Welthandel

Wirtschaftsmächte im Umbruch

03. April 2024

Freihandelsabkommen und wirtschaftliche Globalisierung sind aus der Mode gekommen: Sanktionen, Protektionismus und Befürchtungen trüben den Ausblick auf eine prosperierende Entwicklung der Handelsbeziehungen.

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Seit Beginn der 2020er Jahre ist in der Weltwirtschaft vieles nicht mehr so, wie es einmal war. Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie erforderte eine enorme finanzielle Kraftanstrengung, nicht nur für Staaten, sondern auch für deren Bürger*innen. Dazu kam der Angriff Russlands auf die Ukraine, der neben all dem Leid die Verteuerung von sehr vielen Wirtschaftsgütern und enorm gestiegene Energiekosten verursachte. Vorbei scheint das Zeitalter von Freihandelsabkommen, deren ursprüngliche Idee es war, durch Handelsintegration politische Konflikte einzuschränken. Der Wunsch war, dass nach dem Ende des Kalten Krieges viele Staaten das liberale, westliche Wirtschaftssystem übernehmen sollten. „Westliche Demokratien, wobei hier eher die europäischen Staaten mehr noch als die USA gemeint sind, haben in ihrer Politik Handelsabkommen vorangetrieben, bei denen Barrieren im bilateralen und multilateralen Handel abgebaut werden sollten“, erklärt Harald Oberhofer, Professor am WU Department of Economics. Er ist der Meinung, dass es auf absehbare Zeit nun weniger wichtig sein wird, sich wirtschaftlich global zu integrieren. Oberhofer: „Es wird danach getrachtet werden, sich nicht zu stark von Autokratien abhängig zu machen, beispielsweise in Bezug auf kritische Rohstoffe oder sensible Produkte.“

Demokratien unter Druck

Der im März von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte „Transformationsindex“ kommt zu dem Ergebnis, dass Demokratien weltweit unter Druck geraten sind: Unter den Entwicklungs- und Schwellenländern sank deren Zahl auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren. 63 Demokratien stehen einer Mehrheit von 74 Autokratien gegenüber. „Der Anteil unserer Handelspartner, die demokratisch sind, geht zurück“, sagt Gabriel Felbermayr, Professor am WU Department of Economics und Direktor des WIFO. „Geostrategische Rivalitäten sind zurück und internationale Wirtschaftspolitik wird als Machtpolitik verstanden, was dem gegenseitigen Vertrauen massiv schadet.“ Die Politik richtet sich daher neu aus: Es zählt nun mehr das Nearshoring, also der verstärkte Handel mit Staaten, die in der Nachbarschaft liegen oder das Friendshoring, der Handel mit freundschaftlich gesinnten Staaten.

Problematische Beziehung zu China

Wie sind in diesem Zusammenhang die Handelsbeziehungen zu China zu bewerten? China schottet sich durch seine Politik schon lange nicht mehr ab, im Gegenteil, China will seinen globalen Einfluss nach eigenen Spielregeln stärken. So lassen sich nach chinesischer Denkart Macht und Wohlstand am besten maximieren. Auf der anderen Seite wollen sich die USA von China verstärkt abkoppeln. „Das US-amerikanische Ziel ist, in der Hochtechnologie, beispielsweise bei der Microchip-Entwicklung, zwei Generationen vor China zu sein und durch Maßnahmen wie dem Verbot von Exporten den chinesischen Aufstieg zu verhindern“, berichtet Oberhofer.

