Mehr Schutz für Gesellschafter bei Wechsel des Unternehmenssitzes
Die Niederlassungsfreiheit sowie die Dienstleistungsfreiheit zählen zu wichtigen Grundsätzen der Europäischen Union und gewährleisten die Mobilität von Unternehmen innerhalb der EU. Unternehmen haben die Möglichkeit durch einen Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter den Satzungssitz ihres Unternehmens zu verlegen. Durch die Unterschiede zwischen den nationalen Gesellschaftsrechten können Minderheitsgesellschaftern und anderen Betroffenen jedoch Nachteile entstehen. WU-Professor Martin Winner und seine KollegInnen untersuchten im Auftrag der EU Kommission, wie gesellschaftsrechtliche Regeln gestaltet sein müssen, damit diejenigen angemessen geschützt werden, die von diesem Wechsel betroffen sind.
Steuervorteile, höhere Ausschüttungen an die Gesellschaft – der Wechsel des Satzungssitzes eines Unternehmens kann viele Vorteile mit sich bringen. Er kann per Abstimmung der Gesellschafter mehrheitlich beschlossen werden. Nicht selten ist der Wechsel des Satzungssitzes allerdings zum Nachteil der Minderheitsgesellschafter. WU-Professor Martin Winner, Leiter der Abteilung für Informations- und Immaterialgüterrecht am Institut für Unternehmensrecht, erklärt: „Diese Nachteile zeigen sich in verschiedensten Bereichen. Manche empfinden es beispielsweise als Nachteil nun zur Gesellschafterversammlung ins Ausland reisen zu müssen. Zudem sind Minderheitsgesellschafter möglicherweise nicht mit den nationalen rechtlichen Gegebenheiten betraut. Besonders kritisch ist natürlich auch die finanzielle Komponente dabei: Möglicherweise erhalten Minderheitsgesellschafter durch die Verlegung des Satzungssitzes nun weniger Ausschüttungen als zuvor.“ Um Minderheitsgesellschaftern zukünftig mehr Schutz zu gewähren, nahm Winner gemeinsam mit einer internationalen ExpertInnengruppe die unterschiedlichen, nationalen Gesetze und Gerichtsentscheidungen in den Mitgliedstaaten genauer unter die Lupe, um Lücken und Gefahren zu identifizieren.
Ausstiegsrecht mit fairer Abfindung
Die ExpertInnengruppe rund um Winner kam zu der Erkenntnis, den Gesellschaftern zu ihrem Schutz bei einem Satzungssitzwechsel das Recht einzuräumen, die Gesellschaft zu verlassen. „Die Rechtsfragen sind so komplex, dass es am besten ist, wenn die Gesellschafter selbst entscheiden können, ob sie in die neue Rechtsordnung wechseln wollen oder ob sie lieber gegen eine Abfindung austreten“, so Winner. Auch für die Sicherstellung einer fairen Abfindung entwickelten die ExpertInnen einen Vorschlag. Dementsprechend reagierte die EU Kommission und entwickelte ein Verfahren, mit dem Gesellschafter zukünftig überprüfen lassen können, ob die Höhe ihrer Abfindung angemessen ist. Daneben gab die ExpertInnengruppe auch Empfehlungen zum Schutz der Gläubiger bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung und zur Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen in den Gesellschaftsorganen ab. „Gesellschaften sollen nicht einfach ins Ausland ziehen können, um zu verhindern, dass in Zukunft ArbeitnehmerInnen im Aufsichtsrat sitzen wie bei einer österreichischen Gesellschaft“, rechtfertigt Winner den Vorschlag. „Diese Neuerungen wurden im April im EU Parlament beschlossen und bringen zukünftig mehr Schutz für die einzelnen Gesellschafter. Gleichzeitig bleiben die Vorteile der Mobilität in der EU erhalten“, betont Winner.
Über Martin Winner
WU-Professor Martin Winner studierte Handelswissenschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie Rechtswissenschaften an der Universität Wien, wo er im Jahr 2001 promovierte. Bereits 1996 startete Winner seine wissenschaftliche Karriere als Universitätsassistent an der WU im Unternehmensrecht bei Univ. Prof. Dr. Peter Doralt. Einen weiteren Karriereschritt setzte Winner von 2002 bis 2005 als APART-Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für das Habilitationsprojekt „Wert und Preis im Zivilrecht“, welches er 2007 erfolgreich abschloss. Seit 2009 leitet er an der WU die Abteilung für Informations- und Immaterialgüterrecht sowie das Forschungsinstitut für Mittel- und Osteuropäisches Wirtschaftsrecht. Winner blickt auf weitreichende internationale Erfahrung zurück, unter anderem als Berater des albanischen Justizministers für Reform des albanischen Handelsrechts und der Handelsgerichtsbarkeit im Rahmen eines EU-Projekts zwischen 2007 und 2009. Zudem ist der gebürtige Mödlinger seit 2009 Behördenleiter der österreichischen Übernahmekommission und im ständigen Kontakt mit nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden für den Kapitalmarkt. In seiner wissenschaftlichen Arbeit widmet sich Winner dem Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, dem Immaterialgüterrecht, Rechtsvergleichung mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa sowie dem Allgemeinen Unternehmensrecht, Vertragsrecht sowie Sachenrecht. Er publiziert erfolgreich in internationalen Journals wie European Company and Financial Law Review und European Business Organization Law Review. Winner ist Mitglied zahlreicher internationaler Arbeitsgruppen, darunter der European Company Law Experts und von 2014 bis 2019 der Informal Company Law Experts Group der Europäischen Kommission.