„Unser Ziel ist eine Community von digitalen Humanist*innen“
Wie können wir sicherstellen, dass Technologie dem Menschen dient – und nicht umgekehrt? An Fragen wie diesen wird im neuen Doctoral College for Digital Humanism geforscht – einem gemeinsamen Projekt von WU, Uni Wien und TU Wien. Im Gespräch erklären die WU Forscher*innen Marta Sabou und Jan Maly, warum die Welt mehr denn je Digitalen Humanismus braucht.
Digitaler Humanismus ist noch ein sehr junges Fachgebiet. Wie würden Sie es Leuten erklären, die bisher nichts davon gehört haben?
Marta Sabou: Digitaler Humanismus ist eine sehr wichtige wissenschaftliche Initiative – und begonnen hat sie übrigens in Wien. Im Jahr 2019 haben sich Forscher*innen aus aller Welt hier getroffen, um das „Vienna Manifesto on Digital Humanism“ zu schreiben. Einfach gesagt handelt es davon, dass Computer und Algorithmen zwar einen riesigen Einfluss auf unser Leben haben, es bei ihrer Entwicklung aber einen deutlichen Mangel an Verantwortungsbewusstsein gibt. Wollen wir wirklich so viele Entscheidungen über unser Leben und unsere sozialen Gepflogenheiten Maschinen überlassen? Diese Frage wird immer drängender, vor allem durch den Boom von KI.
Jan Maly: Informationstechnologie hat so viele Probleme gelöst – aber sie hat auch einige geschaffen. Wir müssen sicherstellen, dass Informatik unterm Strich einen Netto-Nutzen für unsere Gesellschaft darstellt. Dieser Aussage würde wahrscheinlich jeder Mensch zustimmen – aber sie hat einen Haken: Wie wollen wir wissenschaftlich definieren, was nützlich für die Gesellschaft ist? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir als Informatiker*innen interdisziplinär mit Sozialwissenschaftler*innen zusammenarbeiten. Digitaler Humanismus gibt uns den Rahmen, um genau das zu tun.
Wenn Sie sagen, dass Informationstechnologie Probleme geschaffen hat, woran denken Sie?
Marta Sabou: Ein großes Problem ist sicherlich der Einfluss von sozialen Medien auf unsere Gesellschaft – und vor allem auf unsere Demokratie. Ein anderes ist Nachhaltigkeit: Wir müssen aufpassen, dass Informationstechnologie mit ihrem ständig wachsenden Energiehunger unseren Planeten nicht zerstört. In den frühen Tagen des Internets gab es diesen grenzenlosen Optimismus, dass Informationstechnologie uns helfen würde, demokratischer, inklusiver und nachhaltiger zu werden. Leider hat sich dieses Gefühl in den letzten Jahren ins Gegenteil verkehrt.
Jan Maly: Das finde ich so inspirierend an Digitalem Humanismus: Im Grunde ist es ein optimistischer Ansatz. Das Ziel ist nicht nur, diese Probleme zu identifizieren, sondern Lösungen zu finden, indem Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten.
Marta Sabou leitet das WU Institute for Data, Process and Knowledge Management. Im Vienna Doctoral College on Digital Humanism übernimmt sie die Projektleitung aufseiten der WU.
Im Oktober 2024 hat die WU gemeinsam mit der Universität Wien und der TU Wien das Vienna Doctoral College for Digital Humanism gegründet. Wie kam dieses Doktoratskolleg zustande?
Marta Sabou: In den vergangenen Jahren hat der Wiener Wirtschafts- und Technologiefonds WWTF mehrere Forschungsprojekte zum Thema Digitaler Humanismus gefördert. Doch es gab keinen institutionellen Rahmen für diese Forschung. Mit diesem Doktoratskolleg haben wir jetzt endlich einen Ort für den Gedankenaustausch und die interdisziplinäre Arbeit. Schon laufende Projekte zu Digitalem Humanismus können hier eingegliedert werden, und in den nächsten Monaten kommen einige neue dazu. Unser Ziel ist es, eine Community von digitalen Humanist*innen zusammenzubringen, mit gemeinsamen Diskussionen, Forschungsprojekten und Events – wie etwa unserer ersten Konferenz zu Digitalem Humanismus im Frühling 2025.