Weniger Abhängigkeit

In Europa wird die Politik des De-risking betrieben, um bei bestimmten Produkten das Risiko der Abhängigkeit zu reduzieren. Deshalb werden, wie bei den Seltenen Erden, Rohstoffpartnerschaften mit anderen Ländern gefördert. Oberhofer: „Andere Lieferbeziehungen sollen dazu führen, dass die Abhängigkeit von China bei bestimmten Produkten reduziert wird.“ Zum Beispiel stammen bei Photovoltaikanlagen zurzeit bis zu 90 Prozent der einzelnen Komponenten aus China. Die Hoffnung besteht, dass es Europa im Falle eines geopolitischen Konflikts ökonomisch weniger hart trifft. „Klar ist, dass das chinesische Wachstumsmodell unter dem neuen westlichen Protektionismus leidet“, stellt Felbermayr fest. „Das zentrale Problem besteht darin, dass internationaler Handel mit Spezialisierung einhergeht, und diese ist nicht ohne Abhängigkeiten zu haben. Will man weniger Abhängigkeit, muss die Spezialisierung zurückgehen, aber damit geht Wohlstand verloren.“

Österreich hinkt hinterher

Abhängig waren die EU-Staaten in unterschiedlichem Ausmaß auch vom russischen Erdgas. Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine sind jedoch die direkten Handelsbeziehungen der EU zu Russland eingebrochen, nicht nur bei sanktionierten Gütern, sondern auch in anderen Bereichen. Andere Volkswirtschaften haben gezeigt, dass ein Ausstieg aus russischem Gas machbar ist. Nur Österreich hinkt hinterher. „Das Argument, dass man einen Vertrag nicht einfach aufkündigen kann, ist relativ schwach“, meint Oberhofer. „Immerhin hat sich Russland auch nicht an den Vertrag gehalten, weil seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Rechnungen für das Gas in Rubel statt in Euro bezahlt werden müssen.“ Felbermayr ergänzt: „Es stimmt, dass in Österreich der Anteil Russlands an den gesunkenen Gasimporten noch immer sehr hoch ist. Das wird sich bald ändern, zumal die Ukraine kein russisches Gas mehr durchleiten wird.“

Sorgenvoller Blick über den Atlantik

Mit berechtigter Sorge blickt die Welt auch auf die USA, wo im November die nächste Präsidentenwahl stattfinden wird. Donald Trump werden gute Chancen eingeräumt, wiedergewählt zu werden. „Vieles ist unklar. Aber eines ist sicher: Der Ton würde wieder aggressiver und die Stimmung schlechter“, ist Felbermayr überzeugt. „Auf jeden Fall wissen wir heute besser als vor acht Jahren, was wir zu erwarten hätten.“ Einige von Trumps Ankündigungen lassen aufhorchen: Die Rede ist von Zusatzzöllen gegenüber China von 60 Prozent; außerdem könnte ein Basiszoll auf alle Importe von 10 Prozent kommen. Das würde auch Waren aus der EU betreffen, was wiederum zur Folge hätte, dass die EU vergleichbar reagieren müsste. Oberhofer erwartet, dass sich die Handelsbeziehungen der USA zur EU nicht verbessern werden: „Ein Freihandelsabkommen ist in weite Ferne gerückt. Auch wenn Joe Biden US-Präsident bleiben sollte.“

Harald Oberhofer

© Alexander Müller

Harald Oberhofer ist Professor für Empirical Economics am Department für Volkswirtschaft der WU und Ökonom am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Zudem leitet er den Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft (FIW), eine Kooperation zwischen vier österreichischen Universitäten und zwei angewandten ökonomischen Forschungsinstituten. In seiner Forschung beschäftigt sich Harald Oberhofer mit Fragen der Außenwirtschaftsökonomik sowie der Handelspolitik und kommentiert diese regelmäßig in den österreichischen Medien.

Gabriel Felbermayr

© Alexander Müller

Gabriel Felbermayr ist Universitätsprofessor an der WU Wien und seit 1. Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO). Seine Forschungs- und Beratungstätigkeit konzentriert sich auf Fragen der internationalen Handelstheorie und -politik, der Arbeitsmarktforschung, der europäischen Wirtschaftsintegration und auf aktuelle Themen der Wirtschaftspolitik. Er hat eine Vielzahl von Artikeln in internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften sowie in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht und seine Forschung wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet.

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