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Lohn statt Taschengeld

Forschungsprojekts zur Berechnung und Analyse der Kosten einer sozialversicherungspflichtigen Entlohnung von Menschen mit Behinderungen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen

Das NPO Kompetenzzentrum wurde seitens des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit dem Forschungsprojekt zur Berechnung und Analyse der Kosten einer sozialversicherungspflichtigen Entlohnung von Menschen mit Behinderungen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen beauftragt.

Ausgehend von langjährigen Forderungen von Selbstvertreter*innen und Behindertenorganisationen sieht das aktuelle Regierungsprogramm 2020-2024 der Bundesregierung vor, dass Menschen mit Behinderungen, welche in Tages- und Beschäftigungsstrukturen arbeiten, zukünftig eine Entlohnung und eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung erhalten sollen.

Derzeit sind Menschen mit Behinderung, die aufgrund der Art und des Ausmaßes ihrer Beeinträchtigungen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem integrativen Betrieb nicht in der Lage sind, meist in Tages- und Beschäftigungsstrukturen, wie beispielsweise in Werkstätten beschäftigt. Für diese Tätigkeiten bekommen die betroffenen Menschen ein niedriges Taschengeld als Entgelt und müssen durch den Bezug von Einkommensersatzleistungen und Sachleistungen der Sozialhilfe der Länder ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Die Einführung einer Entlohnung hätte nicht nur rechtliche, sondern auch wesentliche finanzielle Auswirkungen auf das bestehende System. D.h. nicht nur auf die betroffenen Menschen mit Behinderung selbst, sondern auch auf Bund, Bundesländer (z.T. Gemeinden), Sozialversicherung und die jeweiligen Träger, da Einkommensersatzleistungen im neuen System in anderer Art oder nicht mehr zu bezahlen sind. 

Um die finanziellen Auswirkungen der Einführung einer sozialversicherungspflichtigen Entlohnung zu berechnen, wurde im Rahmen der vorliegenden Studie ein Alternativ-System entworfen, in welchem mit 01. Jänner 2021 eine Entlohnung in der Höhe von 1.180 Euro brutto (14-mal pro Jahr) das bisher ausgezahlte Taschengeld ersetzt. Die Höhe der Entlohnung wurde dabei so festgelegt, dass sich netto ein Betrag in etwa der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes 2020 ergibt. Dies ergibt insofern Sinn, da ab dieser Höhe vielfach keine weiteren Leistungen aus der Sozialhilfe bezogen werden müssen und entsprechend starke Systemveränderungen eintreten. Durch die Umstellung auf eine sozialversicherungspflichtige Entlohnung in der Höhe von 1.180 Euro brutto ist gemäß den geltenden gesetzlichen Regelungen von einigen Veränderungen beim Anspruch auf Einkommensersatzleistungen auszugehen.

Vergleichslogik und Methodik

Die Vergleichslogik zwischen Ist-System und Alternativ-System diente als Basis für das Forschungsdesign und ist in nachfolgender Abbildung dargestellt. Im oberen Teil des „Ist-Systems“ sind die Einnahmenquellen der betroffenen Menschen mit Behinderung sowie deren Financier dargestellt. Aus diesen Einnahmen fließen wiederum Kostenbeiträge, Abgaben und Steuern zurück. Im unteren Teil der Abbildung sind die veränderten bzw. neuen Einnahmequellen hervorgehoben und es zeigt sich, dass lediglich das Pflegegeld unverändert bleibt. 

Lohn statt Taschengeld - Vergleichslogik

Die Berechnungen der vorliegenden Studie erfolgten auf Basis eines Datensatzes, der von der AUVA und dem Dachverband der Sozialversicherungsträger eigens für das NPO-Kompetenzzentrum der WU Wien erstellt und in anonymisierter Form übermittelte wurde.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Differenzbildung zwischen dem aktuellen System und dem fiktiven Alternativ-System mit sozialversicherungspflichtigem Entgelt sind in nachfolgender Abbildung 1 für die wesentlichen Finanzströme zwischen den betrachteten Stakeholdern dargestellt. 

