Volkswirtschaft

Lässt sich Bevölkerungsschwund durch Bildung kompensieren?

22. Jänner 2024

Die Ge­bur­ten­zah­len in In­dus­trie­staa­ten sin­ken kon­ti­nu­ier­lich. Gleich­zei­tig in­ves­tie­ren El­tern stär­ker in Bil­dung und Ge­sund­heit ihres Nach­wuch­ses – der damit wert­vol­ler für die Wirt­schaft wird. Kann stei­gen­des Hu­man­ka­pi­tal sin­ken­de Ge­bur­ten­zah­len aus­glei­chen? Zu­min­dest teil­wei­se, wie eine Stu­die der WU zeigt.

Viele Län­der, vor allem in Ost­eu­ro­pa und Ost­asi­en, kämp­fen mit dem glei­chen Pro­blem: Ihre Be­völ­ke­rung wird immer älter, immer we­ni­ger junge Men­schen kom­men nach – mit ent­spre­chen­den Fol­gen für Wirt­schaft und Pen­si­ons­sys­te­me. Es gibt al­ler­dings einen Fak­tor, der in die­ser Dis­kus­si­on bis­her wenig Be­ach­tung fand: Wenn Frau­en we­ni­ger Kin­der be­kom­men, sind diese Kin­der sta­tis­tisch ge­se­hen höher ge­bil­det und ge­sün­der. „Damit steigt auch das Hu­man­ka­pi­tal die­ser Kin­der“, er­klärt Klaus Prett­ner, Pro­fes­sor für Ma­kro­öko­no­mie und Di­gi­ta­li­sie­rung an der WU Wien. „Neben allen wün­schens­wer­ten Ef­fek­ten, die eine hö­he­re Bil­dung und eine bes­se­re Ge­sund­heit für die Kin­der und für die Ge­sell­schaft ins­ge­samt ver­ur­sa­chen, bringt dies auch po­si­ti­ve wirt­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen mit sich.“

Doch in­wie­fern kann das ge­stie­ge­ne Hu­man­ka­pi­tal den Be­völ­ke­rungs­rück­gang kom­pen­sie­ren? Das hat Klaus Prett­ner ge­mein­sam mit sei­nen Kol­leg*innen Mar­ti­na Sis­ko­va, Mi­cha­el Kuhn und Ale­xia Prs­ka­wetz ge­nau­er un­ter­sucht. Dafür haben sie meh­re­re Me­tho­den ver­wen­det, um das durch­schnitt­li­che Hu­man­ka­pi­tal in un­ter­schied­li­chen Staa­ten zu mes­sen, und diese Daten mit Zah­len zu Fer­ti­li­tät, Be­völ­ke­rungs­grö­ße und ver­schie­de­nen Wirtschafts-​Kennwerten ver­gli­chen.

Klei­ner, aber deut­li­cher Ef­fekt

Das Er­geb­nis: Wenn in einem Land die Fer­ti­li­täts­ra­te (also die durch­schnitt­li­che An­zahl der Ge­bur­ten pro Frau) um 1 % sinkt, geht das mit einer Stei­ge­rung des durch­schnitt­li­chen Hu­man­ka­pi­tals um 0,124 % ein­her. An­ders ge­sagt: „Bil­dung und Ge­sund­heit kön­nen sin­ken­de Ge­bur­ten­zah­len aus­glei­chen – aber nur teil­wei­se“, sagt Klaus Prett­ner.

Die WU For­scher*innen haben bei ihren Be­rech­nun­gen noch einen wei­te­ren Fak­tor be­rück­sich­tigt, der in der Dis­kus­si­on um sin­ken­de Ge­bur­ten­ra­ten nicht feh­len darf: Mi­gra­ti­on. Denn viele Län­der, die sin­ken­de Ge­bur­ten­ra­ten ver­zeich­nen, kämp­fen gleich­zei­tig mit Ab­wan­de­rung – und hier vor allem von Men­schen mit hoher Bil­dung und ent­spre­chen­dem Hu­man­ka­pi­tal. Ge­ra­de in Ost­eu­ro­pa ist die Kom­bi­na­ti­on die­ser bei­den Fak­to­ren ein immer grö­ßer wer­den­des Pro­blem.

Mi­gra­ti­on ver­kom­pli­ziert die Be­rech­nun­gen al­ler­dings – denn wenn je­mand etwa von Ost- nach West­eu­ro­pa aus­wan­de­re, sei das kein Null­sum­men­spiel und das Hu­man­ka­pi­tal ver­la­ge­re sich nicht ein­fach eins zu eins von einem Land ins an­de­re: „Die Ziel­län­der von Mi­gra­ti­on sind meis­tens rei­che Staa­ten mit ent­spre­chend hohem Bil­dungs­ni­veau“, er­klärt Klaus Prett­ner von der WU. „Wenn Men­schen, die in ihrem Her­kunfts­land über­durch­schnitt­lich hoch ge­bil­det sind, in Län­der aus­wan­dern, wo ihr Bil­dungs­ni­veau schluss­end­lich unter dem Durch­schnitt liegt, würde das be­deu­ten, dass das durch­schnitt­li­che Hu­man­ka­pi­tal in bei­den Län­dern sinkt.“

Keine Lö­sung bei schrump­fen­der Be­völ­ke­rung

Um die­sen Zu­sam­men­hang ge­nau­er zu be­leuch­ten, haben die For­scher*innen die 50 Län­der mit dem stärks­ten Be­völ­ke­rungs­schwund ge­son­dert un­ter­sucht. Dort zeig­te sich, dass mehr Bil­dung und bes­se­re Ge­sund­heit einen klei­ne­ren Ef­fekt haben: Wird Mi­gra­ti­on in der Be­rech­nung mit­be­rück­sich­tigt, geht mit jedem Pro­zent, um das die Fer­ti­li­täts­ra­te sinkt, nur noch eine Er­hö­hung des durch­schnitt­li­chen Hu­man­ka­pi­tals um 0,054 % ein­her. Das stei­gen­de Hu­man­ka­pi­tal kann den Be­völ­ke­rungs­rück­gang also nur zu etwa einem Zwan­zigs­tel aus­glei­chen. Klaus Prett­ner: „Das zeigt, dass Län­der mit schrump­fen­der Be­völ­ke­rung der­zeit in einer schwie­ri­gen Po­si­ti­on sind.“

Und was be­deu­ten die Er­geb­nis­se für Ös­ter­reich? Ei­ner­seits sinkt auch hier­zu­lan­de die Fer­ti­li­täts­ra­te, an­de­rer­seits steigt die Be­völ­ke­rung durch Mi­gra­ti­on – unter an­de­rem aus den Län­dern in Ost­eu­ro­pa mit schrump­fen­der Be­völ­ke­rung. „Für Län­der wie Ös­ter­reich, die eine hohe Zu­wan­de­rung ver­zeich­nen, ist es vor allem wich­tig, in die Aus- und Wei­ter­bil­dung die­ser Mi­grant*innen und deren In­te­gra­ti­on in den Ar­beits­markt zu in­ves­tie­ren.“

Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen

Sis­ko­va, M., Kuhn, M., Prett­ner, K., & Prs­ka­wetz, A. (2023). Does human ca­pi­tal com­pen­sa­te for po­pu­la­ti­on de­cli­ne? The Jour­nal of the Eco­no­mics of Ag­e­ing26, 100469.
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