NPO-Governance Kodex - die Beratungssicht
Praktische Governance-Fragen aus der Beratung
Die Trends aus Wissenschaft und Praxis zeichnen die NPO-Governance als eine komplexe Materie mit einer Reihe von Problemfeldern. Die Entwicklung einer an Stakeholder orientierten NPO-Governance zählt zu den bewährten Zugängen.
Im NPO-Sektor herrscht ein sehr breites Spektrum an rechtlichen Rahmenbedingungen (Rechtsform, steuerrechtliche/gesellschaftsrechtliche Fragen etc.) mit unterschiedlichen Rollenverteilungen bzgl. Governancefunktionen z.B. in der ehrenamtlichen oder hauptamtlichen Führung. NPOs sind typischerweise ebenso dicht in Netzen von Anspruchsgruppen verwoben, die teilweise sehr hohe politische oder sonstige Abhängigkeit oder Einflussnahme bedingen. Die Anforderungen an die Organe steigen auch dadurch bedingt deutlich. Viele aktive Organe haben inhaltliche und rollenspezifische Probleme, diese Anforderungen zu erfüllen.
Demgegenüber steht eine vergleichsweise geringe Zahl an Handlungsanleitungen bzw. sind die in solchen Fällen gerne herangezogenen Hilfestellungen aus dem erwerbswirtschaftlichen Bereich nur bedingt geeignet. Neben dem generellen Spannungsfeld im Bereich ehrenamtliche und hauptamtliche Führung, bestehen in NPOs oftmals komplexe und teilweise langwierige Entscheidungsstrukturen, die zu zunehmenden Vertrauenskrisen - teilweise durch organisatorische Identitätskrisen ausgelöst - beitragen. In der Realität ist als eine Konsequent ein großer Unterschied zwischen formaler und informaler Führung bzw. Aufsichtsrolle in vielen NPOs zu erkennen.
Die in der Managementtheorie etablierte Argumentationslinie, nach der sich Governance ausschließlich mit der Ausübung der Kontrollrechte durch die Eigentümer befasst (Principal-Agent-Theorie), ist für NPOs aufgrund zu starker Vereinfachung nur beschränkt anwendbar und allgemein nicht mehr zeitgemäß. Im Nonprofit Bereich wird der Stakeholder-Ansatz als brauchbarste, konzeptionelle Grundlage betrachtet um das eigene Governance-System zu gestalten. Dabei geht es um die Interessen jener Personengruppen, die einen wertvollen Beitrag zur Verfolgung der Mission der Organisation leisten bzw. geleistet haben (und vertragliche Absicherung erhalten, z.B. Spender, Ehrenamtliche).
Der Handlungsbedarf der vergangenen Jahre und die dementsprechenden Entwicklungen in der Praxis weisen auf die Notwendigkeit klarer Aufgabenteilung zwischen den Organen der NPO hin. Zusätzlich wird - angesichts der gegenwärtigen zeitlichen, fachlichen und sozialen Anforderungen im Management einer NPO - eine vertretungsbefugte, hauptamtliche Führung in der operativen Tagesverantwortung gesehen.
In der etablierten Vereinsstruktur (Vorstand & Geschäftsführung) gewinnt die Installation von bzw. die Umwandlung der Vorstands- in Aufsichtsorgane(n) an Bedeutung.
Die gewählte, ehrenamtliche Vertretung (meist bislang Vorstand, Präsidium) agiert somit verstärkt als strategisches Überwachungsorgan, stellt die Nähe zu den (bedürftigen) Zielgruppen her sowie verkörpert die authentische, demokratische und persönliche Zuwendung zu den Stakeholdern.
Die Anforderungen an die Aufsichtsorgane steigen deutlich. Viele aktive Aufsichtsorgane haben in der Praxis inhaltliche sowie ressourcen- und rollenspezifische Probleme, diese Anforderungen zu erfüllen.
Die oberste, hauptamtliche Leitung (Geschäftsführung) ist vermehrt außenvertretungsbefugtes Organ des Vereines, um Blockaden und Verzögerungen im laufenden Geschäft zu minimieren.
Bei getrennter Außenvertretung mit dem ehrenamtlichen Leitungs- bzw. Überwachungsorgan vertritt die hauptamtliche GF vor allem in Bereichen mit hoher Komplexität bzw. in Bereichen mit notwendigen spezifischen Fachkenntnissen.
Unklare Aufgabenteilung, Rollenabgrenzungen und Informationswege zwischen Aufsichtsgremien und Management führen zu häufigen Blockaden und Verzögerungen im operativen und strategischen Tagesgeschäft durch Beschäftigung mit eigenen Strukturen anstatt mit Mission, Wirkung und Tagesbetrieb der NPO.
Häufig bestehen Umsetzungsprobleme von Governance-Anliegen kombiniert mit einer ungenügenden Durchlässigkeit der einzelnen Hierarchiestufen (fehlende Rückkoppelung). Um diese Lücken in der Governance (d.h. einen Governance-Gap) zu vermeiden, müssen zentrale Rollen eingenommen werden und die interne Verteilung sorgfältig und zielgruppengerecht definiert werden.
