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Neues Forschungsprojekt: Wie geht Fairness in Online-Entscheidungen?

02. Dezember 2024

Vom Doodle bis zur digitalen Demokratie: Das Internet gibt uns neue Möglichkeiten, Entscheidungen in Gruppen zu treffen. Aber wie kann man solche Abstimmungen möglichst fair gestalten? Damit beschäftigt sich WU Forscher Jan Felix Maly in einem neuen Forschungsprojekt.

„Machen wir ein Doodle!“ Diesen Satz hört man immer öfter, wenn in einer Gruppe ein Termin vereinbart werden soll. Das Planungstool Doodle hilft uns seit Jahren dabei, diesen Prozess effizienter zu machen – und zeigt, dass Online-Gruppenentscheidungen sich längst in unserem Alltag etabliert haben.

„Doodle ist wahrscheinlich das bekannteste Beispiel für eine Online-Gruppenentscheidung, aber lange nicht das spannendste“, sagt Jan Felix Maly vom WU Institute for Data, Process and Knowledge Management. Der Informatiker und Computerwissenschaftler hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Mechanismen solcher Gruppenentscheidungen zu ergründen – und auf mathematische Weise zu verstehen, wie sie möglichst fair getroffen werden können. Für dieses Forschungsprojekt erhält er die „netidee SCIENCE“-Förderung, Österreichs höchstdotierten privat finanzierten Forschungspreis für exzellente Onlineforschung.

Jan Malys Forschungsinteresse reicht dabei weit über das gemeine Doodle hinaus: „Wir wollen untersuchen, wie Fairness in einem Online-Kontext definiert und realisiert werden kann.“ Das reicht von der Planung in kleinen Teams über das Abstimmungsverhalten in sozialen Medien bis zu politischen Entscheidungen, an denen tausende Menschen beteiligt sind.

Portraitfoto von Jan Maly

Jan Maly ist Assistenzprofessor am WU Institute for Data, Process and Knowledge Management (DPKM) und beschäftigt sich in seiner Forschung vorwiegend mit "Computational Social Choice" (COMSOC). Der Mathematiker entwickelt Modelle, um Entscheidungsprozesse von Gruppen und Individuen besser zu verstehen und fairer zu machen. Neben seiner Forschung ist er einer der Gründer des European Digital Democracy Network – ein Thinktank von Wissenschaftler*innen, die zu digitaler Demokratie forschen. 

Lässt sich Fairness berechnen?

Im Kern des Projekts „FairOGD“ steht die Frage, was Fairness in einem digitalen Entscheidungsprozess bedeutet. Jan Maly hat jahrelang in einem Bereich geforscht, wo solche Fragen besonders wichtig sind: dem so genannten Participatory Budgeting. Die Idee dahinter ist simpel: Eine Stadt vergibt Geld und die Bürger*innen dürfen entscheiden, was damit gemacht wird. „Die Standardlösung ist: Wir nehmen die Projekte, die am meisten Stimmen bekommen“, erklärt Maly. „So funktioniert es ja auch meistens auf Social Media: Was die meisten Likes hat, gewinnt.“

In den letzten Jahren haben Mathematiker*innen und Informatiker*innen wie Jan Maly Ideen entwickelt, wie man das Konzept der proportionalen Repräsentation auf solche komplexen Entscheidungsprozesse umlegen kann: „Dabei orientieren wir uns an spieltheoretischen Modellen und fragen uns, wie Entscheidungen proportional und gerecht getroffen werden können.“ Ziel ist es, Wahlregeln und Algorithmen zu entwickeln, um diese Prinzipien in Entscheidungsprozessen abzubilden. Und was in Budgetfragen zu faireren Entscheidungen führt, könnte auch in anderen Bereichen für mehr Fairness sorgen.

Die Bandbreite möglicher Anwendungen ist enorm: „Wir sprechen über ein Spektrum, das von kleinen, alltäglichen Entscheidungen in Freundeskreisen bis hin zu wichtigen politischen Entscheidungen reicht“, sagt Maly. „In Foren und sozialen Netzwerken etwa entscheidet oft die Mehrheit darüber, welche Beiträge sichtbar bleiben und welche nicht. Diese Entscheidungsprozesse betreffen viele Menschen und sollten fair gestaltet werden.“

Grundlagenforschung mit Blick auf die Praxis

Auch wenn das Projekt in erster Linie auf Grundlagenforschung ausgerichtet ist, hat es langfristig praktische Ziele. „Wir wollen eine Basis schaffen, die zu konkreten technischen Lösungen führen kann– sei es in sozialen Netzwerken, bei Abstimmungen in Unternehmen oder in der Politik“, betont Maly.

Neben den technischen Aspekten hat Fairness aber auch eine philosophische und ethische Dimension, die man nicht außer Acht lassen darf: „Es geht nicht nur darum, Algorithmen zu entwickeln, sondern auch darum, die Grundprinzipien zu verstehen, die Fairness in diesen Kontexten ausmachen“, sagt er. „Was als fair empfunden wird, kann je nach Situation und kulturellem Hintergrund sehr unterschiedlich sein. Genau hier setzt unsere Forschung an.“

„Die Unterstützung dieses Projekts ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu fairen und gerechten Online-Entscheidungsprozessen,“ zeigt sich auch WU Rektor Rupert Sausgruber erfreut. „Solche innovativen Ansätze leisten einen wichtigen Beitrag zu einer demokratischeren und inklusiveren Gesellschaft.“ Das Forschungsprojekt „FairOGD“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF für die „netIdee“-Förderung ausgewählt und wird von der Internet Stiftung mit 400.000 Euro unterstützt. Neben der WU sind auch die TU Wien, die Universität Paris-Dauphine, die Universität Amsterdam und die Universität Oxford als Projektpartner beteiligt. Die Dauer ist für drei Jahre anberaumt, mit Ergebnissen ist also spätestens im Jahr 2027 zu rechnen.

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