Sinkende Geburtenraten bedrohen die Wirtschaft – was können wir dagegen tun?
In den letzten Jahrzehnten sind die Geburtenraten in wohlhabenden Ländern stetig gesunken. Eine neue Studie ordnet ein, was das für deren Volkswirtschaften bedeutet und wie die Politik darauf reagieren kann. Sie zeigt: Mit konsequenten Maßnahmen lassen sich die meisten negativen Folgen wirksam abmildern.
Die Gesamtfertilitätsrate gibt an, wie viele Kinder eine Frau auf Grundlage der aktuellen Geburtenziffern voraussichtlich bekommen wird. Liegt sie unter der sogenannten Ersatzrate von 2,1 Kindern pro Frau, schrumpft die Bevölkerung von Generation zu Generation. In allen 38 Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – mit Ausnahme von Israel – lag die Gesamtfruchtbarkeitsrate im Jahr 2019 unter diesem Wert.
Auch für China ist die niedrige Geburtenrate ein großes Problem: Dort lag die Gesamtfruchtbarkeitsrate 2019 bei 1,50. Eine ähnliche Entwicklung wird in Zukunft auch für Indien und andere süd- und südostasiatische Länder und viele lateinamerikanische Staaten erwartet.
In einer neuen Studie haben David E. Bloom von der Universität Harvard, Michael Kuhn vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) und Klaus Prettner von der WU Wirtschaftsuniversität Wien sowohl die Gründe für diesen Rückgang als auch mögliche Maßnahmen dagegen untersucht.
Ein Problem, viele Ursachen
Die Studie, die im Fachjournal Annual Review of Economics veröffentlicht wurde, zeigt, dass der Rückgang der Fruchtbarkeit auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen ist. Dazu gehören Einkommenswachstum und mehr Bildung, Veränderungen der sozialen Normen und Verhaltensweisen, die Entwicklung weg von traditionellen Rollenbildern und die Unsicherheiten einer komplexen, modernen Welt. Auch biologische Faktoren können eine Rolle spielen: Jüngste Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der menschlichen Spermien in den letzten 50 Jahren weltweit um mehr als 50 % zurückgegangen ist. Diese Faktoren wirken oft zusammen, und ihre Auswirkungen sind je nach Kontext sehr unterschiedlich.
„Geringe Fruchtbarkeit und die damit verbundenen wirtschaftlichen Herausforderungen werden in den kommenden Jahren zu einem globalen Trend werden“, erklärt Michael Kuhn, Mitautor der Studie und Direktor des IIASA Economic Frontiers Program. „Die schrumpfende Bevölkerung ist zwar ökologisch vorteilhaft, wirft aber Fragen hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums und der sozialen Sicherheit auf. Doch die Wirtschaftssysteme können sich durch eine durchdachte Politik an diese Veränderungen anpassen.“
So trägt beispielsweise die Ausweitung von Bildungsangeboten zur Stabilisierung der Wirtschaft bei, indem sie die Produktivität steigert und Innovation fördert. Außerdem führt eine geringere Geburtenrate häufig zu höheren Ersparnissen, die Investitionen in Kapital und Automatisierungstechnologien ermöglichen, um den Rückgang von Arbeitskräften auszugleichen.
Klaus Prettner ist Professor für Makroökonomie und Digitalisierung am Department of Economics der WU. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen der Automatisierung auf Wachstum und Ungleichheit, den wirtschaftlichen Effekten des demographischen Wandels und den Determinanten langfristigen Wirtschaftswachstums.
„Der Rückgang der Geburtenrate stellt zwar eine Herausforderung dar, jedoch können Investitionen in die Bildung der jungen Menschen und in die Entwicklung von arbeitssparenden Technologien wie Industrierobotern und KI-basierten Systemen zu einer starken Erhöhung der Produktivität führen“, ergänzt Klaus Prettner, Professor für Makroökonomie und Digitalisierung an der WU Wien. „Diese Produktivitätsgewinne können einen großen Teil der negativen ökonomischen Effekte einer Bevölkerungsschrumpfung kompensieren. Darüber hinaus können Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbsquoten von Frauen und von älteren Arbeitnehmer*innen auch einen substantiellen Beitrag leisten.“
Angesichts der Komplexität der Problemlage erscheint den Forschern der Versuch, die Geburtenrate durch gezielte politische Initiativen direkt zu „stimulieren“, als schwierig oder gänzlich unpraktikabel. Stattdessen sei es von entscheidender Bedeutung, die Wirtschaft so zu gestalten, dass Einzelpersonen sich frei nach ihren Präferenzen entscheiden können, mehr Kinder zu bekommen, und diese Entscheidung nicht nach gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Zwängen ausrichten müssen.
Dies bedeute, ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder in einer nachhaltigen Welt aufwachsen können, in der das Wohlergehen und nicht nur die wirtschaftliche Leistung im Mittelpunkt steht. Es bedeutet auch, soziale Verantwortung zu fördern und die Wirtschaftssysteme so anzupassen, dass sie den langfristigen demografischen Veränderungen gerecht werden.
Die Autoren betonen auch, dass der Rückgang der Geburtenrate nicht als Ausrede dienen sollte, um dringende Klima- und Umweltveränderungen zu verzögern; stattdessen sollten sie durch eine entschlossene und konsistente Politik angegangen werden.
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen
Bloom, David E., Kuhn, M., Prettner, K. (2024) Fertility in High-Income Countries: Trends, Patterns, Determinants, and Consequences Annual Review of Economics DOI: 10.1146/annurev-economics-081523-013750