„Wenn wir nur in Geldeinheiten rechnen, helfen wir weder der Wirtschaft noch dem Planeten“
Ob im Produktions- und Dienstleistungsbereich, in der Politik oder auch im privaten Leben: Nachhaltigkeit gilt zwar als Schlüssel der Zukunft auf unserem Planeten, wird jedoch oft zu kurz gedacht. Gerade im puncto Klimaschutz passieren viele Fehler, das beim Pariser Klimagipfel besprochene 2-Grad-Ziel liegt in weiter Ferne. WU-Professorin Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts für Ecological Economics an der WU, arbeitet an Methoden, die es ermöglichen, die tatsächlichen „Kosten“ von Dienstleistungen, Produkten, aber auch von wirtschaftspolitischen Entscheidungen erfassen zu können.
Billige Produkte sind oftmals nur scheinbar billig – vielfach verlagern sich die Kosten nur von den EndkonsumentInnen auf billige Arbeitskräfte, schlechte Produktionsbedingungen und die Umwelt. Gerade in Hinblick auf den Klimaschutz erweisen sich die Auswirkungen oftmals als fatal. „Es ist offensichtlich, dass erfolgreiches Wirtschaften ohne natürliche Ressourcen nicht möglich ist“, sagt WU-Professorin Sigrid Stagl. „Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen braucht es daher eine Wirtschaft, bei der das Prinzip der Regeneration oberste Priorität hat. Erst wenn wir wirtschaftspolitische Entscheidungen, Produktionsketten und Dienstleistungsangebote bis zum Ende und umfassend denken, kennen wir ihre wirklichen Kosten.“ Am Institut für Ecological Economics der WU arbeitet sie an Methoden zur Entscheidungsunterstützung sowie an Modellen, die es möglich machen, zu eruieren, welche „Kosten“ einer Gesellschaft bei verschiedensten wirtschaftspolitischen Entscheidungen entstehen.
Neue Methode ermöglicht bessere Entscheidungen
„Die herkömmliche Kosten-Nutzen-Rechnung, die ein stark vereinfachtes Bild von den Kosten für eine Gesellschaft zeichnet, greift hier zu kurz. Bislang wurden sämtliche Auswirkungen in monetären Einheiten gerechnet und manche Auswirkungen, die sich nicht oder nur sehr schwer in Geldeinheiten darstellen lassen, bleiben außen vor“, erklärt Stagl, „Umweltschädigung oder Artensterben lassen sich nicht vollständig in Geld bemessen – für zukunftsfähiges Wirtschaften brauchen wir eine integrierte Perspektive. Sonst werden wir gerade im Bereich der Klimapolitik unser 2-Grad-Ziel nicht erreichen.“ Um Entscheidungen und Szenarien besser vergleichen und bewerten zu können, machten sich Stagl und ihr Team einen mathematischen Algorithmus aus der Ökologischen Ökonomie zu nutze. Die damit entwickelte partizipative Multikriterienanalyse eröffnet ein neues, breites Anwendungsfeld und ermöglicht es beispielsweise in puncto Klimaschutz, die Auswirkungen der wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Umwelt in jenen Einheiten zu berücksichtigen, in denen sie anfallen, das heißt CO2-Emissionen in Tonnen, Tier- und Pflanzenarten in ihren ökologischen Kennzahlen. Die Ergebnisse der quantitativen Analyse werden dann mit Stakeholder- und Bürgerbeteiligungsprozessen ergänzt, um die demokratische Legitimierung des Entscheidungsprozesses zu erhöhen. „So können wir die Interessen aller Stakeholder ebenso wie der Bevölkerung in die Analyse miteinbeziehen und erhalten am Schluss eine robuste Priorisierung von plausiblen Szenarien und damit verbundenen Lösungswegen, gereiht nach ihrer gesellschaftlichen Erwünschtheit“, erklärt Stagl.
Ein Schritt Richtung Klimaziel
Die Multikriterienanalyse ermöglicht es demnach erstmals, umfassende Zukunftsszenarien zu entwickeln, die möglichst alle relevanten Kriterien miteinberechnen und dann entsprechend ihrer Erwünschtheit in der Gesellschaft – das heißt nach Abstimmung mit BürgerInnen- und Stakeholder-Interessen - gereiht werden. Für die Arbeit an der Erreichung des Klimaziels bedeutet dies einen enormen Fortschritt in der Diskussion um die Wege zum Ziel. „Erstmals können mithilfe der Methoden umfassende, zukunftsfähige Entscheidungen getroffen werden. Unsere Analysen von Energieszenarien auf nationaler wie regionaler Ebene haben ergeben, dass Kombinationen von nachfrage- und angebotsseitigen Maßnahmen am besten abschneiden, Dekarbonisierung und nachhaltige Mixes von Energiequellen machbar sind, rasches und entschiedenes Handeln sich rechnet und soziale mit Umweltzielen sehr wohl vereinbar sind“, so Stagl.
Zur Person
Sigrid Stagl studierte Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft an der WU und startete dort auch ihre wissenschaftliche Karriere. 1999 erhielt sie als erste Person weltweit ein Doktorat in Ökologischer Ökonomie am Department of Economics, Resselaer Polytechnic Institute, in Troy, New York. Anschließend arbeitete sie an der University of Leeds und der University of Sussex in Großbritannien. Seit nunmehr 10 Jahren ist die gebürtige Niederösterreicherin wieder zurück an der WU, wo sie das Institute for Ecological Economics gründete und das Forschungsinstitut Economics of Inequality mitbegründete. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit widmet sich die Ökonomin dem Thema Arbeit in einer nachhaltigen Wirtschaft. Ihre Publikationen in volkswirtschaftlichen, naturwissenschaftlichen wie interdisziplinären Journalen wie z.B. dem Journal of Evolutionary Economics, Earth-Science Reviews oder Ecological Economics wurden bisher fast 5.000 Mal zitiert. Seit kurzem ist die Ökonomin korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Mehr zu den Forschungsarbeiten von Sigrid Stagl finden Sie in unserer Forschungsdatenbank FIDES.
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