Modifiziert nach: Hilb, M. & Renz, P. (2009). Wirksamen Führung und Aufsicht von Not-for-Profit-Organisationen (New NPO Governance). Haupt Verlag.
Zu den zentralen Rollen, die Governance-Organe einnehmen müssen, um ein Auftreten einer lückenhaften Governance zu vermeiden, zählen Governancerollen in den Bereichen System, Mission, Integrität, Stakeholder Risiko und Audit. Aus der Wahrnehmung dieser Rollen im Bereich der Governance werden Fragen abgeleitet, um notwendige Entscheidungen zu treffen:
Verantwortungsbereich System:
Übliche, entscheidungsrelevante Fragestellungen: Aufgrund welcher Einschätzung des aktuellen und zukünftigen Umfelds treffen wir Entscheidungen?
Typische Verantwortlichkeit von Governancenorganen: Ein Verständnis des (Um)-Systems fordern und fördern
Verantwortungsbereich Mission:
Übliche, entscheidungsrelevante Fragestellungen: Was wollen und sollen wir als Organisation? Mit welcher Strategie und Ressourcen?
Typische Verantwortlichkeit von Governancenorganen: Ein Verständnis der eigenen Mission und Strategie fordern und fördern
Verantwortungsbereich Integrität:
Übliche, entscheidungsrelevante Fragestellungen: Mit welchen Grundwerten verfolgen wir unsere Mission?
Typische Verantwortlichkeit von Governancenorganen: Ein Verständnis, was Integrität (und so Glaubwürdigkeit) bei der Auftragserfüllung bedeutet, fordern und fördern
Verantwortungsbereich Stakeholder:
Übliche, entscheidungsrelevante Fragestellungen: In Zusammenarbeit mit welchen Akteuren verfolgen wir unsere Mission bzw. Wirkung?
Typische Verantwortlichkeit von Governancenorganen: Das Verständnis, wie Stakeholder eingebunden und verpflichtet werden, fordern und fördern
Verantwortungsbereich Risiko:
Übliche, entscheidungsrelevante Fragestellungen: Unter Inkaufnahme welcher Risiken verfolgen wir Mission und Wirkungen?
Typische Verantwortlichkeit von Governancenorganen: Das Verständnis zum bewussten Umgang mit Risiken fordern und fördern
Verantwortungsbereich Audit:
Übliche, entscheidungsrelevante Fragestellungen: Mit welchen Kontrollinstrumenten verfolgen wir Mission/Wirkungen?
Typische Verantwortlichkeit von Governancenorganen: Das Verständnis der Kontrollinstrumente und deren Mehrwert fordern und fördern.
Mit steigender Komplexität und wachsender Herausforderung Risiken zu überblicken sowie dem erhöhten Aufwand der Führung, empfiehlt sich eine differenzierte Betrachtung hinsichtlich der Aufgabenbereiche ehrenamtlicher Governanceorgane.
Beitragen und Fördern
Verantwortungsbereiche, die in diesem Feld liegen, bedürfen einer aktiven Pflege und Einschaltung des ehrenamtlichen Organs. Dementsprechend entsteht hierbei erhöhter Aufwand für das Organ.
Anforderungen: In diesem Bereich wird aktives Engagement, selbstständiges Initiieren und Aufbringen von Themen und ein bestimmtes Maß an Begleitung und Input durch das ehrenamtliche Organ benötigt.
Überwachen und Fordern:
In diesem Bereich werden klassische Aufgaben eines Aufsichtsorganes wahrgenommen: Die Überprüfung der vereinbarten Pläne und Ergebnisse sowie ggf. die Aufforderung zur Nachbesserung.
Anforderungen: Je nach Tätigkeitsbereich - fachliches, soziales und instrumentelles Know-how sowie Kenntnis des Organisationskontextes. Bereitschaft zum Sparring mit Geschäftsführung.
Betreuung von Sonderthemen
Anforderungen: Je nach Themenbereich - bei Repräsentationsaufgaben z.B. Routine im Umgang mit Medien, öffentlichen bzw. Großgruppenveranstaltungen oder bei Baumaßnahmen Erfahrung mit Infrastrukturthemen o.ä.
Je nach Spezifika der Organisation werden gewisse Themen, z.B. aus Akzeptanz- oder Repräsentationsgründen vom ehren-amtlichen Organ betreut. Eingriffe in Krisenzeiten gehören hier dazu.
Zustimmen und Entscheiden
Richtungsweisende Verfahren, zentrale Ereignisse sowie grundlegende Pläne und Vereinbarungen werden vom ehren-amtlichen Organ (mit)entschieden bzw. sind zustimmungspflichtig.
Anforderungen: Routine in der Besetzung und im Umgang mit Führungskräften. Strategisches Denken und Handeln. Bewusstes Abwägen von Chancen und Risiken. Entscheidungsfreudigkeit.