Ein Platz an der Sonne: Wie Petro-Staaten von der Energiewende profitieren
Die Länder am Persischen Golf versorgen die Welt mit Erdöl. Doch sie bieten auch ideale Bedingungen für Sonnenenergie – und bauen ihre Solarkapazität rasant aus. Jürgen Braunstein von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) erforscht die Energiestrategien der Petro-Staaten. Das überraschende Ergebnis: Der Ausbau von Solar-Kraftwerken könnte ihnen helfen, in Zukunft noch mehr Öl zu verkaufen – auf Kosten des Klimas.
Erdöl ist eine endliche Ressource – das wissen auch die Herrscher in den erdölexportierenden Staaten am Persischen Golf. Aus diesem Grund investieren Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Kuwait im großen Stil in erneuerbare Energien: Zwischen 2008 und 2018 haben diese vier Länder insgesamt 155 Milliarden Dollar für Solarkraftwerke und andere „grüne“ Energiequellen veranschlagt.
Jürgen Braunstein vom WU Institut für Wirtschaftsgeographie und Geoinformatik erforscht diese Entwicklung schon seit Jahren – und ist dabei auf ein bemerkenswertes Paradoxon gestoßen: „Es hat sich gezeigt, dass Petro-Staaten, die ihre Öl-Einnahmen in erneuerbare Energien investieren, damit ihre Marktmacht im globalen Erdöl-Geschäft erhöhen könnten.“
Wie kommt es dazu? Die erdölproduzierenden Staaten am Persischen Golf gehören auch zu den größten Konsumenten von Erdöl und Erdgas, denn sie verwenden ihre fossilen Brennstoffe zur Stromerzeugung für Klimaanlagen und Meerwasser-Entsalzung. „Stellen Sie sich vor, diese Länder würden ihren Strombedarf durch Solarenergie decken“, erklärt Jürgen Braunstein. „Als Folge würde mehr billiges Öl für den Export zur Verfügung stehen. Dadurch könnten sie ihren Anteil am globalen Ölmarkt erhöhen und mehr Einnahmen generieren.“ Was alle vier Länder gemein haben: Sie bieten fast ideale Bedingungen, um Solarenergie im großen Maßstab zu nutzen. In Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad liegt die mittlere Sonneneinstrahlung bei 2.200 Kilowattstunden pro Quadratmeter – das ist etwa doppelt so viel wie in Österreich.
Licht und Schatten
Ob diese Strategie langfristig aufgehen wird, hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab. Jürgen Braunstein hat die vier Länder Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Kuwait genauer analysiert – und zeichnet ein differenziertes Bild.
Saudi-Arabien sorgt regelmäßig mit ambitionierten Plänen für Aufsehen, auch im Bereich der erneuerbaren Energien: Bis zum Jahr 2030 will man Solarthermie- und Photovoltaik-Anlagen mit einer Nennleistung von insgesamt 60 Gigawatt errichten (zum Vergleich: In Österreich sind derzeit knapp vier Gigawatt installiert, bis 2030 sind 21 GW geplant). Allerdings steigt der Ölverbrauch in dem Wüstenkönigreich jährlich: „Um damit Schritt zu halten und so viel Öl exportieren zu können wie bisher, müsste Saudi-Arabien im Jahr 2030 etwa drei- bis viermal mehr Strom mit Solarenergie produzieren als geplant“, erklärt Jürgen Braunstein. Trotzdem: Wenn Saudi-Arabien den eigenen Energiehunger eindämmen kann, könnte es mit seiner Strategie die Einnahmen aus Erdölexporten erhöhen und gleichzeitig seine Reserven schonen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate wollen bis 2030 ein Viertel ihres Energiebedarfs mit Erneuerbaren decken, dafür wäre eine Leistung von etwa 16 Gigawatt nötig. Weil sie im Vergleich zu den anderen Staaten am Persischen Golf früher mit den Investitionen begonnen haben – das Emirat Dubai startete seine Solar-Offensive im Jahr 2012 –, befinden sie sich auf einem guten Weg dorthin. Die Emirate sind das einzige der vier Länder, in dem Solarstrom auch preislich mit Strom aus fossilen Energieträgern mithalten kann.
