Finanzielle Anreize für mehr Gesundheit?
Ob Rheuma, Diabetes, Morbus Crohn oder Asthma – chronische Erkrankungen zählen besonders in wohlhabenden Ländern zu den häufigsten und ökonomisch bedeutsamsten Gesundheitsproblemen. Nachdem eine Medikation derartiger Erkrankungen oftmals nicht unmittelbare Erfolge zeigt, sondern auf langfristige Besserung des Krankheitsverlaufes zielt, neigen Patientinnen und Patienten vielfach dazu, ihre Erkrankungen unbehandelt zu lassen – mit oft schweren Folgen. Gesundheitsökonom Marcel Bilger von der Wirtschaftsuniversität Wien zeigt in seiner Studie, dass schon mit kleinen finanziellen Anreizen bei vielen chronischen Erkrankungen ein kosteneffektiver Weg zur langfristigen Verbesserung des Gesundheitszustandes erreicht werden könnte.
Die mangelnde Medikamenteneinnahme bei chronischen Krankheiten stellt ein globales Problem der öffentlichen Gesundheit dar – sie fordert nicht nur zahlreiche unnötige Todesfälle und schwere Krankheitsverläufe, sondern verursacht auch erhebliche wirtschaftliche Kosten für ein Gesundheitssystem. Alleine in den USA gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass die unregelmäßige und nachlässige Medikamenteneinnahme jährlich 125.000 Todesfälle und 100 Milliarden US-Dollar Zusatzkosten fordert. Neueste Studien gehen davon aus, dass selbst in wohlhabenden Ländern 50 Prozent der chronischen Erkrankungen unbehandelt bleiben. Bisherige Versuche, die regelmäßige Medikamenteneinnahme - etwa durch günstigere Medikamente – zu fördern, zeigten nur wenig Erfolg und waren kostenintensiv. Diesem Problem widmete sich WU-Professor Marcel Bilger, Leiter der Abteilung Health Economics and Policy, gemeinsam mit seinen Co-Autoren der Duke-NUS Medical School und des Singapore National Eye Center im Rahmen einer experimentellen Studie. Dabei zeigt sich, dass Rabatte in der Höhe von 5,94 US-Dollar monatlich ausreichen, um die Zahl jener Personen zu steigern, die ihre Medikamente regelmäßig in vorgeschriebenem Ausmaß nehmen.
Neuartige Anreizstrategie
Bilger und sein Team entwickelten für die Studie auf Grundlage der Verhaltensökonomie eine neuartige Anreizstrategie durch verhaltensabhängige Rabatte. Die Untersuchungsgruppe bestand dabei aus 100 Glaukom-Betroffenen. Glaukom bezeichnet eine Reihe von Augenkrankheiten, die eine irreversible Schädigung des Sehnervs verursachen. Mittels regelmäßiger medikamentöser Behandlung könnte der Krankheitsverlauf und somit das endgültige Erblinden verzögert werden. Oftmals bleibt diese allerdings aus, weil PatientInnen trotz langfristigem Nutzen kurzfristige keine Besserung der Symptome durch die medikamentöse Therapie erfahren. Im Rahmen der Studie bekamen jene Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die ihre Medikamente wie vom Arzt verschrieben einnahmen, kleine Rabatte auf die Behandlungskosten als „Belohnung“. Die Studienergebnisse zeigten bei diesen PatientInnen eine deutlich höhere Konsequenz bei der Einnahme ihrer Medikamente, als bei der Vergleichsgruppe. Nach 6 Monaten nahmen die TeilnehmerInnen, die Rabatte auf Behandlungskosten für die Medikamenteneinnahme erhielten, an immerhin 73,1% der Tage ihre Medikamente vollständig ein, 12,2 Prozentpunkte mehr als ihre Vergleichsgruppe.
Potenziell kosteneffektive Lösung
Studienautor Marcel Bilger erklärt: „Unbehandelte, chronische Erkrankungen sind global ein signifikantes Problem – für Betroffene, aber auch für die Gesundheitssysteme. Bisherige Versuche, Menschen zur Behandlung ihrer Erkrankung zu bewegen, waren bis dato wenig erfolgreich und oft kostenintensiv. Diese Studienergebnisse zeigen einen möglichen, kosteneffektiven Weg auf, hier Verbesserungen zu schaffen. Der schnelle Zusatznutzen, den die PatientInnen bei regelmäßiger Medikamenteneinnahmen erfahren, motiviert zur weiteren Therapie. Dadurch bleiben Betroffene länger gesünder.“
Zur Studie: Bilger, M., Wong, T.T., Lee, J.Y. et al. Using Adherence-Contingent Rebates on Chronic Disease Treatment Costs to Promote Medication Adherence: Results from a Randomized Controlled Trial. Appl Health Econ Health Policy 17, 841–855 (2019). https://doi.org/10.1007/s40258-019-00497-0
Über Marcel Bilger
Marcel Bilger schloss seinen PhD in Econometrics and Statistics an der University of Geneva ab und forschte im Anschluss an der Harris School of Public Policy, University of Chicago, ehe er 2011 an die Duke-NUS Graduate Medical School in Singapur wechselte. Hier war er zuletzt im Rahmen des Signature Programs in Health Services & Systems Research als Assistant Professor und Assistant Director for Education tätig. 2018 folgte Bilger dem Ruf an die WU und hält seither die Stiftungsprofessur für Health Economics an der Abteilung für Health Economics and Policy am Department für Sozioökonomie. In seiner Forschung widmet sich der gebürtige Schweizer der Gesundheitsökonomie und Ökonometrie, der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit von Gesundheitssystemen und der Gesundheitsfinanzierung. Einen besonderen Schwerpunkt legt er in seiner Forschung auf veränderbare gesundheitliche Risikofaktoren wie Adipositas, Bewegungsmangel und Nichtbeachtung von Medikamenten und deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Gesundheitssysteme. Zu seinen Forschungszielen zählt die Entwicklung neuer Rahmenbedingungen, die Effizienz- und Gleichbehandlungsüberlegungen miteinbeziehen und damit eine Grundlage für zukünftige Entscheidungen in der Gesundheitspolitik darstellen sollen. Bilger publiziert in hochkarätigen Fachjournalen wie dem Journal of Health Economics, Social Science & Medicine sowie Health Economics, Policy and Law.
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