Forschung

TRANSREAL: Wie geht klimafreundliches Leben auf dem Land?

13. August 2024

Im länd­li­chen Raum ist kli­ma­freund­li­ches Leben eine Her­aus­for­de­rung. Das For­schungs­pro­jekt TRANS­RE­AL er­ar­bei­tet viel­ver­spre­chen­de Lö­sun­gen

Lange Wege, schwa­che In­fra­struk­tur, wenig öf­fent­li­cher Ver­kehr bei gleich­zei­tig hohem Bo­den­ver­brauch: kli­ma­freund­li­ches Leben stellt für die auf dem Land le­ben­de Be­völ­ke­rung eine große Her­aus­for­de­rung dar. Das Team des For­schungs­pro­jekts TRANS­RE­AL er­ar­bei­tet ge­mein­sam mit der Be­völ­ke­rung Lö­sun­gen für zwei Mo­dell­re­gio­nen – Ost­stei­ri­sches Kern­land mit Pöl­lau und St. Jo­hann in Tirol.

Für Ein­zel­per­so­nen in Ös­ter­reich ist es schwie­rig, klima-​ und res­sour­cen­scho­nend zu leben, vor allem im länd­li­chen Raum: Bildungs-​ und Ge­sund­heits­an­ge­bo­te sind weit ver­streut, leist­ba­rer Wohn­raum ist oft ab­ge­le­gen, ent­steht „auf der grü­nen Wiese“ und ist durch In­fra­struk­tur schlecht er­schlos­sen – was den Res­sour­cen­ver­brauch und die Ab­hän­gig­keit vom pri­va­ten PKW er­höht.

Ge­ra­de im länd­li­chen Be­reich mang­le es oft an prak­ti­ka­blen Lö­sun­gen für den Kli­ma­schutz, sagt An­dre­as Novy, Lei­ter des WU In­sti­tuts für Räum­li­che und Sozial-​Ökologische Trans­for­ma­tio­nen: „Die For­schung in die­sem Be­reich ist stark auf den städ­ti­schen Be­reich aus­ge­rich­tet, auch weil die al­ler­meis­ten For­schen­den im städ­ti­schen Raum leben.“

Um diese Lücke zu schlie­ßen, hat ein For­schungs­team der WU ge­mein­sam mit Kol­leg*innen des Um­welt­bun­des­amts und des Ver­ein De­growth Vi­en­na das For­schungs­pro­jekt TRANS­RE­AL, ge­för­dert vom Kli­ma­fonds im Rah­men des Pro­gramms ACRP, ins Leben ge­ru­fen – eine Ab­kür­zung für „TRANS­for­ma­ti­ver REA­Lis­mus“. Und in die­sen bei­den Wör­tern steckt das Ziel des Pro­jekts: rea­lis­ti­sche Wege für eine kli­ma­freund­li­che Trans­for­ma­ti­on auf dem Land zu fin­den, indem prag­ma­ti­sche Schrit­te ziel­ori­en­tiert auf die län­ger­fris­ti­ge, manch­mal auch ra­di­ka­le Ver­än­de­rung von Rah­men­be­din­gun­gen aus­ge­rich­tet wer­den.

Eine Geschichte aus zwei Gemeinden

Zug

Für TRANS­RE­AL hat man zwei ös­ter­rei­chi­sche Mo­dell­re­gio­nen aus­ge­wählt, die un­ter­schied­li­cher kaum sein könn­ten: Ei­ner­seits St. Jo­hann in Tirol, das durch den Tou­ris­mus viel Wohl­stand kennt – aber auch einen Man­gel an er­schwing­li­chem Wohn­raum wegen des An­drangs auf Fe­ri­en­häu­ser. An­de­rer­seits Pöl­lau bei Hart­berg in der Stei­er­mark, wo Bau­grund­stü­cke zwar güns­tig zu er­wer­ben, aber Jobs und In­fra­struk­tur­an­ge­bo­te in der Um­ge­bung Man­gel­wa­re sind.

Von 2021 bis 2023 haben die For­scher*innen die bei­den Ge­mein­den unter die Lupe ge­nom­men und mit po­li­tisch Ver­ant­wort­li­chen und Bür­ger*innen ge­ar­bei­tet. „Wenn man mit den jun­gen Leu­ten in die­sen Orten redet, be­schrei­ben sie in­ter­es­san­ter­wei­se ähn­li­che Dinge, die ihnen Sor­gen ma­chen“, er­zählt An­dre­as Novy: Sie hät­ten es immer schwe­rer, leist­ba­res Woh­nen, einen Ar­beits­platz in nicht allzu wei­ter Ent­fer­nung und Be­treu­ung und Bil­dung für ihre Kin­der unter einen Hut zu be­kom­men.

