Ins kalte Wasser geworfen? WU Studie gibt Einblick in Berufseinstieg von Junglehrer*innen
Junge Lehrkräfte erleben in den ersten Monaten oft einen Praxisschock – was mit dem Ausstieg aus dem Beruf enden kann. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) im Auftrag der Arbeiterkammer Wien hat beleuchtet, woran das liegt und wie Ministerium und Schulleitungen den Berufsstart verbessern könnten.
„Nach vier Wochen Unterricht in der Mittelschule bin ich fast unter Tränen nach Hause gekommen. Im März habe ich mir dann gedacht: ‚Es wird langsam.‘“ So beschreibt eine Junglehrerin ein Phänomen, das sich mit einem Schlagwort zusammenfassen lässt: Praxisschock. Für eine qualitative Studie der WU wurden insgesamt 210 Lehrer*innen zu ihrem Berufseinstieg interviewt – und sie berichten von ganz unterschiedlichen Herausforderungen, die in den ersten Monaten auf sie warteten.
„Junge Lehrpersonen kommen in der Regel mit großer Vorfreude und hohen Erwartungen in die Schule“, erklärt Erna Nairz-Wirth, Studienautorin und Leiterin der Abteilung für Bildungswissenschaft am WU Institut für Wirtschaftspädagogik. „Dort kann es dann zur Ernüchterung kommen – und manche schaffen es nicht, sich zu regenerieren, sondern distanzieren sich emotional von der Schule, zeigen negative Reaktionen gegenüber Schüler*innen oder steigen ganz aus.“
Praxisschock hat viele Gründe
Die Ursachen für diese Ernüchterung sind vielfältig, wie die Interviews zeigen. Und sie sind unabhängig vom Schultyp. Ob in Volksschule oder AHS – entscheidenden Einfluss haben die Schulleitung, die Administrator*innen und das Fachkollegium: Eine unterstützende und wertschätzende Atmosphäre habe vielen der befragten Lehrer*innen dabei geholfen, die ersten Monate zu meistern. So berichtet etwa eine Volksschullehrerin: „(…) was ich gelernt habe, habe ich von Kolleginnen gelernt, während ich jetzt schon eigentlich den Beruf ausübe.“ Herrscht im Konferenzzimmer hingegen schlechte Stimmung, ist das Gegenteil der Fall und der Praxisschock deutlicher ausgeprägt.
Ein besonders häufig genanntes Problem sind langwierige Administrationsaufgaben – auf die man im Studium kaum vorbereitet wird. Eine Junglehrerin schilderte: „Ich dachte immer, Lehrer sein heißt unterrichten und Schularbeiten korrigieren. Dass das eigentlich nur 40 Prozent meiner Tätigkeit sind, hätte ich nicht gedacht, das ist sehr viel bürokratischer, als ich mir das vorgestellt habe.“
Die Arbeit mit den Schüler*innen beschreiben viele Junglehrer*innen als herausfordernd, aber erfüllend. Doch einige berichten auch von gravierenden Problemen: Die reichen von mangelnder Disziplin über sehr heterogene Leistungsniveaus bis hin zu persönlichen Schicksalen der Kinder, die den Lernerfolg fast unmöglich machen. Ein Volksschullehrer sagte etwa: „Es gibt Kinder, die haben zuhause solche Probleme, dass die Schule überhaupt bedeutungslos ist.“
Noch öfter wird der Umgang mit den Eltern als schwierig beschrieben. Die jungen Lehrpersonen berichten von Verständigungsschwierigkeiten und oftmals auch wenig Respekt – was auf einen generellen Missstand hinweist: das gesunkene gesellschaftliche Ansehen des Berufs. Auf die Frage nach Ursachen für den Lehrer*innenmangel antwortete eine Gymnasiallehrerin lapidar: „Das hat einfach damit zu tun, dass Lehrer ein total unattraktiver Job ist. Weil die soziale Anerkennung nicht da ist.“
Mehr Zeit und Raum für Mentoring
Schon jetzt gibt es für Junglehrer*innen eine Induktionsphase mit Weiterbildungsmöglichkeiten und einem Mentoring-Programm, bei dem erfahrene Lehrer*innen die angehenden Lehrkräfte unterstützen. Angesichts der Studienergebnisse plädiert die Bildungswissenschaftlerin Erna Nairz-Wirth dafür, dem Mentoring mehr Zeit und Raum zu geben und zusätzliche Angebote zu schaffen, etwa professionelle Lerngemeinschaften, vermehrtes Team Teaching und Peer-Mentoring – also der gezielte Austausch von Junglehrer*innen in Kleingruppen.
Für Schulleitungen hat die Studienautorin ebenfalls Empfehlungen: Sie sollten junge Lehrpersonen möglichst früh über den Ablauf der ersten Schulwochen informieren und sie rechtzeitig in organisatorische, administrative und dienstrechtliche Details einführen.
Es sei unbestritten, dass der Einstieg in den Beruf für viele mit Stress, Unsicherheit und Schwierigkeiten verbunden ist. Trotzdem starten Lehrpersonen in der Regel mit viel Engagement und Freude in den Lehrberuf, betont Erna Nairz-Wirth von der WU. Deshalb sei es wichtig, diese positiven Aspekte zu stärken, anstatt nur die Defizite zu sehen: „Junglehrer*innen sind vor allem eine erfreuliche Erscheinung in Schulen, und zwar sowohl für Kolleg*innen als auch für Schüler*innen. Sie bringen Dynamik und oft neue Ideen und Praktiken in eine von Routine bestimmte Institution.“
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen
Nairz-Wirth, Erna/Feldmann, Klaus/Lehner, Sophie (2023). Praxisschock? - Eine qualitative Studie zum Berufseinstieg von Lehrerinnen und Lehrern. Wien: Wirtschaftsuniversität Wien.
Link zur Studie
Pressekontakt:
Mag. (FH) Raffael Fritz
Referent für Forschungskommunikation
Tel: + 43-1-31336-5478
E-Mail: raffael.fritz@wu.ac.at