Menschliche Arbeit in Zeiten von künstlicher Intelligenz
Vier WU Forscher*innen sprechen über den Einfluss von KI auf die menschliche Arbeit in diversen Facetten
KI verringert die Wertschätzung für menschliche Arbeit nicht zwangsläufig. Sie kann bestimmte Aufgaben automatisieren und effizienter erledigen, was zu Veränderungen in der Arbeitswelt führen wird. Menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, emotionale Intelligenz und das Vermögen, komplexe Probleme zu lösen, werden jedoch weiterhin von großer Bedeutung sein.
In Sekundenschnelle hat der dialogbasierte Chatbot Chat GPT Texte wie diesen parat. Wozu braucht es dann noch Autor*innen? Aus Sicht der Karriereforschung werden Berufe nicht verschwinden, aber die Aufgaben werden neu gewichtet werden. Das Interdisziplinäre Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management der Wirtschaftsuniversität Wien hat sich intensiv mit der Frage „Wie wird der Wert von menschlichem Schaffen in Zukunft beurteilt werden?“ beschäftigt. Universitätsassistent Marco Rapp sieht sich durch KI vor neue Herausforderungen gestellt: „Es wird jetzt schon versucht, Seminararbeiten mithilfe von KI zu schreiben. Wie oft das geschieht, wissen wir nicht genau. Aber die Universitäten müssen dieses Problem lösen, im Moment haben sie noch keine Handhabe dagegen.“ Wie reagieren Lehrende darauf? Rapp: „Ich suche den Dialog mit den Studierenden, die meist einsehen, dass ihre Eigenleistung bewertet werden soll, und die Arbeit neu machen. Im Streitfall muss ich die Arbeit aber bewerten.“
Aktivität in einer Welt mit künstlicher Intelligenz
Die Psychologie hat schon vor Jahrzehnten festgestellt, dass Aktivität, das Tätigsein, wichtig für Lernprozesse ist. Verwendet man beim Autofahren immer nur das Navigationssystem, wird man verlernen, eine Landkarte zu lesen. Genauso wird die Fähigkeit, Texte in einer Fremdsprache zu schreiben, abhandenkommen, wenn stets ein Übersetzungsprogramm zurate gezogen wird.
KI-Systeme sind auf die Vergangenheit getrimmt
Dieses Prinzip gilt auch für andere Bereiche. „Wenn zum Beispiel in Human-Resources-Abteilungen Lebensläufe durch eine KI vorselektiert werden, kann die Kernkompetenz verloren gehen und die Funktion des HR-Managements eventuell an Bedeutung verlieren“, fand Rapp heraus. „KI-Systeme sind auf die Vergangenheit getrimmt. Sie bewerten Lebensläufe nach Kriterien, die beispielsweise vor 2 Jahren zielführend waren. Die Personalabteilungen sollten jedoch mehr auf die Zukunftsperspektive achten.“ Jurist*innen etwa wehren sich gegen den Einsatz von KI, weil Carl Benedikt Frey und Michael Osborne in einer aufsehenerregenden Untersuchung zu dem Schluss gekommen sind, dass Anwält*innen leicht durch KI zu ersetzen wären. Zahnärzt*innen dagegen sehen den Einsatz von KI wesentlich entspannter, weil er ihnen zahlreiche technische Vorteile bringt, beispielsweise Laserscans des Kiefers statt herkömmlicher Gipsabdrücke.
Menschliche Arbeit hinter künstlicher Intelligenz
Laut einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation sind in einkommensstarken Ländern nur und 6 Prozent der Beschäftigten vom Automatisierungsrisiko betroffen. Der Anteil der Beschäftigten, deren Arbeit durch den Einsatz von KI signifikant umstrukturiert werden könnte, liegt bei rund 13 Prozent. „Schon bei der ersten industriellen Revolution wurde behauptet, dass menschliche Arbeit marginalisiert werden würde. Das ist nicht eingetreten“, erklärt Felix Diefenhardt, der ebenfalls am Interdisziplinären Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management forscht. „Viele glauben, dass KI ohne menschliches Zutun funktioniere, dabei steckt viel menschliche Arbeit dahinter, die nur unsichtbar ist.“
Hinter KI steckt viel menschliche Arbeit
Zunächst werden sehr viele Jobs im Niedriglohnsektor, sogenannte Clickworker, benötigt, die einer KI sagen, was richtig oder falsch ist. Dadurch werden Algorithmen trainiert. Diefenhardt berichtet, dass Menschen beispielsweise einspringen, wenn die KI nicht mehr weiterweiß: „Mitarbeiter*innen müssen sich dann als Chatbots ausgeben. Klar, dass diese Personen sich nicht wertgeschätzt fühlen, wenn sie als Computer wahrgenommen und nur noch für eine Ersatztätigkeit bezahlt werden.“ Es gibt aber auch die These, dass allgemein die 30-Stunden-Woche eingeführt werden könnte, weil man durch den Einsatz von KI mit weniger menschlicher Arbeitskraft den gleichen Output erzielen könnte.
