Restitution eines Buches aus der WU Bibliothek
Die Universitätsbibliotheken von WU und Uni Wien restituierten insgesamt 6 Bücher an die Nachfahren der Buchhandlung "Brüder Suschitzky".
Zum ersten Mal restituieren die beiden Universitäten gemeinsam Bücher aus bedenklichen Erwerbungen, d.h. Druckwerke, die vor 1945 publiziert wurden und nach 1933 auf unrechtmäßige Weise Eingang in den Bestand ihrer Bibliotheken fanden. Dabei stammen fünf Bücher von der Bibliothek der Universität Wien, eines aus der WU. Beide Universitäten stellen sich der Verpflichtung, sich kritisch mit der eigenen Geschichte der Jahre 1933–1945 auseinanderzusetzen. Im Rahmen der Provenienzforschung recherchieren die beiden Universitäten seit 2004 (Uni Wien) bzw. 2010 (WU) systematisch, inwieweit sie über problematische Erwerbungen verfügen. Beide Universitäten haben bereits früher Buchbestände an Nachfahren der einstigen rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben.
70.000 Bände an WU bereits durchgesehen
An der Universitätsbibliothek der WU wurden im Zuge der Provenienzforschung bisher über 70.000 Bände im Hinblick auf Provenienzmerkmale wie Eigentumsstempel, Namenszüge oder Ex-Libris durchgesehen. Bei rund zwei Prozent dieser Druckwerke besteht der Verdacht oder wurde erwiesen, dass es sich um (NS-)Raubgut handelt. Opfer waren Einzelpersonen, aber auch Institutionen wie die Arbeiterkammer Wien. Seit 2013 wurden fünf Restitutionen mit insgesamt 710 Druckwerken durchgeführt. Die bisher umfangreichste Restitution umfasste gut 700 Bücher, von denen ein Teil in die Dauerausstellung des Technischen Museums Wien aufgenommen wurde.
Das nun restituierte Buch wurde ohne Angabe eines Lieferanten oder eines Kaufpreises von der damaligen Bibliothek im Dezember 1942 inventarisiert. Wie Regina Zodl und Johannes Koll vom Team Provenienzforschung der WU hervorheben, kann der Nachweis eines rechtmäßigen Erwerbs deshalb nicht erbracht werden. Auch die Tatsache, dass sowohl die Buchhandlung als auch der Verlag „Brüder Suschitzky“ nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten liquidiert wurden und die Eigentümer zur Flucht gezwungen waren bzw. ermordet wurden, veranlasste die WU, dieses Buch an Nachfahren von Philipp Suschitzky zu restituieren.
Rückgabe von fünf Büchern der Universitätsbibliothek Wien
Als erste Universitätsbibliothek in Österreich begann die UB Wien 2004 mit der systematischen Suche und der wissenschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Erwerbungspolitik. Maria Seissl, Leiterin des Bibliotheks- und Archivwesens der Universität Wien: „Die in den Beständen der UB Wien initiierte systematische NS-Provenienzforschung hat sich mittlerweile auf das Universitätsarchiv und die Sammlungen der Universität Wien ausgedehnt und ist Teil der vielfältigen Forschungs- und Gedenkprojekte der Universität Wien“.
Der genaue Weg der fünf restituierten Bücher in die Teilbibliotheken der Universitätsbibliothek Wien lässt sich nach Markus Stumpf, dem Leiter der NS-Provenienzforschung der UB Wien, „aufgrund der schlechten Quellenlage zwar nicht mehr exakt nachvollziehen, sie sind dennoch als unrechtmäßige Erwerbungen zu identifizieren“. Der Erwerb der Bücher der Fachbereichsbibliothek Germanistik und der Fachbereichsbibliothek Ostasienwissenschaft erfolgte jedenfalls in der NS-Zeit ab 1939. Weitere drei Bücher kamen nach dem Zweiten Weltkrieg über die sogenannte „Sammlung Tanzenberg“ in den Bestand der Hauptbibliothek. Sie stammten „aus einem zur Restitution vorgesehen Bestand der Büchersortierungsstelle an der Hofburg und waren an die UB Wien zur treuhänderischen Verwahrung übergeben worden“, so Stumpf. Bis Ende 2018 konnten von der UB Wien 25 Restitutionsfälle mit über 2.250 Druckwerken, fünf Gipsabdrücken und einem literarischen Splitternachlass durchgeführt werden. In weiteren 22 Fällen werden die ErbInnen gesucht. In 24 Verdachtsfällen konnten rechtmäßige Erwerbungen nachgewiesen werden.
Über die Brüder Suschitzky
Die Brüder Philipp (1875–1942) und Wilhelm (1877–1934) Suschitzky begründeten die Firma „Brüder Suschitzky“ am 11. März 1902 mit Sitz im 10. Wiener Gemeindebezirk, die 1911/12 um den „Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky“ erweitert wurde. Nach dem Tod von Wilhelm trat seine Witwe Adele Suschitzky (1878–1980) als Gesellschafterin in die Firma ein. Die Buchhandlung und der Verlag waren für ihr Sortiment mit sozialkritischer, linksliberaler Literatur bekannt. Sie sah sich seit Ende der 1920er Jahre verstärkt Anfeindungen aus dem rechtskonservativen Lager wie auch staatlichen Repressalien ausgesetzt.
Die Buchhandlung wurde nach dem „Anschluss“ aufgrund der jüdischen Herkunft ihrer InhaberInnen unter kommissarische Verwaltung gestellt. Da eine „Arisierung“ des Unternehmens, im NS-Jargon als „jüdisch-marxistisch-pornografischer Betrieb“ bezeichnet, durch die Reichsschrifttumskammer abgewiesen worden war, kam es zur Schließung der Buchhandlung und des Verlages. Das Bücherwarenlager wurde von Anfang März 1939 bis März 1941 in den Auktionshallen des Handelsgerichtes Wien verkauft und die Firma schließlich im Dezember 1941 von Amts wegen gelöscht. Mit dem Abverkauf des Warenlagers durch das Handelsgericht Wien kamen die Bücher in den Antiquariatshandel. Philipp und seine Frau Olga Suschitzky (1882–1942) wurden bei ihrer Flucht in Frankreich aufgegriffen, am 11. September 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Adele Suschitzky war hingegen 1938 die Flucht nach London gelungen, wo sie 1980 verstarb.
Website der NS-Provenienzforschung der UB Wien
Website der NS-Provenienzforschung der UB der Wirtschaftsuniversität Wien
Beitrag zur UB Wien im Lexikon der österreichischen Provenienzforschung