Wenn Scheidung schadet: Studie belegt negative Langzeitfolgen für Scheidungskinder
Immer häufiger wachsen Kinder in einem Haushalt mit nur einem Elternteil auf. Das kann negative Auswirkungen für ihren gesamten Lebensweg haben, zeigen Forscher von der WU Wirtschaftsuniversität Wien und der Johannes Kepler Universität Linz in einer neuen Studie.
Im Jahr 2023 waren laut Statistik Austria 17.408 Kinder von der Ehescheidung ihrer Eltern betroffen. Die Folge einer Scheidung ist oft, dass Kinder in einem Haushalt mit nur einem Elternteil aufwachsen – und dadurch laut sozialwissenschaftlicher Forschung einige Nachteile im Leben haben, die von schlechteren Schulleistungen über häufigere psychische Probleme bis zu einer niedrigeren Lebenserwartung reichen.
Allerdings ist bis heute unklar, ob dieser Zusammenhang auch kausal ist: „Es lässt sich schwer sagen, ob das Heranwachsen in einem Alleinerziehendenhaushalt wirklich der Grund für diese Probleme ist – oder nicht doch sozio-ökonomische Faktoren“, erklärt Martin Halla vom Department für Volkswirtschaft an der WU Wien.
Gemeinsam mit Wolfgang Frimmel und Rudolf Winter-Ebmer von der Johannes Kepler Universität Linz wollte Halla dieser Frage auf den Grund gehen. Dafür haben die Forscher die Entwicklung von Kindern in Österreich analysiert, die zwischen 1976 und 1987 geboren wurden und deren Eltern sich vor deren 18. Lebensjahr scheiden ließen. Von den insgesamt 355.100 Kindern, die in diesem Zeitraum geboren wurden, erlebten 13,5 Prozent die Scheidung ihrer Eltern, bevor sie 18 Jahre alt wurden. Statistisch gesehen wurden diese Kinder in jüngeren Jahren selbst Eltern und hatten ein niedrigeres Ausbildungsniveau.
Scheidungsgrund: Kollegin
Um herauszufinden, inwieweit diese Unterschiede kausal mit der Scheidung der Eltern zusammenhängen, haben die Forscher ein Studiendesign entwickelt, das auf einem bemerkenswerten statistischen Zusammenhang basiert: Mehrere Studien konnten zeigen, dass die Scheidungswahrscheinlichkeit steigt, wenn Menschen mit einem höheren Anteil an Personen des anderen Geschlechts zusammenarbeiten. „Man kann das damit erklären, dass Arbeitsplätze mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis das Kennenlernen von anderen potenziellen Partnern erleichtern“, erklärt Martin Halla. „Für uns war das die Chance, einen kausalen Effekt von Scheidungen auf jene Kinder zu identifizieren, deren Väter die eigene Familie verlassen haben, weil sie am Arbeitsplatz eine neue Partnerin kennengelernt haben. Mit diesem Studiendesign beschreiben wir also ein realistisches Scheidungsszenario.“
Um diese Szenarien herauszufiltern, haben die Forscher sich in ihrer Analyse auf jene Kinder fokussiert, deren Väter zur Zeit der Geburt an einem Arbeitsplatz mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis bzw. mit Frauen in der gleichen Alters- und Berufsklasse tätig waren – und in den darauffolgenden Jahren ihre Familie verließen.
Die Implikationen dieses Szenarios sind vielfältig, aber vielen Scheidungskindern wohlbekannt: Nach der Scheidung wachsen sie meist in einem Alleinerzieherhaushalt mit ihrer Mutter auf. Solche Haushalte haben oft geringere finanzielle Ressourcen, leben in ärmeren Gegenden, haben kleinere soziale Netzwerke und weniger positive männliche Rollenbilder.
Deutliche negative Auswirkungen
Betrachtet man den Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg dieser Kinder, sind die Ergebnisse eindeutig: „Unsere Resultate zeigen, dass diese Gemengelage negative Effekte auf die langfristige Entwicklung hat“, resümiert Martin Halla. Für Buben und Mädchen reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, eine Universität zu besuchen, um 9 bis 10 Prozentpunkte. Für Buben zeigen sich zudem schlechtere Arbeitsmarktergebnisse und eine höhere Wahrscheinlichkeit, vor Erreichen des 25. Lebensjahres zu sterben. Bei Mädchen wiederum erhöht die sich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft in jungen Jahren.
„Diese Ergebnisse zeigen, dass das Kindeswohl im Fall einer Scheidung nicht nur eine leere Phrase sein darf, denn die Folgen für sie sind ein ganzes Leben lang spürbar“, sagt der Ökonom Martin Halla von der WU. Seit die Kinder des Studien-Samples erwachsen wurden, habe es allerdings soziale und politische Veränderungen gegeben, die die Lebensrealität von Scheidungskindern wahrscheinlich positiv beeinflussen. Halla nennt hier etwa die gemeinsame Obsorge, die 2001 eingeführt wurde.
Er sieht allerdings die Politik in der Pflicht, weitere Maßnahmen zu ergreifen – und etwa Sozialprogramme zu entwickeln, die speziell auf die Entwicklung von Kindern aus zerrütteten Familien abzielen. „Am Ende geht es wohl weniger um die Frage, ob man sich nun scheiden lässt oder nicht, sondern vor allem darum, ob Kinder ein stabiles und liebevolles Umfeld mit den entsprechenden Bezugspersonen vorfinden – wie auch immer das aussehen mag.“
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen
Frimmel W., Halla M., Winter-Ebmer R. (2024): How Does Parental Divorce Affect Children’s Long-term Outcomes? Erscheint in Kürze im Journal of Public Economics.