Arbeitssuche in Grün: Wie Job-Agenturen die ökologische Transformation vorantreiben könnten
Arbeitsagenturen wie das AMS sind in erster Linie dazu da, Jobs zu vermitteln. Sie könnten allerdings auch dabei helfen, unsere Gesellschaft in eine nachhaltigere Richtung zu lenken. In einer neuen Studie untersuchen WU Forscher*innen, welche Maßnahmen dafür geeignet wären.
Erwerbsarbeit ist in unserer Gesellschaft der Schlüssel zu Wohlstand, sozialer Sicherheit und gesellschaftlicher Teilhabe. Darum kommt Arbeitsmarktagenturen wie dem österreichischen AMS eine entscheidende Rolle zu, um möglichst vielen Menschen diese Teilhabe zu ermöglichen.
Geht es nach einer neuen Studie von WU Forscher*innen, könnten Arbeitsagenturen aber auch bei der ökologischen Transformation eine wichtige Rolle spielen: „Um als Gesellschaft CO2-neutral zu werden und natürliche Ressourcen nachhaltig zu nutzen, müssen wirtschaftliche, soziale und ökologische Themen gemeinsam gedacht werden“, sagt Thomas Neier vom Institute for Ecological Economics an der WU. „Arbeitsagenturen könnten an diesem Schnittpunkt wichtige Impulse setzen.“
In einem neuen Policy Paper hat das Forscher*innen-Team um Thomas Neier analysiert, welche Maßnahmen Arbeitsagenturen ergreifen können, um die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben. Als Musterbeispiel haben sie dabei das österreichische Arbeitsmarktservice (AMS) herangezogen: „Das AMS verfolgt im Vergleich zu anderen Arbeitsagenturen schon jetzt einen Ansatz, der stärker auf einen nachhaltigen Beitrag zur Gesellschaft abzielt“, erklärt Thomas Neier, „insofern wäre es prädestiniert dafür, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.“
Paket mit 15 Vorschlägen
Die Wissenschaftler*innen haben ein Paket von 15 Maßnahmen für sozial-ökologische Arbeitsmarktpolitik entwickelt. Diese sind aufgeteilt in sechs unterschiedliche Handlungsfelder:
Information und Beratung: Im ersten Schritt könnte das AMS ein offizielles Label für sozial-ökologische Arbeitsplätze etablieren. Vergleichbare Labels für „grüne“ Jobs gibt es schon auf privaten Job-Plattformen, dort seien die Kriterien für „grüne“ Beschäftigung allerdings oftmals intransparent. Zusätzlich schlagen die Forscher*innen eine „sozial-ökologische Berufswanderkarte“ für Arbeitnehmer*innen vor, die ökologisch unverträgliche Arbeitsstellen und Branchen verlassen möchten (oder müssen).
Sozial-ökologische Umschulungen und Qualifikationsprogramme: Über sogenannte Arbeitsstiftungen setzt das AMS schon heute erfolgreich auf die Neuorientierung und Höherqualifizierung von Personen, deren bisherige Jobs technologischen oder gesellschaftlichen Veränderungen zum Opfer fallen. „Diese Qualifikationsprogramme sind eine der größten Stärken des AMS“, sagt Co-Autorin Halliki Kreinin. „Sie könnten um eine sozial-ökologische sektorale Agenda erweitert werden, etwa mit Fachkräfte-Stipendien im Umwelt-, Gesundheits- und Pflegebereich.“ Zusätzlich schlagen die Autor*innen ein „Men into Care“-Programm vor – analog zu „Frauen in der Technik“-Programmen – um Männern den Einstieg in den Pflegeberuf zu erleichtern.
Nachhaltige Mobilität: Pendeln mit dem PKW ist für einen erheblichen Teil der arbeitsbezogenen Emissionen verantwortlich. Auch hier könnte das AMS positive Veränderung bewirken – etwa durch ein gefördertes, regionales Klimaticket für arbeitslose Personen. Dadurch würde ein Anreiz geschaffen, bei der Arbeitssuche oder dem Weg zu Weiterbildungsprogrammen öffentliche Verkehrsmittel zu verwenden. Vergleichbare Initiativen gebe es etwa schon in Spanien. Ein weiterer Vorschlag ist, die Arbeitswege von Beschäftigten, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, als Arbeitszeit zu werten. Arbeitgeber könnten diese Zeit als „aktives Pendeln“ bis zu einem Maximum von 45 Minuten pro Tag beim AMS melden und würden zwei Drittel der Kosten erstattet bekommen.