Jan Maly: Darum ist es auch so wichtig, dass wir mit exzellenten Forscher*innen von der Uni Wien und der TU Wien zusammenarbeiten können – wie etwa die Politikwissenschaftlerin Sophie Lecheler oder der Data-Science-Experte Peter Knees. Dadurch können wir Menschen aus unterschiedlichsten Disziplinen an einen Tisch bringen. Nicht nur aus der Informations- und Kommunikationswissenschaft, sondern auch aus Ökonomie, Politikwissenschaft, Architektur oder Philosophie.
Auch an der WU selbst werden unterschiedlichste Forscher*innen mitwirken. Wer lässt sich hier aufzählen?
Marta Sabou: In unserem Team haben wir etwa Verena Dorner, die sich intensiv mit digitalen Ökosystemen befasst, und Sabrina Kirrane – eine Informatikerin, die sich auf Datenschutz spezialisiert hat. Dann ist da noch Thomas Reutterer, ein Experte für digitales Marketing und Datenanalyse. Mit an Bord ist auch die Sozialpsychologin Christina Schamp, die hier an der WU das Projekt zu AI Literacy und Inclusive User Design leiten wird. Und dann wäre da noch Gerlinde Fellner-Röhling, die faszinierende Forschung im Bereich der Verhaltensökonomie betreibt. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit all diesen Expert*innen auf ihren jeweiligen Gebieten. Und wir hoffen, dass unsere Community noch wachsen wird!
Jan Felix Maly ist Assistenzprofessor am WU Institute for Data, Process and Knowledge Management (DPKM). Im Vienna Doctoral College on Digital Humanism leitet er das Forschungsprojekt „Citizen-centered democratic innovation: Understanding citizen preferences for participatory budgeting algorithms“.
Herr Maly, Sie leiten eines der Forschungsprojekte, die schon gestartet sind. Können Sie kurz erklären, worum es dabei geht?
Jan Maly:In meiner Forschung habe ich mich auf ein Fachgebiet namens Computational Social Choice spezialisiert. Dabei erforschen wir kollektive Entscheidungsprozesse am Schnittpunkt von Informatik, Wirtschaft und Politikwissenschaft. Eine praktische Anwendung davon ist partizipative Budgetierung. Die Idee hinter diesem Konzept ist einfach: Wenn eine Stadt Geld zu verteilen hat, bittet sie ihre Bürger zu entscheiden, wohin die Mittel fließen sollen. In meiner Forschung habe ich mich schon vorher damit auseinandergesetzt, und dieses Projekt ist die Fortsetzung. Wir haben mittlerweile eine Menge technisches Wissen darüber, wie partizipative Budgets funktionieren - aber wir wissen nicht, was die Leute eigentlich wollen. Jetzt kommt der Digitale Humanismus ins Spiel und wir fragen: Was wollen wir eigentlich zum Wohle der Gesellschaft erreichen? Und wer gibt uns die Befugnis, solche Entscheidungen zu treffen?
Wie würden Sie diese Fragen beantworten?
Jan Maly: Das ist der Clou. Wir als Informatiker*innen können diese Fragen nicht beantworten. Deshalb habe ich mich mit Carolina Plescia, einer Sozialwissenschaftlerin vor der Universität Wien, zusammengetan. Sie meinte, dass sie genau das umgekehrte Problem hat: In ihrer Disziplin forschen sie dazu, was die Leute wollen, aber sie wissen nicht, wie sie es umsetzen können. Gemeinsam können wir an Algorithmen für partizipative Budgets arbeiten, die tatsächlich widerspiegeln, was die Menschen wollen.
Wo kann man mehr über Ihre Forschungsarbeit erfahren? Und wie können junge Wissenschaftler*innen Teil dieser Community werden?
Marta Sabou: Wie bereits erwähnt, organisieren wir die erste Konferenz zu Digitalem Humanismus, die vom 26. bis 28. Mai 2025 stattfinden wird. Ich freue mich auf lebhafte Diskussionen und hoffe, dass viele Menschen aus verschiedenen Bereichen teilnehmen werden. Und an alle jungen Forscher*innen da draußen, die sich uns anschließen wollen: Wir haben vergangene Woche die erste Ausschreibung für fünf Doktorand*innen gestartet.
Weiterführende Informationen
Projektseite des Vienna Doctoral College on Digital Humanism auf WU Research
Ausschreibung für fünf PhD-Positionen im Vienna Doctoral College on Digital Humanism