Sozioökonomie

Zum Wachsen verdammt? Neue Gedanken für eine Welt ohne Wachstum

17. Oktober 2023

Höher, schneller, weiter: Ohne Wachstum geht in der Wirtschaft nichts – auch wenn die Folgen für unseren Planeten katastrophal sind. Darum suchen Forscher*innen wie Colleen Schneider vom WU Institute for Ecological Economics nach Alternativen.

Stetiges Wachstum ist der Motor des weltweiten Wirtschaftssystems. Doch angesichts ökologischer Krisen und steigender ökonomischer Ungleichheit wird Kritik am Wirtschaftswachstum als Maß aller Dinge laut. In der so genannten Degrowth-Bewegung entwickeln Forscher*innen Ideen, wie eine Wirtschaft aussehen könnte, die vom Wachstumsgedanken entkoppelt ist und in der das Wohl von Mensch und Umwelt im Vordergrund steht. „Was aber bisher fehlt, ist eine Theorie, wie der Staat in einer schrumpfenden Wirtschaft ambitionierte soziale und ökologische Projekte finanzieren und makroökonomische Stabilität sicherstellen kann“, erklärt Colleen Schneider vom Institute for Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien (WU).

Gemeinsam mit Christopher Olk von der Freien Universität Berlin und Jason Hickel von der Universität Barcelona hat sie sich auf die Suche nach einer solchen Theorie gemacht. Die Schwierigkeit daran: Nach gängiger Lehrmeinung ist Wachstum unabdingbar, um neue Arbeitsplätze zu schaffen – und um öffentliche Investitionen zu finanzieren, wie sie für eine flächendeckende Dekarbonisierung nötig sind.

Braucht es eine neue Geldtheorie?

Eine mögliche Lösung könnte laut den Forscher*innen die Modern Monetary Theory (MMT) sein. Laut dieser Theorie werden die öffentlichen Ausgaben nicht durch Steuereinnahmen beschränkt, sondern allein durch die Produktionskapazität der Volkswirtschaft. Staatsverschuldung ist demnach kein Problem, solange die Inflation durch Maßnahmen wie Steuererhöhungen in Schach gehalten wird. In ökonomischen Kreisen ist die Modern Monetary Theory umstritten, sie hat aber auch prominente Vertreter*innen wie die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Stephanie Kelton oder den ehemaligen Hedgefonds-Manager Warren Mosler.

Im Einklang mit der MMT schlagen Colleen Schneider und ihre Kollegen verschiedene geld- und fiskalpolitische Maßnahmen vor, um Inflation zu verhindern und wirtschaftliche Stabilität während eines Degrowth-Übergangs zu gewährleisten. Dazu gehören eine stärkere Regulierung der privaten Geldschöpfung durch Banken, eine progressive Besteuerung von Kapitaleinkommen sowie von Energie- und Ressourcenverbrauch und die Einführung einer Arbeitsplatzgarantie in nachhaltigen Sektoren. Für eine öffentlich finanzierte Dekarbonisierung müssten Ressourcen, die bisher für gesellschaftlich weniger relevante Produktion eingesetzt wurden, durch politische Maßnahmen in ressourceneffiziente öffentliche Versorgungssysteme verschoben werden.

„Die Kombination von Degrowth und Modern Monetary Theory wurde bisher kaum diskutiert“ sagt Colleen Schneider von der WU, „wahrscheinlich weil die beiden Bewegungen aus unterschiedlichen akademischen Milieus kommen.“ Die Forscher*innen hoffen, mit ihrer Arbeit einen Denkanstoß zu liefern, um Wirtschaft aus einer neuen Perspektive zu sehen. Doch in der Praxis stehen ihren Überlegungen viele Hürden im Weg – eine davon sind existierende europäische Schuldenregeln. „Mit Blick auf die existenzielle Klimakrise sollten wir solche politischen Regelungen ohnehin hinterfragen“, so Colleen Schneider.

Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen

Olk, C., Schneider, C., Hickel, J. (2023): How to pay for saving the world: Modern Monetary Theory for a degrowth transition. Ecological Economics 214
Link zur Studie

zurück zur Übersicht