbst entwickeln sich die Infektionszahlen ungünstiger als zunächst erwartet. Grund ist diesmal die deutlich ansteckendere Delta-Variante. Die Impfungen machen im positiven Sinne einen Unterschied zum Vorjahr. Allerdings liegt die österreichische Impfrate unter den ursprünglichen Erwartungen (oder Hoffnungen) und erreicht derzeit nicht einmal den EU-Durchschnitt. Deutlicher als im Vorjahr hat sich der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Heinz Faßmann, zugunsten der Präsenzlehre an den Universitäten positioniert, ähnlich wie im Vorjahr sind die Vorgaben für die Präsenzlehre durch das Ministerium aber eher allgemein gehalten.
Damit sehen sich die Rektorate erneut mit einer unübersichtlichen Pandemie-Lage und bloß allgemeinen Vorgaben bei der Planung des Wintersemesters konfrontiert. Sie gehen in der geplanten Umsetzung der Präsenzlehre unterschiedliche Wege. An der Universität Wien wird in der Präsenzlehre nur jeder zweite Platz besetzt und es gilt zudem Maskenpflicht in den Hörsälen. An der TU Wien erfolgt ebenfalls nur eine halbe Belegung der Hörsäle, Maskenpflicht gilt aber nur für die Gänge und im Hörsaal bis zum Sitzplatz. Die Universität Graz verbindet Maskenpflicht in den Lehrräumen mit einer Vollauslastung der Hörsäle. Das Rektorat der WU hat sich für eine Vollauslastung der Hörsäle ohne Maskenpflicht ausgesprochen. Unter den großen Universitäten ist diese Kombination in Österreich eher die Ausnahme. Ein Teil der Lehrenden fühlt sich in dieser Kombination unzureichend geschützt und sieht – im Lichte der Entwicklung an den Schulen – auch die Gefahr einer relativ raschen Verbreitung der Infektion und sich häufender Quarantänen.
Zusätzlich machen die Universitäten die 3G-Regel zur Zugangsvoraussetzung. Die Medizinischen Universitäten gehen teils sogar noch darüber hinaus und verlangen für Lehrveranstaltungen mit PatientInnenkontakt einen Immunitätsnachweis im Wege einer erfolgten Impfung oder einer überstandenen Infektion. Auch die WU schränkt nun mit 1. Oktober den Zutritt auf 2,5G ein, d.h dass nur mehr PCR-getestete Personen Zutritt zu den Gebäuden am Campus haben. Die Kontrolle der covid-bezogenen Zugangsregeln stellt die Universitäten, wie die Rektorin der WU, Edeltraud Hanappi-Egger schon in einem Kommentar für die Wiener Zeitung am 21. Juli deutlich machte, vor große logistische Herausforderungen. Zudem betonte die Rektorin in einem Interview mit dem Standard am 29. September die dadurch entstandenen erheblichen Zusatzkosten. Wie andere Universitäten kombiniert die WU Wien zentrale externe Kontrollen – vor allem beim TC und LC – mit dezentralen Kontrollen durch die Lehrenden. Die zentralen Kontrollen entlasten die Lehrenden zwar deutlich, haben allerdings den Nachteil, dass es dadurch zu Wartezeiten vor den Lehrgebäuden kommen kann. Außerhalb der zentralen Kontrollen ist es für viele Lehrenden derzeit auch schwer vorstellbar, wie sie eine lückenlose Kontrolle aller LV-Teilnehmer*innen über das ganze Semester hinweg bewerkstelligen sollen, zumal es ja ausdrücklich untersagt ist, Aufzeichnungen über die jeweiligen Nachweise der Studierenden und die in den Nachweisen enthaltenen Details zu führen. Das bedeutet bei jeder LV-Einheit einen Start „bei Null“, selbst wenn ein hoher Anteil der Teilnehmenden bereits geimpft ist (einmal ungeachtet etwaiger regulatorischer Änderungen bzgl. Gültigkeit einer Immunisierung). Über die Impfquoten bei Mitarbeitenden und Studierenden als Entscheidungsgrundlage und zur Kontextualisierung dieser Maßnahmen gibt es zum Semesterstart nur anekdotische, aber keinerlei belastbare Evidenz. Letzteres ist eine Konsequenz des rechtlichen Rahmens in Österreich im Umgang mit Gesundheitsdaten bzw. mangelnder Rechtssetzung dazu selbst in Pandemiezeiten, aber nicht nur.
