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Tech-Start-ups: Frauenmangel ist hausgemacht

05. Oktober 2022

Warum sind IT-getriebene Start-ups überwiegend männlich geprägt? Eine Studie der WU Wien zeigt jetzt: Es liegt weder an der Ausbildung der Frauen noch an mangelnden Erfahrungen. Der Frauenmangel basiert vorrangig darauf, wie Start-ups von außen gesehen werden: als jung, technikaffin, weiß und männlich.

Sonja Sperber vom Department of Strategy and Innovation der Wirtschaftsuniversität Wien und Christian Linder (SKEMA Business School, Paris und Universität Côte d’Azur, Sophia-Antipolis) können in ihrer Studie zeigen, dass die Überrepräsentation von Männern auf einem selbstreferentiellen Prozess beruht. Der Status quo prägt die Wahrnehmung des prototypischen Gründertyps. Von Gründerinnenteams wird erwartet, dass sie diesem Prototyp entsprechen, und sie wiederum erleben diese normativen Standards als gegeben. Das führt zu einem zentralen Dilemma: Einerseits wird von Gründer*innenteams erwartet, möglichst prototypisch zu sein – also jung, technikaffin, weiß und männlich. Andererseits wird eine gewisse „Andersartigkeit“ erwartet, damit sich das Team im Markt von anderen Teams absetzen kann.

Besonderheiten der IT-Branche

Dieser Effekt spielt gerade bei technisch-getriebenen IT-Start-ups eine große Rolle, denn ihre Geschäftsmodelle sind durch größere Unsicherheiten geprägt als die von Start-ups anderer Branchen. Investor*innen suchen nach Möglichkeiten, diese Unsicherheiten auf der Geschäftsmodell-Ebene auszugleichen. Entspricht ein Gründer*innenteam ihren Erwartungen – ist es also überwiegend männlich – gibt ihnen das größere Sicherheit, da dies dem etablierten Prototyp entspricht. Deswegen sind Männer in der IT-Branche stärker und dauerhafter überrepräsentiert als in Branchen mit stabileren und berechenbareren Geschäftsmodellen.

Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die „Einzigartigkeit“ von Gründer*innenteams eine durchaus wichtige Rolle für Investor*innen spielt. Zwar wird von ihnen erwartet, dass sie so anders wie irgend möglich sind, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Die Studie legt aber nahe, dass sich Weiblichkeit schon zu weit vom normativen Standard abhebt. Somit kommt es überhaupt nicht erst so weit, dass sich Gründerinnen beweisen können, weil sie unabhängig von ihrer Ausbildung oder Erfahrung nicht die Chance (bzw. die Finanzierung durch Investor*innen) dazu bekommen.

Wie Tech-Start-ups weiblicher werden könnten

Die Orientierung an Prototypen und das daraus entstehende Ungleichgewicht zulasten von Gründerinnen ist nicht allein durch bessere Ausbildungen oder Förderprogramme für Frauen aufzufangen. Das fordern und fördern Politik, Verbände und Institutionen schon seit langem; praktische Umsetzungen haben das Problem bislang aber nicht lösen können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Umsetzungen wenig ausrichten, da das Grundproblem nicht in der Aus- und Weiterbildung liegt. Vielmehr ist es die Abweichung vom Prototyp, die die Erfolgsaussichten der Frauen schmälert.

Wie können also Wege aus dieser systematischen Bevorzugung von männlichen Gründerteams aussehen? Die Autor*innen der aktuellen Studie, Sperber und Linder, schlagen vor, Nischenmärkte zu identifizieren, in denen Frauen nicht oder weniger unterrepräsentiert sind. In diesen Märkten hat sich der Prototyp noch nicht so sehr verfestigt, wie es in den klassischen männerdominierten Domänen (bspw. IT oder High-Tech) der Fall ist. Die Kategorisierung von Gründer*innen hat nämlich ein entscheidendes Merkmal: Prototypen verlieren an Relevanz, wenn nicht klar definiert ist, wer zu einer bestimmten Kategorie zählt und wer nicht.
Die Lösung kann daher sein, sich nicht auf Konfrontation mit einer gefestigten Wahrnehmung des geltenden IT-Prototypens zu begeben, sondern die langsame, aber effektive Infiltration. Letztlich dienen Prototypen der Vereinfachung einer komplexen Gründerrealität. Können sie diese Aufgabe nicht mehr erfüllen, verfallen sie entweder in die Bedeutungslosigkeit oder werden von Prototypen ersetzt, die die Gründerrealität besser darstellen. Dieser neue Typus, der aufgrund der Veränderung den alten Typus ablöst, enthält somit in der Folge (hoffentlich) auch Gründerinnen. Eine Veränderung des „klassischen“ Tech-Prototyps ist daher ein langfristiger Prozess, aber über die sukzessive Anpassung des Typus in den bislang unbesetzten Nischenmärkten durchaus möglich.

Weitere Informationen:
Sonja Sperber, Christian Linder: Gender Bias in IT Entrepreneurship: The Self-Referential Role of Male Overrepresentation in Digital Businesses

Pressekontakt:
Alexander Vieß
Forschungskommunikation
Wirtschaftsuniversität Wien
Tel: + 43-1-31336-5478
E-Mail: alexander.viess@wu.ac.at

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