Die „weitreichende Hand“ der EU in die Energiewirtschaften ihrer Mitgliedstaaten
Ob Clean Energy Package, Green Deal oder Europäisches Klimagesetz: Die Europäische Union zeigt verschiedenste Initiativen für eine gemeinsame, klimafreundliche Energiewirtschaft. Doch ihre rechtlichen Mittel sind begrenzt – wie stark, dieser Frage widmet Stefan Storr, Professor am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien, in seiner Forschung. Er kritisiert vor allem unpräzise Formulierungen in der EU Governance-Verordnung und im Entwurf zum Europäischen Klimagesetz sowie die Gefahr einer Kompetenzüberschreitung der EU rund um den Zielpfad, mit dem das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 verwirklicht werden soll.
Die Energiewirtschaft ist ein Schlüsselfaktor unserer Volkswirtschaften und in einem tiefen Umbruch. Seit mehr als zwanzig Jahren geht es um eine umfassende Liberalisierung, durch die die Monopole der Energiewirtschaft überwunden und der Wettbewerb ermöglicht wurde. Heute ist eine der größten Herausforderungen die Umstellung auf energieffizienten Verbrauch und klimaschonende Energiegewinnung. Die EU forciert dieses Ziel massiv, beispielsweise durch das Clean Energy Paket, den Green Deal und künftig durch das Europäische Klimagesetz, doch ist sie auf eine umfassende Mitwirkung ihrer Mitgiedstaaten angewiesen. WU Rechtsexperte Stefan Storr untersucht, wie weit die Kompetenzen der EU in der Energiewirtschaft reichen. „Das zentrale Problem einer europaweiten Energie- und Klimapolitik liegt darin, dass die Europäische Union keine umfassende Kompetenz in den Bereichen Energiewirtschaft und Klimaschutz hat.“, so Storr.
Unpräzise Formulierungen in der Governance-Verordnung
Die europäischen Verträge sehen zwar eine Kompetenz der EU zur Verwirklichung des Binnenmarkts bei Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt, insbesondere auch zur Förderung der Energieeffizienz, von Energieeinsparungen und Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen vor, doch bleiben den Mitgliedstaaten eigene Kompetenzen in erheblichem Maße. Storr erklärt: „Jeder Mitgliedstaat darf weiterhin über die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung entscheiden. Hinzu kommt, dass budgetintensive Vorhaben die mitgliedstaatlichen Bereiche der Haushalts- und der Wirtschaftspolitik betreffen können. Eine ganzheitliche Politik kann die EU also nicht allein betreiben.“ Deshalb versucht die EU eine Koordinierung der Energie- und Klimapolitik durch ein Governance-System und gemeinsame Leitlinien. Dem zufolge müssen die Mitgliedstaaten integrierte nationale Energie- und Klimapläne und Langfrist-Strategien erstellen. „Die EU Kommission bewertet diese und kann länderspezifische Empfehlungen aussprechen. Diese können zB das Ambitionsniveau der Ziele, Politiken und Maßnahmen mit Bezug zu den Zielen auf der Ebene des Mitgliedstaats betreffen. Auch wenn diese Empfehlungen für die Mitgliedstaaten nicht bindend sind, sollen sie ihnen doch „gebührend Rechnung tragen“, erklärt Storr. Doch genau Formulierungen wie diese spiegeln laut Storr die Problematik wider. „Diese und viele andere unpräzise Formulierungen bieten einen breiten Interpretationsspielraum für Governance und machen somit eine gleichwertige Umsetzung in den Mitgliedstaaten schwierig“, so Storr.
Delegierte Rechtsakte zum EU-Zielpfadgehen zu weit
Storr sieht vor allem eine differenzierte Analyse der Kompetenzen der EU sowie deren Möglichkeiten einer koordinierten Energie- und Klimaschutzpolitik für wesentlich. Denn in manchen Bereichen will die Kommission laut Storr zu weit greifen. „Zum Beispiel dann, wenn, wenn sie vorschlägt, durch delegierte Rechtsakte für den Zeitraum 2031–2050 einen Zielpfad für die schrittweise Verwirklichung des EU-2050-Klimaziels festlegen zu dürfen. Denn delegierte Rechtsakte dürfen nur „nicht-wesentliche Vorschriften“ enthalten“, erklärt Storr.
Über Stefan Storr
Stefan Storr ist Universitätsprofessor für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität. Storr studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg und München, wo er auch sein erstes Staatsexamen absolvierte. Anschließend war der Jurist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Jena tätig, dort promovierte er 1994. Nach seinem zweiten Staatsexamen habilitierte er sich für Staats- und Verwaltungsrecht, Finanzverfassungsrecht und Europarecht in Jena. Es folgten eine Anwaltstätigkeit in Leipzig sowie Vertretungsprofessuren in Jena, München und Dresden. 2008 wechselte er an die Universität Graz, 2018 folgte er dem Ruf der WU an das Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht. In der Forschung widmet sich Stefan Storr vorwiegend Fragen des Verfassungs- und Verwaltungsrechts, EU-Rechts und Öffentlichem Wirtschaftsrecht sowie insbesondere dem Energierecht. Er hat zahlreiche Beiträge in österreichischen und internationalen Zeitschriften, Sammelbänden und Gesetzeskommentaren verfasst.
Video: Researcher of the Month: Stefan Storr
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