Kein Diskussionsklima für Klimadiskussionen? Studie zu Klima-Kulturen in Deutschland
Ist Klimaschutz ein Elitenprojekt? Zumindest die Diskussion darüber wird von Eliten geprägt. Das zeigt eine Studie der Soziologin Sarah Kessler von der WU Wirtschaftsuniversität Wien. Sie konstatiert eine deutliche Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Sprache und Ansichten zum Klimawandel.
In den Medien ist die globale Erwärmung seit Jahren eines der beherrschenden Themen, und kaum eine Woche vergeht ohne große Protestaktionen. Dennoch: Wirksame Klima-Maßnahmen sind bisher rar gesät und eine klimaschonende Lebensweise – sowie ein entsprechendes gesellschaftliches Umdenken, das sich auch in politischen Ergebnissen niederschlägt – sind nach wie vor nicht in Sicht.
„Wir können unsere Klimaziele nur erreichen, wenn weite Teile der Bevölkerung die Maßnahmen mittragen – aber das ist nicht der Fall“, sagt Sarah Kessler vom WU Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit. Die Soziologin hat vier Jahre lang empirische Befunde zur Klimadiskussion in Deutschland gesammelt. Ihre Forschung zeigt: In der deutschen Bevölkerung gibt es keinen klaren Konsens zum Klimaschutz – und Aufrufe zu klimaschonendem Verhalten erreichen längst nicht alle Bevölkerungsgruppen.
In ihrem neuen Buch „Competing Climate Cultures in Germany“ skizziert Sarah Kessler verschiedene Klimakulturen, die sich in ihren Ansichten zum Klimawandel, aber auch in ihrer Sprache deutlich voneinander unterscheiden. „Will man diese verschiedenen Kulturen von der Sinnhaftigkeit der Klima-Maßnahmen überzeugen, muss man sie auf verschiedene Arten ansprechen“, sagt Sarah Kessler. Bei ihren Untersuchungen sei aber aufgefallen: „Weite Teile der Gesellschaft denken anders und sind wohl auch anders zu überzeugen, als man in akademischen Kreisen, Politik und Medien annimmt, da sich deren Lebensrealitäten eklatant von denen solcher Entscheidungsträger*innen unterscheiden.“
Sarah Kessler ist seit 2023 Assistenzprofessorin am WU Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit. Zuvor war sie am Department für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig. In ihrer Forschung beschäftigt sich die Soziologin vorrangig mit sozialen Bewegungen, Gesellschaftswandel und Umwelt. (Bild: WU/Florian Lindberg)
Zwischen Kollektivismus und Individualismus
Für ihre Studie hat die Soziologin Expert*innen- und Fokusgruppen-Interviews in verschiedenen Berufsbereichen geführt – von Mitarbeiter*innen bei NGOs und „grünen“ Start-ups über Menschen, die in der Industrie und Mobilitätsbranche arbeiten, bis hin zu Lehrer*innen, Handwerker*innen und Landwirt*innen. Zudem hat sie Medienberichte, Fernsehdebatten und Social-Media-Kommentare analysiert, um sich ein umfassendes Bild der Diskussion über den Klimawandel zu machen.
Dabei offenbarte sich eine deutliche Trennline: „Meine Untersuchungen zeigen eine tiefe Kluft zwischen den Klima-(Sub)kulturen der Elite, deren Mitglieder die ‚offiziellen‘ Botschaften zum Klimawandel anerkennen und verinnerlichen – und denjenigen, bei denen diese Botschaften überhaupt nicht ankommen.“
Innerhalb dieser Elite konnte Kessler zwei unterschiedliche Strömungen ausmachen: Einerseits gibt es eine individualistische Klimakultur, die Eigenverantwortung und die Macht der Konsument*innen betont – andererseits eine eher kollektivistisch orientierte Klimakultur, die auf Interventionen durch die Politik pocht und Änderungen des Lebensstils zwar fordert, diese jedoch als ein Abschieben von Verantwortung an Einzelpersonen sieht. Gemein ist diesen beiden Klimakulturen, dass sie jeweils tief in die moderne Wissenschaft vertrauen und der Überzeugung sind, man könne der Katastrophe noch entkommen, wenn man endlich begänne, ihre jeweiligen (gegensätzlichen) Lösungsansätze zu implementieren.
„Bemerkenswert ist, dass es keinen klaren Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu diesen Eliten-Klimakulturen und klimaschonendem Verhalten gibt“, räumt Sarah Kessler ein. „Die Angehörigen dieser Eliten haben keineswegs den kleineren ökologischen Fußabdruck.“
Während die Eliten-Klimakultur die mediale Berichterstattung bestimmt und Ausdruck in Talkshows, Magazinberichten, aber auch in YouTube-Videos von Influencer*innen findet, dominieren die Klimakulturen „von unten“ die Kommentarspalten und Social-Media-Plattformen. Diese sind weit heterogener: Sie reichen von „Ökos“ der alten Schule, die den Klimawandel als Gefahr sehen und blinden Konsumismus oder Heuchelei kritisieren, über Gruppen, die Klima-Maßnahmen als nutzlos empfinden, bis hin zu Skeptiker*innen einer wahrgenommenen „Klima-Hysterie“ – und schließlich echten Klimawandel-Leugner*innen.
„Die Daten zeigen, dass innerhalb dieser Klimakulturen die skeptischen und leugnenden Stimmen die lautesten sind“, sagt Sarah Kessler. „Dadurch ergibt sich oft ein extremer Kontrast zwischen den Botschaften in den Medien und den Online-Kommentaren darunter.“
Aus ihrer Forschungsarbeit leitet die Soziologin vor allem die Erkenntnis ab, „dass man die Bevölkerung nicht als Einheit betrachten darf, die nur darauf wartet, mit rationalen Argumenten überzeugt zu werden.“ Alarmistische Botschaften würden bei weiten Teilen der Bevölkerung eher zu Verunsicherung und einer Abwehrhaltung – einer Art „aktivem Wegschauen“ – führen. Um Klimaschutz in der Bevölkerung zu verankern, sollte man diese soziale Komponente stärker in den Blick nehmen, resümiert Sarah Kessler: „Wer effektive Klima-Maßnahmen entwickeln will, muss genauer untersuchen, wie Menschen wirklich leben und denken – und wie sie Klimaschutz sinnvoll in ihre Lebenswelt integrieren können.“
Detaillierte Studienergebnisse und weitere Informationen
Sarah Kessler (2024): Competing Climate Cultures in Germany. Variations in the Collective Denying of Responsibility and Efficacy. Transcript Verlag, 254 S.