npoInterview mit Werner Kerschbaum
In den Newslettern von npoAustria habe ich in den vergangenen Jahren unter der Rubrik 'Alt, aber gut' Klassiker aus der Managementliteratur vorgestellt.
Nun geht es aber um aktuellere Themen, denn für die vielen Leser:innen des Newsletters von npoAustria ist es natürlich auch interessant, Einblicke in die Arbeits- und Gedankenwelt von Spitzenvertreter:innen des gemeinnützigen Sektors zu bekommen.
Diesmal gibt uns Herr Mag. Michael Opriesnig, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK), die Ehre.
Nach dem Studium der Geisteswissenschaftlen an der Universität Wien begann er seine Berufslaufbahn im Zeitschriften- und Magazinbereich. 1998 wechselte der gebürtige Kärntner zum Roten Kreuz als Leiter des Bereichs Marketing und Kommunikation. Bis 2012 verantwortete er den Bereich Marketing und Kommunikation; danach war er für sieben Jahre stellvertretender Generalsekretär. Er ist Präsident des Österreichischen Komitees für Soziale Arbeit und Vorstandsvorsitzender der gemeinnützigen „Nachbar in Not Stiftung".
1. Fragen zum gemeinnützigen Sektor
Was war für Sie die wichtigste/wirkungsstärkste Entwicklung der letzten Jahre im gemeinnützigen Sektor?
Das Gemeinnützigkeitsreformgesetz 2023 war wichtig für den gesamten Sektor und hat auch Erleichterungen für Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen gebracht. Mit dem NPO-Satellitenkonto liegt seit dem Sommer 2024 erstmals eine Erhebung der Bedeutung des Sektors im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vor (es sind übrigens beeindruckende Zahlen!).
Welche Risiken/Chancen sehen Sie für den NPO-Sektor in der Zukunft?
Das wird auch regierungsabhängig sein. Eine Weltanschauung, welche die Zivilgesellschaft in ihrer Entfaltung behindert, halte ich für demokratiepolitisch bedenklich. Umgekehrt würde die stärkere Einbindung unserer Expertise in politische Entscheidungsprozesse eine große Chance darstellen. Dass Österreich sparen muss, birgt ebenfalls Risiken. Staat und Markt werden dann vieles nicht mehr bereitstellen können, der 3. Sektor wird einspringen müssen.
Wenn Sie für einen Tag alle Möglichkeiten hätten - zum Beispiel als verantwortlicher Minister oder Bundeskanzler - welche Maßnahmen würden Sie jedenfalls umsetzen?
Erstens: das Bund-Länder-Geflecht in der Pflege auflösen und teilweise schon gesetzte Reformschritte weiter vorantreiben. Was hier auf uns zukommt, auch beim Thema Armut durch Pflege, ist noch immer nicht ausreichend erkannter gesellschaftspolitischer Sprengstoff.
Zweitens: die demografische Alterung ist unumkehrbar. Wir müssen Wirtschaft und Gesellschaft daher darauf ausrichten, mit weniger Arbeitskräften produktiv zu bleiben und den Wohlstand durch technologische Fortschritte und wissenschaftliche Innovationen zu sichern. Das erfordert eine große Reform des Bildungssystems.
2. Fragen zur eigenen Organisation
Was ist Ihrer Organisation in der jüngeren Vergangenheit besonders gut gelungen?
Unsere Mitarbeit bei der Bewältigung der Corona-Pandemie,
die Hilfsoperation in der Ukraine, Volumens mäßig die größte in unserer Geschichte,
die kontinuierliche Vollversorgung der Spitäler mit labilen Blutprodukten unter schwierigen Bedingungen (Pandemie, Hochwasser),
das Zweckzuschussgesetz ermöglicht die Steigerung unserer Leistungsfähigkeit im Krisen- und Katastrophenfall durch die Beschaffung von Ausrüstung und Investitionen in Infrastruktur, und
dann gibt es zahlreiche gelungene Aktivitäten unter der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle: Tausende bewältigte Fälle in der Familienzusammenführung; die Lernhilfe für mittlerweile 18.000 Pflichtschulkinder; die bundesweit 125 „Team Österreich“-Tafeln jeden Samstag.
Welche drei Themen/Schwerpunkte werden in nächster Zukunft in Ihrer Organisation eine besonders hohe Priorität genießen?
Die Vollversorgung der Spitäler mit labilen Blutprodukten rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr aufrechtzuerhalten.
Die Finanzierung des Rettungsdienstes in allen Bundesländern sicherzustellen.
In Zeiten abnehmenden Arbeitskräfteangebots ein guter Arbeitgeber zu sein sowie Vielfalt und Diversität innerhalb der Organisation zu stärken.
Wie würden Sie die Schlüsselkompetenzen/Alleinstellungsmerkmale Ihrer Organisation definieren?
Wir sind die größte humanitäre Freiwilligen-Organisation Österreichs, betreiben 85% des Rettungsdiensts und bewerkstelligen 90% der Blutaufbringung. Unser Zeichen ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal, ein britischer Anthropologe hat es einmal als „Kabinettsstück des Marketing“ bezeichnet. Das Rote Kreuz ist Völkerrechtssubjekt – üblicherweise das Vorrecht souveräner Staaten und der UNO – und so Hüter des Humanitären Völkerrechts. In Österreich unterstützen wir laut Rotkreuz-Gesetz die Behörden im humanitären Bereich und umgekehrt sie uns bei der Erfüllung unserer Aufgaben. Deshalb sind wir zwar eine NPO, aber keine NGO.
Was sind die zentralen Werte in Ihrer Organisation?
Sie leiten sich im Sinne des Dreischritts „Halt – Haltung – Handlung“ aus den sieben Rotkreuz-Grundsätzen ab: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit, Universalität.
Wenn jemand Fremder zum ersten Mal in Ihre Organisation kommt, was würde ihm besonders auffallen?
Das hängt davon ab, wann und wo diese Person eine unserer 132 rund um die Uhr besetzten Dienststellen betritt. Idealerweise würde ihr auffallen, dass sie sich im Gebäude einer Hilfsorganisation befindet.
3. Fragen zur Person/Steckbrief
Von wem haben Sie am meisten gelernt?
Von Vorgängern in meiner Position, auch von Rotkreuz-Präsidenten. Man kann übrigens fast von jedem Menschen, den man trifft, etwas lernen. Und sei es nur, wie man Dinge nicht tut.
Welches Buch oder welchen Film empfehlen Sie den Leser:innen des npoAustria Newsletter?
Buch: „Der Magier im Kreml“ von Giuliano da Empoli.
Film: „Don´t Look Up” von Adam McKay.
Was regt Sie besonders auf?
Unaufrichtigkeit.
Womit können andere Menschen Ihnen eine Freude bereiten?
Mit guten Gesprächen.
Wenn Sie nur noch kurze Zeit zum Leben hätten, was möchten Sie jedenfalls noch erledigen?
Hätte ich nur mehr kurze Zeit zu leben, würde ich mir sicher nicht den Druck machen, noch etwas erledigen zu müssen.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die ihr Berufsleben gerade starten?
Neugierig, bescheiden, aufrichtig und wissbegierig zu sein.
Was ist Ihr persönliches Lebensmotto bzw. Ihr Leitspruch?
Da darf ich mich an meinen Vorgänger halten, der immer wieder betont hat.
“It is amazing what you can accomplish if you do not care who gets the credit.” (Harry Truman)
Ich bedanke mich sehr herzlich bei Herrn Mag. Opriesnig, dass er sich die Zeit genommen hat, unsere Fragen zu beantworten.
Werner Kerschbaum