Arbeitszeitaufteilung: Schon jetzt gibt es in Österreich die international beachtete „Solidaritätsprämie“. Dabei kompensiert das AMS die Gehaltsreduktion von Personen, die ihre Arbeitszeit verkürzen, wenn das Unternehmen im Gegenzug eine arbeitslose Person einstellt. Auch dieses Modell könnte ausgeweitet und um sozial-ökologische Kriterien erweitert werden. In diesem Fall könnten etwa drei Personen, die in einem sozial-ökologischen verträglichen Sektor arbeiten, ihre Arbeitszeit auf 75 Prozent reduzieren, um eine arbeitslose Person ebenfalls im Ausmaß von 75 Prozent zu beschäftigen. „Diese Maßnahme würde mehr Menschen in niedrigen Einkommensschichten ermöglichen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und könnte so auch zu einer gerechteren Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit in Familien beitragen“, sagt Co-Autorin Halliki Kreinin. Vor diesem Hintergrund schlagen die Forscher*innen auch eine Erweiterung der Elternteilzeit vor.
Sicherung des Lebensunterhalts: Für Menschen mit geringem oder keinem Einkommen bietet die Stadt Wien einen Mobilpass an, mit dem sie Ermäßigungen für den öffentlichen Verkehr, Freizeitangebote und Bildungsangebote erhalten. Die Forscher*innen schlagen vor, eine vergleichbare Maßnahme österreichweit für Arbeitslose einzuführen – ergänzt um sozial-ökologisch sinnvolle Vergünstigungen wie Reparaturgutscheine oder Gratistickets für den öffentlichen Verkehr. Dies würde die Lebensqualität von Arbeitslosen erhöhen und gleichzeitig ökologisch verantwortliches Handeln fördern. Eine weitere Maßnahme könnte laut den Forscher*innen eine sozial-ökologische Job-Garantie sein: Für Langzeitarbeitslose könnten nachhaltige Arbeitsplätze in ihrer Gemeinde geschaffen werden – ganz ähnlich wie beim erfolgreich getesteten Jobgarantie-Programm in Marienthal, das ebenfalls von WU Forscher*innen begleitet wurde.
Ökologische Kriterien für Arbeitslosengeld: Für gewöhnlich müssen Arbeitssuchende ein Job-Angebot annehmen, wenn nicht bestimmte Gründe dagegensprechen. Zu diesen Gründen zählen derzeit etwa Gesundheitsrisiken oder ein nicht zumutbarer Arbeitsweg. Die Forscher*innen schlagen vor, auch ökologische Gründe für das Ablehnen eines Jobs zuzulassen. Genauso sollten Beschäftigte nicht sanktioniert werden, wenn sie freiwillig Arbeitsplätze verlassen, die ökologischen Schaden anrichten. Auch die Kriterien für die Zumutbarkeit des Arbeitsweges sollten angepasst werden: Arbeitssuchende sollten etwa eine Stelle ablehnen können, wenn sie ausschließlich mit dem Auto erreichbar ist.
Österreich in der Vorreiterrolle
Die Forscher*innen haben diese Vorschläge auf Basis einer Analyse des österreichischen AMS entwickelt und heben hervor, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen auch als Rahmenkonzept für andere Länder dienen könnten. „Durch die starke Sozialpartnerschaft ist das AMS in Österreich besonders gut institutionell verankert und kann deshalb eine Vorreiterrolle einnehmen“, sagt Thomas Neier von der WU. „Dadurch hat Österreich die Chance, neue Maßnahmen auszuprobieren, die in anderen Ländern schwieriger sind. Die Erfahrungen, die damit gemacht werden, könnten wiederum anderen Ländern dabei helfen, ihren Arbeitsmarkt nach sozial-ökologischen Kriterien umzugestalten.“
Weitere Informationen
Neier, T., Kreinin, H., Gerold, S., Heyne, S., Laa, E., & Bohnenberger, K. (2024). Navigating labor-market transitions: an eco-social policy toolbox for public employment services. Sustainability: Science, Practice and Policy, 20(1).