Vor diesem Hintergrund war der Ruf nach technischen Hilfsmitteln für Lehrende und für Studierende gleichermaßen und einer teilautomatisierten Unterstützung bei den anstehenden 2,5G-Nachweiskontrollen an der WU durchaus hörbar (z.B. im Senat oder im Rat der Departmentvorstände). Wie uns von Seiten des Rektorats und der IT-Services auf wiederholte Nachfrage versichert wurde, gab es technische und rechtliche Sondierungen für etwaige Lösungen seit dem Frühjahr 2021. Mögliche und vielversprechende Lösungen (etwa im Rahmen der Anwendung „WU Check-in“ oder LEARN) wurden jedoch vom Rektorat aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken im Umgang mit 3G-Nachweisdaten als besonders sensible Gesundheitsdaten nicht für eine Umsetzung in Erwägung gezogen.
In der Tat hat der österreichische Gesetzgeber in dieser Abwägungssituation zwischen Sicherheit am Arbeits- und Ausbildungsplatz und Schutz von Gesundheitsdaten für den Universitätsbetrieb keine einheitliche und ausreichende Vorsorge getroffen. Insbesondere wurden im entsprechenden Regelwerk (z.B.: Epidemiegesetz, COVID-19-Hochschulgesetz) keine besonderen Ausnahmegründe für die Verarbeitung von 3G-Nachweisdaten im Sinne des Datenschutzgesetzes (DSG) bzw. der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zum Zweck der Sicherstellung einer sicheren Präsenzlehre festgeschrieben. 3G-Nachweisdaten sind hierbei nicht nur jene Details, die durch ein Impf- oder Testzertifikat ausgewiesen werden, sondern auch der jeweils ermittelte Nachweisstatus (grün/rot) und die dazugehörigen Protokolldaten (Wann wurde der Nachweisstatus durch wen wie ermittelt?).
Die Abwägung wurde somit als Ermessensentscheidung auf Ebene der einzelnen Universitäten getroffen. Ein Blick zu anderen Universitäten (etwa der TU Wien) veranschaulicht aber, dass die WU hier eine äußerst zurückhaltende Position bei dieser Rechtsauslegung eingenommen hat. Dies steht auch im Kontrast zu einer sehr großzügigen Auslegung in der Umsetzung von Onlineprüfungen in den letzten beiden Semestern mit Hilfe des hauseigenen Proctoringsystems. Proctoring ist zwar nicht direkt mit 3G-Nachweiskontrollen vergleichbar, aber datenschutzrechtlich nicht minder umstritten. Als Betriebsräte hätten wir uns für die Abwicklung der 3G-Nachweiskontrolle eine mutigere Einschätzung gewünscht, zumal man bei sorgfältigster Ausgestaltung eine datenschutzkonforme Umsetzung realisieren kann.
Dass nach den ja nur zeitlich begrenzt stattfindenden zentralen Zugangskontrollen die Kontrolle der an der WU erforderlichen 2,5G-Nachweise durch die einzelnen Lehrenden durchgeführt werden soll, lässt u.U. einige über allfällige Haftungsfragen nachdenken. Etwa für den Fall, in dem sich Studierende im Rahmen des Besuchs einer verpflichtenden Präsenz-LV infizieren. Diese Bedenken können aber mit Verweis auf das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz (DHG) weitgehend zerstreut werden. Für Vermögensschäden (im gegebenen Zusammenhang wäre an Schadenersatzansprüche infizierter Studierender gegen die WU zu denken) bestimmt das DHG, dass Arbeitnehmer*innen nur bei vorsätzlichem Handeln (z.B. es wird absichtlich jegliche Kontrolle in der LV unterlassen) haftbar gemacht werden können. Liegt aber hingegen ausreichendes Bemühen vor, die Kontrollen im Rahmen des Machbaren sorgfältig durchzuführen, dann trifft Lehrende nach dem DHG keine Schadenersatzpflicht – weder gegenüber der Arbeitgeberin noch gegenüber den Studierenden. Derartige Bedenken sowie die zum Teil widersprüchlichen Informationen, wie bei einem Infektionsfall unter den LV-Teilnehmenden vorzugehen ist (siehe dazu diesen Beitrag), lässt wohl bei vielen Lehrenden die Frage aufkommen, ob Präsenzlehre in diesem Wintersemester wirklich schon sinnvoll lebbar ist. Zu befürchten ist ein verstärkter Rückzug in die Distanzlehre, die aber weder von den meisten Studierenden noch von den meisten Lehrenden als optimal betrachtet wird.
30.09.2021