TRANSREAL: Wie geht klimafreundliches Leben auf dem Land?
Im ländlichen Raum ist klimafreundliches Leben eine Herausforderung. Das Forschungsprojekt TRANSREAL erarbeitet vielversprechende Lösungen
Lange Wege, schwache Infrastruktur, wenig öffentlicher Verkehr bei gleichzeitig hohem Bodenverbrauch: klimafreundliches Leben stellt für die auf dem Land lebende Bevölkerung eine große Herausforderung dar. Das Team des Forschungsprojekts TRANSREAL erarbeitet gemeinsam mit der Bevölkerung Lösungen für zwei Modellregionen – Oststeirisches Kernland mit Pöllau und St. Johann in Tirol.
Für Einzelpersonen in Österreich ist es schwierig, klima- und ressourcenschonend zu leben, vor allem im ländlichen Raum: Bildungs- und Gesundheitsangebote sind weit verstreut, leistbarer Wohnraum ist oft abgelegen, entsteht „auf der grünen Wiese“ und ist durch Infrastruktur schlecht erschlossen – was den Ressourcenverbrauch und die Abhängigkeit vom privaten PKW erhöht.
Gerade im ländlichen Bereich mangle es oft an praktikablen Lösungen für den Klimaschutz, sagt Andreas Novy, Leiter des WU Instituts für Räumliche und Sozial-Ökologische Transformationen: „Die Forschung in diesem Bereich ist stark auf den städtischen Bereich ausgerichtet, auch weil die allermeisten Forschenden im städtischen Raum leben.“
Um diese Lücke zu schließen, hat ein Forschungsteam der WU gemeinsam mit Kolleg*innen des Umweltbundesamts und des Verein Degrowth Vienna das Forschungsprojekt TRANSREAL, gefördert vom Klimafonds im Rahmen des Programms ACRP, ins Leben gerufen – eine Abkürzung für „TRANSformativer REALismus“. Und in diesen beiden Wörtern steckt das Ziel des Projekts: realistische Wege für eine klimafreundliche Transformation auf dem Land zu finden, indem pragmatische Schritte zielorientiert auf die längerfristige, manchmal auch radikale Veränderung von Rahmenbedingungen ausgerichtet werden.
Eine Geschichte aus zwei Gemeinden
Für TRANSREAL hat man zwei österreichische Modellregionen ausgewählt, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Einerseits St. Johann in Tirol, das durch den Tourismus viel Wohlstand kennt – aber auch einen Mangel an erschwinglichem Wohnraum wegen des Andrangs auf Ferienhäuser. Andererseits Pöllau bei Hartberg in der Steiermark, wo Baugrundstücke zwar günstig zu erwerben, aber Jobs und Infrastrukturangebote in der Umgebung Mangelware sind.
Von 2021 bis 2023 haben die Forscher*innen die beiden Gemeinden unter die Lupe genommen und mit politisch Verantwortlichen und Bürger*innen gearbeitet. „Wenn man mit den jungen Leuten in diesen Orten redet, beschreiben sie interessanterweise ähnliche Dinge, die ihnen Sorgen machen“, erzählt Andreas Novy: Sie hätten es immer schwerer, leistbares Wohnen, einen Arbeitsplatz in nicht allzu weiter Entfernung und Betreuung und Bildung für ihre Kinder unter einen Hut zu bekommen.
Statt nur technologische Lösungen zu entwickeln, sei es darum vielversprechender, die Themen Alltagsökonomie (Deckung der täglichen Bedürfnisse, von Wohnen über Lebensmittel bis Gesundheit und Bildung) und Suffizienz (Senkung des Verbrauchs von Energie und Ressourcen bei gleichbleibender Lebensqualität) in den Blick zu nehmen: „Wenn ich mit meinem Kind am Morgen zum Kindergarten spazieren kann, ist das eine Art von Luxus, die viele Menschen auf dem Land gerne hätten“, sagt Andreas Novy und beschreibt damit ein wichtiges Kriterium für die Wirksamkeit von Klimamaßnahmen: Sie brauchen einen sogenannten Co-Benefit – also einen kurzfristigen ökosozialen Zusatznutzen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen.
Für beide Regionen haben die Forscher*innen in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung Grünbücher – also Umsetzungsvorschläge für Klimamaßnahmen – entwickelt. In St. Johann entstand daraus etwa eine Bürgerinitiative zur Nutzung von „unsichtbarem“ Wohnraum. Aus der Arbeit in Pöllau entstand der Plan, eine regionale Transformationsagentur für den ländlichen Raum einzurichten. So könnten über Gemeinde- und Bezirksgrenzen hinweg neue Möglichkeiten gefunden werden, um der Zersiedelung und dem Mangel an öffentlichem Verkehr entgegenzutreten. „Die Bevölkerung in strukturschwachen, ländlichen Gebieten hat oft keine wirkliche Lobby, die für ihre alltäglichen Interessen einsteht“, sagt Andreas Novy. „Was es braucht, ist eine Art regionales Lobbying, das soziale und ökologische Fragen im Blick hat.“ Durch das Forschungsprojekt TRANSREAL wurde der Grundstein für eine derartige Lobby gelegt.
Kleine Schritte zu großen Zielen
„Wenn die Kinder von heute einmal in meinem Alter sind, wird Österreich völlig anders aussehen“, ist WU Professor Andreas Novy überzeugt. Was in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukomme, sei eine regelrechte Revolution: „Wobei der Begriff die falsche Idee suggeriert, nämlich einen großen Bruch. Tatsächlich passieren solche Umwälzungen in vielen kleinen Schritten. Auch die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert hat in Wirklichkeit über mehrere Generationen gedauert.“
Für Novy ist klar: Auch die Anpassung an die Zukunft – in der neue Infrastrukturen und Technologien unser Leben komplett verändern, Klimawandel und Umweltzerstörung deutlich spürbar werden und Europa eine kleinere Rolle in der Welt spielen wird – muss in kleinen, pragmatischen Schritten passieren, entschlossen ausgerichtet auf einen transformativen Horizont. Sowohl in der Stadt, als auch auf dem Land.
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen