Eine Person liest eine spanische Tageszeitung

Psychopathen in der Chefetage – Wahrheit oder Mythos?

22. September 2022

Thomas Middelhoff bei Arcandor, Richard Fuld bei Lehman Brothers oder Jeffrey Skilling bei Enron – diesen CEOs, die maßgeblich für große Unternehmensskandale verantwortlich sind, unterstellt man häufig, Psychopathen zu sein. Das Bild des Ungetüms in Nadelstreifen zieht sich durch Filme, Medienberichte und auch durch akademische Forschung. Ein Forscher der WU Wien zeigt jetzt: Viel ist nicht dran.

Günter K. Stahl vom Institute for International Business der WU Wien hat mit seinen Ko-Autor*innen Milda Zilinskaite und Stephan Döring sechs für historisch große Betrugsfälle bekannte CEOs auf den Prüfstand gestellt: Mittels der Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R), eines Standardinstruments zur Bewertung psychopathischer Eigenschaften, zeigt seine Studie, dass die Werte der CEOs über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegen – aber unter der diagnostischen Schwelle für Psychopathie.

Die dunkle Triade

Zusätzlich untersucht die Studie, ob eine „dunkle Triade“ vorliegt. Darunter versteht man drei Persönlichkeitsmerkmale: Machiavellismus, Narzissmus und Psychopathie. Die Ergebnisse zeigen bei allen sechs CEOs machiavellistische Tendenzen und bei zwei von ihnen stark narzisstische Züge.

Die Studie kann bei den untersuchten Personen keine Hinweise auf „dunkle“ Verhaltensmuster in der Kindheit oder Jugend nachweisen. Außerdem scheinen sich die dunklen Tendenzen auf den beruflichen Bereich zu beschränken. Dies schließt die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung aus und wirft die Frage auf, welche Rolle das Unternehmen bei der Ausprägung dunkler Persönlichkeitsmerkmale spielt.

Systemisches Versagen

Eine eingehende Untersuchung der ethischen Infrastrukturen der sechs Unternehmen vor und zu Beginn der Amtszeit dieser CEOs zeigt ineffektive interne Governance, falsch ausgerichtete Anreizsysteme, fehlende Verhaltensregeln, dysfunktionale Unternehmenskulturen und einen Konformitäsdruck  des Top-Management-Teams. Das lässt darauf schließen, dass das Fehlverhalten gewissermaßen systemisch war. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es eine bidirektionale und interaktive Beziehung zwischen der Persönlichkeit des CEO und dem Unternehmen gibt: Mangelnde ethische Infrastruktur kann die Ausprägung dunkler Tendenzen im Verhalten der Vorstandsvorsitzenden begünstigen; und diese Tendenzen können die ethische Infrastruktur weiter schwächen und das Unternehmen anfällig für Fehlverhalten machen.

Die untersuchten Fälle

Für seine Studie haben die Forscher*innen die PCL-R auf sechs CEOs angewandt: Jeffrey Skilling (Enron), Bernard Ebbers (WorldCom), Dennis Kozlowski (Tyco International), Richard Fuld (Lehman Brothers), Calisto Tanzi (Parmalat) und Thomas Middelhoff (Arcandor). Mit Ausnahme von Richard Fuld sind alle rechtskräftig verurteilt worden. Mehrere dieser Personen erhielten einige der höchsten Strafen, die jemals für Wirtschaftskriminalität verhängt wurden und verbüßten zum Zeitpunkt der Durchführung dieser Studie noch immer ihre Strafe.

Die Ergebnisse der Studie sind auch in einem Video kurz erklärt.

„1 Minute, 1 Paper“:  Forschungsergebnisse schnell erklärt

Die Videoserie „1 Minute, 1 Paper“ der WU präsentiert Forschungsergebnisse leicht nachvollziehbar und in aller Kürze. Das aktuelle Video ist ab sofort unter diesem Link abrufbar: https://short.wu.ac.at/1M1P-stahl. Alle weiteren „1 Minute, 1 Paper“-Videos sind auf dem YouTube-Kanal der WU zu finden: https://short.wu.ac.at/1M1P. Die Videos können lizenzfrei auf externen Seiten eingebunden werden

Zur Studie

Günter K. Stahl, Milda Zilinskaite, Stephan Döring: Psychopathy in the C-Suite: Myth or Reality?

Pressekontakt:
Alexander Vieß
Forschungskommunikation
Wirtschaftsuniversität Wien
Tel: + 43-1-31336-5478
E-Mail: alexander.viess@wu.ac.at

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