Reicher, zufriedener, extrovertierter: Römische Herrschaft wirkt bis heute nach

06. März 2025

Vor fast 2.000 Jahren besiedelte das Alte Rom ein Gebiet im heutigen Süden und Westen von Deutschland. Die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren – und zwar in den Persönlichkeitsmerkmalen und der Lebenszufriedenheit der Menschen, die dort leben. Das zeigt eine neue Studie unter Beteiligung der WU Wirtschaftsuniversität Wien.

Das Römische Reich hat Europa so geprägt wie kein anderes Staatsgebilde in der Geschichte unseres Kontinents. Noch heute lassen sich Straßen- oder Grenzverläufe auf das Alte Rom zurückführen. Und wie eine neue Studie unter Beteiligung des WU Forschers Fabian Wahl zeigt, hat das Römische Reich bis heute Einfluss auf unsere Psyche: In Deutschland lässt sich die Verteilung von Persönlichkeitsmerkmalen mit dem Verlauf des römischen Grenzwalls Limes erklären – und mit ihr Faktoren wie Lebenszufriedenheit und Lebenserwartung.

„Unsere Ergebnisse zeigen beispielsweise, dass unternehmerische Persönlichkeiten in ehemals römischen Gebieten weiter verbreitet sind“, erklärt Fabian Wahl vom WU Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Die wahrscheinlichste Erklärung dafür sei, dass Investitionen durch das römische Reich – etwa in das Straßennetz, die lokalen Märkte und den Bergbau – bis heute nachwirken und sich in der psychologischen Landkarte Europas widerspiegeln.

Karte von Deutschland mit Verlauf des römischen Limes und Werten zu durchschnittlicher Lebenserwartung und Neurotizität

Die Karte von Deutschlands Raumordnungsregionen zeigt, wie die durchschnittliche Lebenserwartung und Neurotizität (eines der Big-Five-Persönlichkeitsmerkmale in der Psychologie) noch heute eindeutig durch den Verlauf des römischen Limes vor 2.000 Jahren beeinflusst wird. (Bild: M. Obschonka, F. Wahl et al. (2024))

Mehr Lebenszufriedenheit und höhere Lebenserwartung

Das internationale Team um Martin Obschonka von der Universität Amsterdam hat psychologische Daten von über 70.000 Personen in Deutschland ausgewertet. Dabei konnten sie regionale Cluster von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen – wie Extraversion und Gewissenhaftigkeit – identifizieren, die mit höherer Lebenszufriedenheit, einem besseren Gesundheitszustand und höherer Lebenserwartung in Verbindung gebracht werden. Diese Cluster befinden sich alle südlich des obergermanisch-rätischen Limes – des römischen Grenzwalls, der ab Mitte des zweiten Jahrhunderts durch das Gebiet der heutigen deutschen Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern verlief.

Durch andere Faktoren lassen sich diese Unterschiede nicht so gut erklären: Weder die klimatischen Bedingungen oder die Qualität des Ackerbodens, noch die Verfügbarkeit von Rohstoffen wie Kohle oder die Nähe zu schiffbaren Gewässern und anderen Handelsrouten decken sich so gut mit den Daten wie der Verlauf des römischen Grenzwalls vor fast 2.000 Jahren.

Um das Ergebnis zusätzlich abzusichern, wandte das Forscherteam die gleiche Methodik auf die Niederlande an, wo mit dem niedergermanischen Limes ebenfalls ein römischer Grenzwall existierte – und es zeigte sich ein ganz ähnliches Muster.

„Es ist wahrscheinlich, dass sich Persönlichkeitsmerkmale und Wohlstand gegenseitig beeinflussen. Dadurch kann ein wirtschaftlicher Aufschwung als Hebel wirken, der nachkommende Generationen beeinflusst“, sagt Co-Autor Fabian Wahl. „Das deckt sich auch mit den Ergebnissen einer früheren Studie, an der ich mitgewirkt habe. Sie zeigte, dass in ehemals römischen Gebieten in Deutschland mehr Start-ups gegründet werden.“

Portraitfoto von Fabian Wahl

Fabian Wahl ist Assistenzprofessor am WU Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Zu seinen Forschungsinteressen zählen die langfristige regionale und urbane Entwicklung in Europa, das messbare Erbe antiker Zivilisationen sowie die Ursprünge von Staaten und Faktoren für ihren Erfolg.

Grenzen prägen Existenzen

Wegen der Invasion von germanischen Stämmen musste der obergermanisch-rätische Limes in den Jahren 275/276 geräumt werden; die römischen Soldaten zogen sich auf die Gebiete südlich der Donau und westlich des Rheins zurück. Insgesamt war das Gebiet, das „Dekumatland“ genannt wurde und in dem die heutigen deutschen Städte Stuttgart und Frankfurt am Main liegen, also etwas mehr als hundert Jahre römische Provinz. Und dennoch ist ihr Einfluss immer noch in der Psyche seiner Bewohner*innen präsent.

Laut den Forschern ist es wahrscheinlich, dass sich die Ergebnisse generalisieren lassen. Sprich: Auch in anderen ehemaligen Grenzregionen des Römischen Reiches sind unter Umständen ähnliche Unterschiede in Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale zu erwarten – etwa in Österreich, wo die Donau rund 400 Jahre lang die nördliche Grenze des Reichs markierte.

„Generell zeigt sich, dass historische Grenzen auch lange, nachdem sie verschwunden sind, noch nachwirken“, resümiert Fabian Wahl. „Es gibt beispielsweise zahlreiche Studien, welche zeigen, dass die Grenze der früheren DDR, des Deutschen Reichs oder auch Österreich-Ungarns heute immer noch politische und ökonomische Variablen vorhersagen. Mauern zu errichten wird daher langfristige Konsequenzen haben, selbst wenn man sie früher oder später wieder einreißt.“

Detaillierte Studienergebnisse und weitere Informationen

Obschonka, M., Wahl, F., Fritsch, M., Wyrwich, M., Rentfrow, P. J., Potter, J., & Gosling, S. D. (2025). Roma Eterna? Roman Rule Explains Regional Well-Being Divides in Germany. Current Research in Ecological and Social Psychology.

Link zur Studie

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