Ehrungen

Sigrid Stagl ist Wissenschaftlerin des Jahres 2024

07. Jänner 2025

WU-Professorin wird für ihren öffentlichkeitswirksamen Einsatz im Zeichen des Klimaschutzes geehrt!

[Ihre Rede zur Preisverleihung im Wortlaut]

Zukunftsfähiges Wirtschaften braucht Wissen, Mut und gemeinsames Handeln

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wissenschaft und Forschung sind unverzichtbar, wenn wir die Herausforderungen der Zukunft meistern wollen - vom Klimawandel über die Digitalisierung bis hin zum demografischen Wandel und zur Bildung. Sie sind die Basis für Innovationen, bessere Entscheidungen und nachhaltige Lösungen. Ohne sie bleibt Fortschritt Zufall.

Klimawissenschaftler:innen haben seit über 50 Jahren darauf hingewiesen, dass der menschengemachte Klimawandel voranschreitet. 2024 war ein Rekordjahr mit 1,60°C über dem vorindustriellen Niveau. Besonders besorgniserregend ist, dass sich die Entwicklungen der letzten Jahre deutlich schneller vollzogen haben als in den klimawissenschaftlichen Prognosen angenommen. Tatsächlich entsprechen die beobachteten Ergebnisse eher den pessimistischsten Szenarien. Wenn Sie nicht SEHR besorgt über die Klimakrise sind, haben Sie nicht aufgepasst oder wurden erfolgreich davon überzeugt, die Realität zu ignorieren. Aber die Realität zu ignorieren, schützt uns nicht vor ihr. Besorgtheit ist notwendig, um klug zu handeln. Wie schlimm die Dinge werden, hängt immer noch von uns ab.

Stagl

Seit 1994 zeichnet der österreichische Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist*innen jedes Jahr eine*n herausragende Forscher*in aus – nicht nur für ihren Beitrag in ihren Fachgebieten, sondern weil sie sich um die anschauliche Verbreitung von wissenschaftlich fundierten Fakten verdient machen und damit den Stellenwert der in unserem Land betriebenen Wissenschaft heben. Die Auszeichnung „Wissenschaftlerin bzw. Wissenschaftler des Jahres“ wurde bereits zum 31. Mal vergeben.

Um die 2°C-Grenze nicht zu überschreiten, müssen die globalen Emissionen jährlich um 6-8% sinken. Österreich braucht den Mut, diese Realität anzuerkennen und konsequent zu handeln.

Während die Naturwissenschaften ihren Beitrag geleistet haben, sind nun Ökonom:innen gefordert, aktiv Lösungen zu entwickeln. Dies erfordert, die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf Klima und Umwelt systematisch und umfassend in allen ökonomischen Analysen zu berücksichtigen.

Klimaschutz ist weder ein Luxus noch eine Frage der Ideologie – er ist Basis für die langfristige Entwicklung der Menschheit und Schutz der Lebensgrundlage. Die vergangenen 10.000 Jahre des Holozäns boten stabile Umweltbedingungen, die es ermöglichten, dass Zivilisationen florieren konnten; komplexere Gesellschaften konnten entstehen, und fortschrittliche Werkzeuge sowie Technologien wurden in dieser Periode entwickelt. Diese Stabilität steht jedoch zunehmend auf dem Spiel.

Ein sich rasch veränderndes biophysisches Umfeld stellt Unternehmen, Gesellschaften und Staaten vor enorme Herausforderungen. Extremereignisse wie Überschwemmungen oder Hitzewellen führen immer häufiger zur Zerstörung von Infrastrukturen. Mit zunehmendem Klimawandel müssten Produktions- und Lebensweisen in Zukunft immer häufiger an die neuen Umweltbedingungen angepasst werden. Dies ist nicht nur anstrengend, sondern auch mit erheblichen Kosten verbunden.

Unternehmen sind eng mit ihrer Umwelt verbunden – Ignoranz gegenüber den ökologischen Rahmenbedingungen führt langfristig zum Verlust der Marktposition. Nur wer sich rechtzeitig weiterentwickelt und dabei „so schnell rennt, wie er kann“ (Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln), hat die Chance, seinen Platz im Markt zu behaupten. Katharina Rogenhofer bringt es auf den Punkt: „Ändert sich nichts, ändert sich alles.“ Klimaschutz ist daher keine Option, sondern eine notwendige Voraussetzung, um Sicherheit und Stabilität in einer sich wandelnden Welt zu sichern. Klimaschutz muss außer Diskussion gestellt und von allen ökonomischen und politischen Akteur:innen priorisiert und konsequent umgesetzt werden.

Klima- und Umweltschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die aber Champions und Fürsprecher:innen braucht, daher ist es wichtig auch in der nächsten Bundesregierung ein Klimaschutzministerium zu haben. Klima- und Umweltschutz bildet die Grundlage für eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit.

