Eine Person liest eine spanische Tageszeitung

Mensch versus Maschine? Studie belegt negativen Einfluss von Automatisierung auf psychische Gesundheit

31. Oktober 2024

In der In­dus­trie wer­den immer mehr Tä­tig­kei­ten au­to­ma­ti­siert. In einer neuen Stu­die haben For­scher*innen der WU Wirt­schafts­uni­ver­si­tät Wien un­ter­sucht, wie sich das auf die Psy­che von Ar­beit­neh­mer*innen aus­wirkt – und es zeig­te sich ein deut­li­cher ne­ga­ti­ver Ef­fekt.

Die Au­to­ma­ti­sie­rung der In­dus­trie schrei­tet immer wei­ter voran: Gab es im Jahr 1990 noch welt­weit etwa 400.000 In­dus­trie­ro­bo­ter, waren es im Jahr 2020 schon drei Mil­lio­nen. Ein viel­be­ach­te­ter Ne­ben­ef­fekt ist der Weg­fall von Ar­beits­plät­zen in den be­tref­fen­den Bran­chen. We­ni­ger Be­ach­tung fan­den bis­her al­ler­dings die Ef­fek­te von Au­to­ma­ti­sie­rung auf Men­schen, die wei­ter­hin in die­sen Bran­chen ar­bei­ten – und vor allem die Aus­wir­kun­gen auf ihre psy­chi­sche Ge­sund­heit.

Die­sen Aspekt der Au­to­ma­ti­sie­rung haben Ana Lucia Abe­lian­sky und Klaus Prett­ner vom WU De­part­ment für Volks­wirt­schaft sowie Mat­thi­as Beul­mann von der Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen in einer neuen Stu­die be­leuch­tet. „Wir konn­ten fest­stel­len, dass der Ein­satz von In­dus­trie­ro­bo­tern mit einer Ver­schlech­te­rung der psy­chi­schen Ge­sund­heit der Ar­bei­ter*innen ein­her­geht“ fasst Ana Lucia Abe­lian­sky die Er­geb­nis­se zu­sam­men. „Die Haupt­grün­de dafür sind of­fen­bar Sor­gen um die Si­cher­heit des Ar­beits­plat­zes und ein ver­rin­ger­tes Ge­fühl, im Beruf einen wert­vol­len Bei­trag zu leis­ten.“

Deutsch­land als Mus­ter­bei­spiel

Für ihre Stu­die haben sich die For­scher*innen auf Deutsch­land kon­zen­triert: „Ei­ner­seits ge­hör­te Deutsch­land im Jahr 2020 zu den Län­dern mit den meis­ten In­dus­trie­ro­bo­tern welt­weit, an­de­rer­seits konn­ten wir hier auf eine gute Da­ten­la­ge zu­rück­grei­fen“, sagt Ana Lucia Abe­lian­sky von der WU. In Deutsch­land wird seit 2002 das sozio-​oekonomische Panel (SOEP) durch­ge­führt, eine re­prä­sen­ta­ti­ve Wie­der­ho­lungs­be­fra­gung von Pri­vat­haus­hal­ten. Mit ihrer Hilfe konn­ten die For­scher*innen die Ent­wick­lung der psy­chi­schen Ge­sund­heit von Be­schäf­tig­ten in 14 ver­schie­de­nen In­dus­trie­sek­to­ren er­he­ben. Diese Daten ver­gli­chen sie mit der In­ten­si­vie­rung der Nut­zung von Ro­bo­tern im je­wei­li­gen Sek­tor.

Dabei zeig­te sich, dass mit der in­ten­si­ve­ren Nut­zung von In­dus­trie­ro­bo­tern in einer Bran­che eine Ver­schlech­te­rung der psy­chi­schen Ge­sund­heit ein­her­geht. „Es han­delt sich dabei al­ler­dings um kei­nen di­rek­ten Ef­fekt, etwa durch Tech­no­pho­bie – also eine Ab­nei­gung ge­gen­über Tech­no­lo­gie“, er­klärt Co-​Autor Klaus Prett­ner von der WU. Statt­des­sen konn­ten die For­scher*innen in ihrer Ana­ly­se zwei ent­schei­den­de in­di­rek­te Ef­fek­te iden­ti­fi­zie­ren.

Angst vor Ar­beits­lo­sig­keit, we­ni­ger Er­folgs­er­leb­nis­se

Ei­ner­seits steigt durch in­dus­tri­el­le Au­to­ma­ti­sie­rung die Angst vor dem Ver­lust des Ar­beits­plat­zes. Be­son­ders deut­lich ist dies bei über 60-​Jährigen sowie bei Ar­beit­neh­mer*innen, die eher ein­fa­che und Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten aus­füh­ren, aus­ge­prägt.

Re­le­van­te Aus­wir­kun­gen auf die psy­chi­sche Ge­sund­heit hat al­ler­dings auch der zwei­te in­di­rek­te Ef­fekt: die ver­rin­ger­te Wahr­neh­mung von Er­folgs­er­leb­nis­sen im Beruf. Die­ses Er­geb­nis kam für die Autor*innen über­ra­schend, denn Au­to­ma­ti­sie­rung könn­te die Wahr­neh­mung der ei­ge­nen Leis­tung auch ver­bes­sern, weil sie Ar­bei­ter*innen lang­wei­li­ge und re­pe­ti­ti­ve Auf­ga­ben ab­nimmt. Doch statt­des­sen über­wo­gen die ne­ga­ti­ven Aus­wir­kun­gen. Der Grund dafür ist laut den For­scher*innen wahr­schein­lich, dass durch Au­to­ma­ti­sie­rung der Zu­sam­men­hang zwi­schen der ei­ge­nen Tä­tig­keit und dem End­pro­dukt schwin­det – und damit auch das Ge­fühl, ge­braucht zu wer­den.

Ein ge­samt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem?

Diese Er­geb­nis­se zei­gen, dass sich Au­to­ma­ti­sie­rung auch ab­seits vom Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ne­ga­tiv auf Ar­beit­neh­mer*innen aus­wir­ken kann. Das sei aus öko­no­mi­scher, aber auch aus ge­samt­ge­sell­schaft­li­cher Sicht be­deu­tend, be­tont Ko-​Autor Klaus Prett­ner von der WU: „Un­se­re psy­chi­sche Ge­sund­heit hat einen star­ken Ein­fluss auf die in­di­vi­du­el­le Pro­duk­ti­vi­tät, aber auch auf das Wohl­be­fin­den und das So­zi­al­le­ben. Darum ist es wich­tig, die­sen Zu­sam­men­hang ge­nau­er zu er­for­schen.“

Ge­gen­stand wei­te­rer For­schung könn­te etwa sein, in­wie­weit die Daten aus Deutsch­land mit an­de­ren Län­dern ver­gleich­bar sind. „In­ter­es­sant und der­zeit be­son­ders ak­tu­ell wäre auch die Frage, in wel­chem Aus­maß an­de­re For­men von Au­to­ma­ti­sie­rung die psy­chi­sche Ge­sund­heit be­ein­träch­ti­gen – etwa der Ein­satz von Künst­li­cher In­tel­li­genz“, so Klaus Prett­ner.

Detaillierte Studienergebnisse und weitere Informationen

Abe­lian­sky, A. L., Beul­mann, M., & Prett­ner, K. (2024). Are they co­ming for us? In­dus­tri­al ro­bots and the men­tal health of wor­k­ers. Re­se­arch Po­li­cy53(3), Ar­ti­kel 104956. 

Link zur Stu­die
 

zurück zur Übersicht