Ältere Arbeitnehmer*innen und KI
Wie geht die Generation 50 plus mit KI um? Studien in der Karriereforschung zeigen, dass die Aspekte Generation und Alter unterschiedliche Implikationen haben und daher voneinander zu unterscheiden sind. Die jüngere Generation wächst in einer digitalisierten Welt auf und bewegt sich darin mit größerer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit. Sie tendiert aber auch dazu, die Schattenseiten weniger zu hinterfragen, weil sie Digitalisierung und KI eher als gegeben annimmt als die ältere Generation. Gleichzeitig kommt der Aspekt Alter ins Spiel: „Ältere Arbeitnehmer*innen können auf eine längere Erfahrung zurückgreifen und kennen deshalb ein breiteres Spektrum von Möglichkeiten, wie Arbeitsprozesse gestaltet werden können – mitsamt Vor- und Nachteilen“, erklärt Petra Eggenhofer-Rehart, die als Universitätsassistentin am Interdisziplinären Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management arbeitet.
Auf KI-bedingte Veränderungen kritisch reagieren
Langjährige Mitarbeiter*innen erkennen neben den Stärken und Verbesserungen auch die Schwächen und negativen sozialen Implikationen des KI-Einsatzes. Eggenhofer-Rehart kommt zu dem Schluss, dass es ihnen damit leichter fällt, auf „KI-bedingte Veränderungen in Tätigkeitsbildern besonnen und mit einer durchaus konstruktiv-kritischen Haltung zu reagieren“.
Schlüsselrolle von Führungskräften im Umgang mit Veränderungen
Auch Marta Sabou, Professorin am WU Institute for Data, Process and Knowledge Management, ist der Überzeugung, dass die jüngere Generation technologieaffiner ist und technologiebedingte Veränderungen leichter annimmt. Sabou: „Wichtig bleibt in Zeiten des Wandels, dass die Führungskräfte den Mitarbeiter*innen das Gefühl geben, dass sie trotz der Veränderungen weiterhin zum Unternehmen gehören und sich beruflich weiterentwickeln können. Die Wertschätzung für die Mitarbeiter*innen und ihre Fähigkeiten wird ein wichtiger Motivationsfaktor bleiben.“ Eine kürzlich von LinkedIn in den USA durchgeführte Umfrage ergab, dass menschliche Fähigkeiten oder Eigenschaften wie Flexibilität und Ethik in Stellenausschreibungen zunehmend gefragt sind. „Darüber hinaus sind 92 Prozent der US-Führungskräfte der Meinung, dass menschliche Fähigkeiten – beispielsweise der Umgang mit Menschen, die Kommunikationsfähigkeit oder das soziale Einfühlungsvermögen – heute wichtiger sind denn je“, berichtet Sabou.
Marco Rapp ist Universitätsassistent am Interdisziplinären Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management der WU. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Digitalisierung von Personalmanagementpraktiken und -systemen.
Felix Diefenhardt ist Forscher am Interdisziplinären Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management der WU. Seine Forschungsinteressen sind Arbeits- und Organisationssoziologie, soziologische Theorie und Digitalisierung der Arbeitswelt.
Petra Eggenhofer-Rehart ist Universitätsassistentin am Interdisziplinären Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management der WU. Ihre aktuelle Forschung beleuchtet Karriereorientierungen, Karriereverläufe und Karriereerfolg.
Marta Sabou ist Professorin am WU Institute for Data, Process and Knowledge Management. Sie leitet eine Forschergruppe, welche sich mit neuen Technologien der künstlichen Intelligenz und ihrer Anwendung zur Lösung praktischer Probleme beschäftigt.