Is Football coming out? Warum Homophobie im Fußball immer noch verbreitet ist
Homosexualität ist im Fußball noch immer ein Tabuthema - mehr als in anderen Gesellschaftsbereichen. Eine Studie der WU Wien hat die Gründe dafür beleuchtet.
Jedes Jahr demonstriert der Pride Month, dass unsere Gesellschaft riesige Schritte in der Akzeptanz von LGBT-Personen gemacht hat. Doch die gleichzeitig stattfindende Fußball-EM zeigt auch: Bestimmte Bereiche hinken dieser Entwicklung hinterher. Unter Profis ist der Anteil von offen homosexuellen Spielern verschwindend gering – weit niedriger als in der Allgemeinbevölkerung. Und immer wieder gibt es Skandale wegen homophober Gesänge oder Sprüche – zuletzt etwa im Frühling 2024 bei Rapid Wien.
Glaubt man verschiedenen Umfragen, sind homophobe Ansichten aber auch in der Welt des Fußballs immer seltener. Eine Studie aus dem Jahr 2012 hat etwa ergeben, dass Homophobie für 93 Prozent der britischen Fans keinen Platz im Fußball hat. Darüber hat sich auch Georg Kanitsar vom WU Institut für Soziologie und empirische Sozialforschung gewundert: „Für diese Diskrepanz zwischen Umfragen und Erfahrungen gibt es zwei Erklärungsversuche: soziale Erwünschtheit und pluralistische Ignoranz. Wir wollten herausfinden, was davon wahrscheinlicher ist.“
Georg Kanitsar war bis Februar 2023 Assistenzprofessor am WU Institut für Soziologie. Seither forscht er am Institut für Höhere Studien in Wien. Seine Forschungsinteressen liegen besonders in den Bereichen Migration und soziale Mobilität.
Welche Erklärung passt besser?
Soziale Erwünschtheit ist bei sozialwissenschaftlichen Studien ein häufiges Problem: Oft geben Befragte nicht an, was sie wirklich denken, sondern was die Befragenden wahrscheinlich von ihnen hören wollen. Es könnte also sein, dass Fußballfans weit homophober sind, als sie sich in Umfragen zuzugeben trauen. Pluralistische Ignoranz hingegen bezeichnet das Phänomen, dass wir Menschen oft die Einheitlichkeit von Meinungen in einer Gruppe überschätzen – und Vorbehalte haben, gegen diese vermeintliche Gruppenmeinung zu verstoßen: „In diesem Fall würde es bedeuten, dass Fußballfans und -spieler meinen, Homophobie wäre immer noch die Norm im Fußball – auch wenn sie privat anderer Meinung sind“, erklärt Georg Kanitsar.
Gemeinsam mit Katharina Pfaff von der Uni Wien hat er ein Studiendesign entwickelt, um herauszufinden, welche Erklärung wahrscheinlicher ist. Sie haben 1.215 männliche Fußballfans und -spieler in Großbritannien zu ihren Einstellungen über Homosexualität im Fußball befragt – allerdings mit einem Kniff. Neben direkten Fragen zu Homophobie haben sie auch erhoben, wie die Befragten über Homophobie bei anderen Fußballfans denken. So lässt sich feststellen, welche Rolle pluralistische Ignoranz bei den Antworten spielt.
Um soziale Erwünschtheit bei den Antworten zu verhindern, haben sie außerdem auf ein so genanntes Listen-Experiment gesetzt: Dabei bekamen die Befragten eine Reihe von Aussagen vorgelegt. Eine davon war „Ich denke, dass Homosexuelle nicht Fußballprofis sein sollten“, in der Liste kamen aber auch die Aussagen vor, dass Asthmatiker, Menschen ohne Impfung für Covid-19, Dopingsünder oder Menschen, die offen für Bestechung sind, nicht Fußballprofis sein sollten. Anstatt jeder dieser Aussagen einzeln zuzustimmen oder sie abzulehnen, müssen die Befragten aber nur angeben, wie vielen dieser Aussagen sie zustimmen. „Dadurch können die Leute ihre wahre Meinung verschleiern und geben eher an, was sie wirklich denken“, sagt Georg Kanitsar.
Nach der Durchführung der Befragungen und einer Reihe von statistischen Tests zeigte sich: Fußballfans sind weniger homophob, als sie von sich selbst annehmen. Je nach Art der Fragestellung teilen nur etwa fünf bis zehn Prozent von ihnen homophobe Ansichten. Umgekehrt glauben sie aber, dass weit mehr Fußballfans – etwa 30 Prozent – ein Problem mit Homosexualität im Fußball haben. Die bessere Erklärung ist also pluralistische Ignoranz und nicht soziale Erwünschtheit.
„Zu solchen Situationen kommt es oft, wenn sich Normen in einer Gesellschaft ändern“, erklärt Georg Kanitsar das Ergebnis. „Fehlende Kommunikation kann dazu führen, dass Menschen diese Änderung der gesellschaftlichen Normen unterschätzen oder nicht mitbekommen.“
Transparente Kommunikation sei essenziell, um diesen Prozess zu beschleunigen: „Je mehr und je offener über solche Normen geredet wird, desto schneller ändert sich das Bild“, sagt Georg Kanitsar. Besondere Bedeutung haben auch positive Rollenmodelle: „Wenn ein paar berühmte Fußballstars ihr Coming-out haben, könnte sich dieser Wandel sehr rasch vollführen.
Detaillierte Studienergebnisse und weiterführende Informationen:Kanitsar, G., & Pfaff, K. (2024). Is football coming out? Anti-gay attitudes, social desirability, and pluralistic ignorance in amateur and professional football. Social Science Research, 117.
Link zur Studie