Statt nur tech­no­lo­gi­sche Lö­sun­gen zu ent­wi­ckeln, sei es darum viel­ver­spre­chen­der, die The­men All­tags­öko­no­mie (De­ckung der täg­li­chen Be­dürf­nis­se, von Woh­nen über Le­bens­mit­tel bis Ge­sund­heit und Bil­dung) und Suf­fi­zi­enz (Sen­kung des Ver­brauchs von En­er­gie und Res­sour­cen bei gleich­blei­ben­der Le­bens­qua­li­tät) in den Blick zu neh­men: „Wenn ich mit mei­nem Kind am Mor­gen zum Kin­der­gar­ten spa­zie­ren kann, ist das eine Art von Luxus, die viele Men­schen auf dem Land gerne hät­ten“, sagt An­dre­as Novy und be­schreibt damit ein wich­ti­ges Kri­te­ri­um für die Wirk­sam­keit von Kli­ma­maß­nah­men: Sie brau­chen einen so­ge­nann­ten Co-​Benefit – also einen kurz­fris­ti­gen öko­so­zia­len Zu­satz­nut­zen für die Be­frie­di­gung von Grund­be­dürf­nis­sen.

Für beide Re­gio­nen haben die For­scher*innen in Zu­sam­men­ar­beit mit der Be­völ­ke­rung Grün­bü­cher – also Um­set­zungs­vor­schlä­ge für Kli­ma­maß­nah­men – ent­wi­ckelt. In St. Jo­hann ent­stand dar­aus etwa eine Bür­ger­initia­ti­ve zur Nut­zung von „un­sicht­ba­rem“ Wohn­raum. Aus der Ar­beit in Pöl­lau ent­stand der Plan, eine re­gio­na­le Trans­for­ma­ti­ons­agen­tur für den länd­li­chen Raum ein­zu­rich­ten. So könn­ten über Gemeinde-​ und Be­zirks­gren­zen hin­weg neue Mög­lich­kei­ten ge­fun­den wer­den, um der Zer­sie­de­lung und dem Man­gel an öf­fent­li­chem Ver­kehr ent­ge­gen­zu­tre­ten. „Die Be­völ­ke­rung in struk­tur­schwa­chen, länd­li­chen Ge­bie­ten hat oft keine wirk­li­che Lobby, die für ihre all­täg­li­chen In­ter­es­sen ein­steht“, sagt An­dre­as Novy. „Was es braucht, ist eine Art re­gio­na­les Lob­by­ing, das so­zia­le und öko­lo­gi­sche Fra­gen im Blick hat.“ Durch das For­schungs­pro­jekt TRANS­RE­AL wurde der Grund­stein für eine der­ar­ti­ge Lobby ge­legt.

Kleine Schritte zu großen Zielen

„Wenn die Kin­der von heute ein­mal in mei­nem Alter sind, wird Ös­ter­reich völ­lig an­ders aus­se­hen“, ist WU Pro­fes­sor An­dre­as Novy über­zeugt. Was in den nächs­ten Jahr­zehn­ten auf uns zu­kom­me, sei eine re­gel­rech­te Re­vo­lu­ti­on: „Wobei der Be­griff die fal­sche Idee sug­ge­riert, näm­lich einen gro­ßen Bruch. Tat­säch­lich pas­sie­ren sol­che Um­wäl­zun­gen in vie­len klei­nen Schrit­ten. Auch die In­dus­tri­el­le Re­vo­lu­ti­on im 19. Jahr­hun­dert hat in Wirk­lich­keit über meh­re­re Ge­nera­tio­nen ge­dau­ert.“

Für Novy ist klar: Auch die An­pas­sung an die Zu­kunft – in der neue In­fra­struk­tu­ren und Tech­no­lo­gien unser Leben kom­plett ver­än­dern, Kli­ma­wan­del und Um­welt­zer­stö­rung deut­lich spür­bar wer­den und Eu­ro­pa eine klei­ne­re Rolle in der Welt spie­len wird – muss in klei­nen, prag­ma­ti­schen Schrit­ten pas­sie­ren, ent­schlos­sen aus­ge­rich­tet auf einen trans­for­ma­ti­ven Ho­ri­zont. So­wohl in der Stadt, als auch auf dem Land.

De­tail­lier­te Er­geb­nis­se der Stu­die und wei­te­re In­for­ma­tio­nen

Pro­jekt­sei­te TRANS­RE­AL auf kli­ma­wan­de­l­an­pas­sung.at

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