Studie zu Fachkräftemangel: Lässt sich Bevölkerungsschwund durch Bildung kompensieren?
Die Geburtenzahlen in Industriestaaten sinken kontinuierlich. Gleichzeitig investieren Eltern stärker in Bildung und Gesundheit ihres Nachwuchses – der damit wertvoller für die Wirtschaft wird. Kann steigendes Humankapital sinkende Geburtenzahlen ausgleichen? Zumindest teilweise, wie eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) zeigt.
Viele Länder, vor allem in Osteuropa und Ostasien, kämpfen mit dem gleichen Problem: Ihre Bevölkerung wird immer älter, immer weniger junge Menschen kommen nach – mit entsprechenden Folgen für Wirtschaft und Pensionssysteme. Es gibt allerdings einen Faktor, der in dieser Diskussion bisher wenig Beachtung fand: Wenn Frauen weniger Kinder bekommen, sind diese Kinder statistisch gesehen höher gebildet und gesünder. „Damit steigt auch das Humankapital dieser Kinder“, erklärt Klaus Prettner, Professor für Makroökonomie und Digitalisierung an der WU Wien. „Neben allen wünschenswerten Effekten, die eine höhere Bildung und eine bessere Gesundheit für die Kinder und für die Gesellschaft insgesamt verursachen, bringt dies auch positive wirtschaftliche Auswirkungen mit sich.“
Doch inwiefern kann das gestiegene Humankapital den Bevölkerungsrückgang kompensieren? Das hat Klaus Prettner gemeinsam mit seinen Kolleg*innen Martina Siskova, Michael Kuhn und Alexia Prskawetz genauer untersucht. Dafür haben sie mehrere Methoden verwendet, um das durchschnittliche Humankapital in unterschiedlichen Staaten zu messen, und diese Daten mit Zahlen zu Fertilität, Bevölkerungsgröße und verschiedenen Wirtschafts-Kennwerten verglichen.
Kleiner, aber deutlicher Effekt
Das Ergebnis: Wenn in einem Land die Fertilitätsrate (also die durchschnittliche Anzahl der Geburten pro Frau) um 1 % sinkt, geht das mit einer Steigerung des durchschnittlichen Humankapitals um 0,124 % einher. Anders gesagt: „Bildung und Gesundheit können sinkende Geburtenzahlen ausgleichen – aber nur teilweise“, sagt Klaus Prettner.
Die WU Forscher*innen haben bei ihren Berechnungen noch einen weiteren Faktor berücksichtigt, der in der Diskussion um sinkende Geburtenraten nicht fehlen darf: Migration. Denn viele Länder, die sinkende Geburtenraten verzeichnen, kämpfen gleichzeitig mit Abwanderung – und hier vor allem von Menschen mit hoher Bildung und entsprechendem Humankapital. Gerade in Osteuropa ist die Kombination dieser beiden Faktoren ein immer größer werdendes Problem.
Migration verkompliziert die Berechnungen allerdings – denn wenn jemand etwa von Ost- nach Westeuropa auswandere, sei das kein Nullsummenspiel und das Humankapital verlagere sich nicht einfach eins zu eins von einem Land ins andere: „Die Zielländer von Migration sind meistens reiche Staaten mit entsprechend hohem Bildungsniveau“, erklärt Klaus Prettner von der WU. „Wenn Menschen, die in ihrem Herkunftsland überdurchschnittlich hoch gebildet sind, in Länder auswandern, wo ihr Bildungsniveau schlussendlich unter dem Durchschnitt liegt, würde das bedeuten, dass das durchschnittliche Humankapital in beiden Ländern sinkt.“
Keine Lösung bei schrumpfender Bevölkerung
Um diesen Zusammenhang genauer zu beleuchten, haben die Forscher*innen die 50 Länder mit dem stärksten Bevölkerungsschwund gesondert untersucht. Dort zeigte sich, dass mehr Bildung und bessere Gesundheit einen kleineren Effekt haben: Wird Migration in der Berechnung mitberücksichtigt, geht mit jedem Prozent, um das die Fertilitätsrate sinkt, nur noch eine Erhöhung des durchschnittlichen Humankapitals um 0,054 % einher. Das steigende Humankapital kann den Bevölkerungsrückgang also nur zu etwa einem Zwanzigstel ausgleichen. Klaus Prettner: „Das zeigt, dass Länder mit schrumpfender Bevölkerung derzeit in einer schwierigen Position sind.“
Und was bedeuten die Ergebnisse für Österreich? Einerseits sinkt auch hierzulande die Fertilitätsrate, andererseits steigt die Bevölkerung durch Migration – unter anderem aus den Ländern in Osteuropa mit schrumpfender Bevölkerung. „Für Länder wie Österreich, die eine hohe Zuwanderung verzeichnen, ist es vor allem wichtig, in die Aus- und Weiterbildung dieser Migrant*innen und deren Integration in den Arbeitsmarkt zu investieren.“
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen
Siskova, M., Kuhn, M., Prettner, K., & Prskawetz, A. (2023). Does human capital compensate for population decline? The Journal of the Economics of Ageing, 26, 100469.
Link zum Paper