Wenn Befristung die Löhne drückt: Studie zeigt Zusammenhang zwischen befristeter Beschäftigung und Lohnwachstum
Unfreiwillige befristete Beschäftigung ist der Grund, warum das Lohnwachstum in Europa lange niedriger war als prognostiziert. Das konnten Ökonom*innen von der WU Wirtschaftsuniversität Wien und der Oesterreichischen Nationalbank in einer Studie nachweisen.
Wenn Arbeitnehmer:innen nur einen befristeten Vertrag bekommen, obwohl sie eigentlich unbefristet arbeiten möchten, spricht man von unfreiwilliger befristeter Beschäftigung. In Europa kommt diese Art der Beschäftigung immer häufiger vor. Und wie Forscher*innen von der WU Wirtschaftsuniversität Wien nun nachweisen konnten, hat das negative Auswirkungen auf das Lohnwachstum.
„Warum die Löhne in Europa im Verlauf der 2010er Jahre langsamer gestiegen sind, als die Prognosen vorhergesagt haben, war lange ein Rätsel“, sagt Lukas Lehner vom WU Forschungsinstitut „Economics of Inequality“. Nun hat der WU Forscher gemeinsam mit Paul Ramskogler und Aleksandra Riedl von der Oesterreichischen Nationalbank dieses Rätsel gelöst: Sie haben die Lohnentwicklung in 30 europäischen Staaten in den Jahren 2004 bis 2017 untersucht und konnten dabei erstmals zeigen, dass ein Anstieg unfreiwilliger befristeter Beschäftigungsverhältnisse das Lohnwachstum im gleichen Maße drückt wie ein Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Mehr Platz auf der Ersatzbank?
Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Lohnwachstum ist schon lange bekannt: Je niedriger die Arbeitslosigkeit ist, desto stärker steigen die Löhne. „Aus ökonomischer Sicht kann man Arbeitslose mit Ersatzspielern bei einer Fußballmannschaft vergleichen“, erklärt Lukas Lehner. „Mit einer größeren Ersatzbank steige der Konkurrenzdruck in einer Mannschaft, und damit werden Lohnverhandlungen schwieriger. Unsere Studie zeigt, dass neben den Arbeitslosen auch die unfreiwillig befristet Beschäftigten auf der Ersatzbank Platz genommen haben.“
Wie stark dieser Konkurrenzdruck und damit der Druck auf die Löhne ist, hänge aber von den Institutionen in den jeweiligen Ländern ab. Je stärker sich Arbeitnehmer*innen bei den Lohnverhandlungen koordinieren, desto niedriger ist dieser Wettbewerbseffekt und damit der Einfluss auf das Lohnwachstum: In den skandinavischen Ländern, wo über 40 Prozent der Beschäftigten in Gewerkschaften organisiert sind, ist er kaum spürbar – in Spanien oder Polen mit unter 20 Prozent in Gewerkschaften dafür sehr deutlich. „Österreich ist hier ein Spezialfall, weil es eine sehr hohe Abdeckung von Kollektivverträgen und -koordinierte Lohnverhandlungen gibt“, sagt Lukas Lehner. Dadurch sei dieser Effekt auch in Österreich kaum ausgeprägt – „in Summe überwiegt in Europa aber der Wettbewerbseffekt.“
Unbefristeter Vertrag als Goodie
Im Jahr 2017 lag der durchschnittliche Anteil unfreiwilliger befristeter Beschäftigungsverhältnisse in Europa bei 5,5 Prozent – und damit nur mehr leicht unter der durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 7,4 Prozent. Mit der Corona-Pandemie und dem anschließend einsetzenden Aufschwung haben sich die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt allerdings geändert: „Durch den derzeit herrschenden Arbeitskräftemangel müssen Arbeitgeber wieder um Personal konkurrieren“, erklärt Lukas Lehner vom WU Forschungsinstitut „Economics of Inequality“. Dadurch sei der Anteil befristeter Arbeitsverträge wieder deutlich gesunken. „Gleich einen unbefristeten Vertrag anzubieten, ist derzeit ein beliebtes Goodie, um Arbeitskräfte zu binden.“
Sollte sich die Lage allerdings wieder ändern, werden zukünftige Lohnwachstumsprognosen Ökonom:innen keine Rätsel mehr aufgeben – dank der Studie von Lukas Lehner, Paul Ramskogler und Aleksandra Riedl. Und, wie Lukas Lehner hinzufügt: „Wenn wir Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt eindämmen wollen, sind starke und möglichst inklusive Arbeitsmarktinstitutionen, wie wir sie in Österreich mit der Sozialpartnerschaft haben, ein großer Vorteil.“
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen
Lehner, L., Ramskogler, P., & Riedl, A. (2024). Beggaring Thy Co-Worker: Labor Market Dualization and the Wage Growth Slowdown in Europe. ILR Review.
Link zur Studie