Stagl

Sigrid Stagl forscht seit über 25 Jahren im Bereich ökologische Ökonomie und Nachhaltigkeit, vorrangig in den Themenbereichen Energie/Klima bzw. Landwirtschaft/Ernährung. Im Alter von 29 Jahren erhielt sie den weltweit ersten PhD im Fach Ecological Economics. 2014 gründete sie das Institute for Ecological Economics an ihrer Alma Mater, der WU. Seit 2019 leitet sie zudem das WU Competence Center for Sustainability Transformation and Responsibility (STaR).

Um Klimastabilität herzustellen ist internationale Kooperation ebenso erforderlich, wie die Hausaufgaben auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene zu erledigen. Dazu gehört die nötigen Regeln auf Klima- und Umweltschutz auszurichten und die dafür nötigen öffentliche wie private Investitionen zu ermöglichen. Staatliche Mittel reichen nicht aus, um die sozial-ökologische Transformation zu finanzieren. Es braucht klare Regeln und Anreize, um privates Kapital zu mobilisieren. Draghi’s Vorschläge (Die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit – Eine Wettbewerbsstrategie für Europa) zur gemeinsamen EU-Finanzierung könnten hier wegweisend sein.

Aus ökonomischer Sicht ist Klimaschutz eine Investition in die Zukunft. Studien zeigen, dass die Kosten des Nichthandelns weitaus höher sind als die Kosten für die notwendige Transformation. Jetzt klimafreundlich zu handeln ist wirtschaftlich sinnvoller als später zu beginnen.

Eine kurzfristige Budgetsanierung durch das Zurückfahren zukunftsorientierter Investitionen wäre fatal. Die langfristigen Kosten, beispielsweise durch Klimaschäden, würden die Einsparungen bei Weitem übersteigen.

Stattdessen sollten jetzt kosteneffiziente und effektive Klimaschutzmaßnahmen konsequent umgesetzt werden. In einer Marktwirtschaft bedeutet das, alle Regeln so auszurichten, dass Klima- und Umweltschutz integraler Bestandteil wirtschaftlicher Entscheidungen wird. Klimafreundliches Handeln muss für Unternehmen und Haushalte zur wirtschaftlich attraktivsten Option werden. Zukunftsfähiges Handeln muss erleichtert werden und muss sich lohnen. Konkrete Beispiele für zukunftsorientierte Regeln: das Zurückfahren der klimaschädlichen Subventionen, Energieeffizienzstandards für Neubauten anheben, Förderung energieeffizienter Technologien in der Industrie, Beschleunigung des Ausbaus von Wind- und Solarenergie, Industriestandards für Umstellung auf Kreislaufwirtschaft, Einführung von Tempolimits 30/80/100, die mit minimalem Aufwand signifikante Emissionsminderungen bewirken, und einen Stopp des Ausbaus des höherrangigen Straßennetzes. Solche Maßnahmen sind kostengünstig und bieten einen schnellen und nachhaltigen Nutzen für Umwelt und Gesellschaft.

Viele Unternehmen fordern ambitionierte Klima- und Umweltpolitik. Dennoch dominieren oft Verhinderer und Bremser die Diskussion. Interessensvertretungen müssen die innovativen Unternehmen stärker unterstützen, um für die unvermeidbaren Veränderungen besser gerüstet zu sein und die Transformation aktiv und positiv zu gestalten.

Eine nachhaltige Industriepolitik ist unverzichtbar, besonders für energie- und emissionsintensive Branchen sowie die Auto-Zulieferindustrie. Diese muss aktiv umgebaut werden, am besten in Kooperation mit der deutschen und europäischen Industrie.

Mein letzter Punkt ist mir besonders wichtig: Wir brauchen positive Zukunftsbilder. Die Transformation braucht positive, aktivierende Narrative. Wissenschaft kann Chancen aufzeigen: neue Arbeitsplätze, regionale Wertschöpfung und ein besseres Leben für alle. Ohne solche Visionen riskieren wir Desorientierung und geben Populisten Raum.

Wissenschaft macht Österreich stark, resilient und innovativ. Sie liefert die Basis für eine zukunftsfähige Wirtschaft und Gesellschaft. Aber es braucht auch Mut und Entschlossenheit, diese Transformation anzugehen. Ich fordere alle Entscheidungsträger:innen auf, wissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen, Konflikte konstruktiv auszutragen und gemeinsam ambitioniert zu handeln. Wer Macht hat, trägt Verantwortung. Nutzen Sie sie, um Österreich zukunftsfähig zu machen.

Ich schließe mit Ernst Blochs Zitat: „Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.“ Aktuell scheint es, als müssten Hoffnung und der Druck in Richtung einer nachhaltigen Transformation in Österreich in den nächsten fünf Jahren vor allem von sozialen Bewegungen ausgehen. Ich hoffe jedoch, dass ich mich irre und Klima- sowie Umweltschutz in den laufenden Regierungsverhandlungen den notwendigen Stellenwert erhalten.

Vielen Dank.

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