Deutlich kleiner sind die Investitionen in Kuwait: Etwa fünf Gigawatt aus Erneuerbaren sind bis 2030 geplant. Um tatsächlich mehr Öl in den Export zu bringen, wären allerdings etwa 19 Gigawatt aus Solarenergie nötig. „Wenn Kuwait weiterhin so viel Öl exportieren will wie bisher, müssten sie ihre Erdölproduktion also deutlich steigern“, erklärt Jürgen Braunstein. Die geringsten Chancen auf Erfolg sieht Jürgen Braunstein allerdings bei der Strategie von Katar: Der Veranstalter der Fußball-WM 2022 produziert derzeit fast 100 Prozent seines Stroms mit Erdgas. Bis 2030 hat man ein ähnliches Ziel wie Kuwait: etwa fünf Gigawatt soll die Solar-Kapazität bis dahin betragen. Das Einnahmen-Plus, das man durch zusätzliche Erdgas-Exporte erzielen könnte, wäre allerdings minimal. „Die Solarstrom-Strategie von Katar ergibt in dieser Größenordnung eigentlich wenig Sinn“, urteilt Jürgen Braunstein.
Sonnenaufgang im Osten
In seinem Forschungsprojekt, das mit dem ERC-Starting-Grant des European Research Council prämiert wurde, beschäftigt sich Jürgen Braunstein auch damit, wie die Energiewende sich auf die Verteilung der globalen Finanzzentren auswirkt: „Mich interessiert vor allem die Verschiebung der globalen finanziellen Macht von West nach Ost, die wir seit einigen Jahren beobachten.“
Aus dieser Perspektive betrachtet, sind die Länder am Persischen Golf geografisch ideal positioniert: Während die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen in westlichen Ländern langfristig abnehmen wird, wird sie in aufstrebenden Märkten wie Südasien und Afrika voraussichtlich steigen. Die Petro-Staaten liegen genau zwischen diesen Regionen und können sich als globale Energie- und Finanzzentren positionieren. Und mit ihrer Solar-Strategie bringen sie sich in Stellung, um vom wachsenden Energiehunger der umliegenden Regionen zu profitieren.
Aber sollten sie das angesichts der Erderwärmung? „Diese Investitionen in erneuerbare Energien sind lobenswert und notwendig, aber ihr Effekt auf den globalen CO2-Ausstoß ist vernachlässigbar, wenn eingespartes Öl und Gas exportiert und woanders verbrannt werden“, resümiert Jürgen Braunstein. „Um einen positiven Effekt auf das Klima zu haben, müsste das Erdöl unter der Erde bleiben. Das sollte sowohl den produzierenden Staaten als auch den Konsument*innen dieser Ressourcen bewusst sein.“
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen
Braunstein, J (2020): Green Ambitions, Brown Realities. Making Sense of Renewable Investment Strategies in the Gulf. Geopolitics of Energy Project Report, January 2020. Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard Kennedy School.
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Über den Forscher
Jürgen Braunstein ist Assistenzprofessor am WU Institut für Wirtschaftsgeographie und Geoinformatik. Zudem lehrt er im Graduate Sustainability Program der Harvard University und ist Mitglied des Harvard Center for European Studies. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den Triebkräften und Folgen der grünen Energierevolution für die globale Energiezusammensetzung und deren Auswirkungen auf bestehende und zukünftige zwischenstaatliche Wirtschaftsbeziehungen. Im Jahr 2022 erhielt er den mit 1,5 Millionen Euro dotierten ERC-Starting-Grant des European Research Council für sein Forschungsprojekt zum Aufstieg und Fall der großen Finanzzentren und dessen Zusammenhang mit der Energiewende.
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