Abbildung 1: Gesamtvergleich Ist-System zu Alternativ-System – Prognosezeitraum 55 Jahre

LstT Ist Stand 15-65_auf 55 Jahre

Die Gegenüberstellung des Ist- und Alternativ-Systems zeigt, dass die Einführung eines Lohnes bei Menschen mit Behinderungen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen trotz des Wegfalls einiger Einkommensersatzleistungen insgesamt zu einem Anstieg des Einkommens führt. Dabei wird im Zeitraum von 2021 bis 2075 ein Einkommensplus von rund 10,3 Mrd. Euro erzielt. Die Sozialversicherung steigt mit rund 11,5 Mrd. Euro für den Zeitraum von 2021 bis 2075 sehr positiv aus.  Ebenfalls positiv würde sich eine Systemumstellung auf den Bund auswirken, wenn auch nur minimal sowie unter der Voraussetzung, dass der Bund nicht einen Teil oder die gesamte Entlohnung für die Personen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen übernimmt.

Der aktuellen Kompetenzverteilung in der österreichischen Bundesverfassung zufolge hätten die Bundesländer die erhöhten Ausgaben für die Entlohnung der Menschen mit Behinderungen in den Tages- und Beschäftigungsstrukturen zu übernehmen. Dementsprechend würden sie bei der Systemumstellung als einziger Stakeholder negativ aussteigen. Insgesamt würde sich für die Länder ein Minus von rund 22,1 Mrd. Euro für den Zeitraum von 2021 bis ergeben. Die Trägerorganisationen, bei denen die Personen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen tätig sind, können im Grunde als eine Art Durchläufer betrachtet werden. Sie haben kaum die Möglichkeit aus eigenen Mitteln die deutlich erhöhten Aufwände für die hinzukommende Entlohnung zu tragen. Entsprechend werden sie die notwendigen finanziellen Mittel seitens der Länder erhalten und an die Menschen mit Behinderungen sowie die Sozialversicherung und den Bund in Form von Bruttoentlohnung und Arbeitgeberbeiträgen weitergeben.

Der in dieser Studie durchgeführte Vergleich verschiedener alternativer Varianten zum derzeitig geltenden Taschengeld-System zeigt insgesamt, dass eine Systemumstellung in Richtung sozialversicherungsrechtlichem Entgelt für Menschen mit Behinderungen auch zu erheblichen finanziellen Rückflüssen bzw. Einsparungen bei den finanzierenden Stakeholdern Bund, Länder und Sozialversicherung führt. Im Falle einer Nettoentlohnung in Höhe der Ausgleichszulage profitiert die Sozialversicherung am meisten. Bei einem Entgelt an der Geringfügigkeitsgrenze sind es der Bund oder die Länder, in Abhängigkeit davon, zu welcher Einigung diese beiden Gebietskörperschaften im Finanzausgleich kommen.

LsT_Zusammenfassung_Leichte_Sprache_A2.pdf
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LsT_Zusammenfassung_Leichte_Sprache_B1.pdf
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Abschlusspräsentation am 12.12.2023

Für die PowerPoints und Video klicken Sie bitte hier.

Kontakt
Mag.Dr.rer.soc.oec. Christian Grünhaus

Christian Grünhaus

(ehm. Schober) Wissenschaftlicher Leiter, Senior Researcher
Aufgaben: Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Evaluation, SROI-Analysen, Finanzierung, Spendenverhalten, Arbeitszufriedenheit und Motivation, Altenpflege und –betreuung, Menschen mit Behinderung bzw. Barrierefreiheit
Mag.rer.soc.oec. Selma Sprajcer

Selma Sprajcer

Senior Researcherin
Aufgaben: Themen im Bereich Menschen mit Behinderung und Barrierefreiheit, Freiwilligenarbeit, Zivilgesellschaft, wissenschaftliche Begleitung von Projekten