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Britische Handelspolitik der 1930er: Protektionismus mit drastischen Folgen

09. Oktober 2019

Eine Studie zeigt erstmals die Folgen der britischen Handelspolitik der 1930er-Jahre und macht deutlich, was wir aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen können.

Die Weltwirtschaftskrise der 1920er und 1930er war das einschneidendste wirtschaftliche Ereignis des 20. Jahrhunderts: Die Weltproduktion und der Welthandel sanken dramatisch. Eine zentrale Rolle in den damaligen Handelsnetzwerken und deren Zusammenbruch spielte Großbritannien. Wirtschaftshistoriker Markus Lampe und seine Co-Autoren untersuchten in einer aktuellen Studie, welche Folgen die zunehmend protektionistische Handelspolitik zugunsten seines Empires hatte. Die Ergebnisse machen deutlich, wie stark die Auswirkungen sein können, wenn multilateraler Handel und gleiche Marktzugangschancen nicht mehr gewährleistet werden.

Welche Auswirkungen hat  globaler Handel auf einzelne Volkswirtschaften? Kann man sich mit Protektionismus und „Deals“ Vorteile verschaffen? Diese Fragen sind gerade aufgrund aktueller politischer Gegebenheiten wie dem drohenden Brexit von hoher Bedeutung, können allerdings nur durch einen Blick in die Vergangenheit - mit historischen Daten - umfassend erforscht werden. Markus Lampe, Leiter des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, untersucht in seiner wissenschaftlichen Arbeit, welche Auswirkungen die sich verändernde Zollpolitik Großbritanniens in den 1930ern mit sich brachte. „Großbritannien war auch im globalen Handel der 1930 ein zentrales Glied. Wir wollten wissen, ob dessen recht drastischen Zollerhöhungen Anfang der 1930er Jahre und anschließende ‚Deals‘ bedeutende Auswirkungen auf den internationalen Handel hatten. Nur so erhalten wir Hinweise, welche Folgen die heutige - im Zuge des Brexits protektionistische - Handelspolitik Großbritanniens hat“.

Herkunft der Importe änderte sich

Im Rahmen der Studie analysierten Lampe und seine Kollegen die gedruckten britischen Handelsstatistiken von 1924 bis 1938, identifizierten repräsentative Produkte und die wichtigsten Handelspartnerländer. Rund 250.000 Beobachtungen wurden in statistischen Modellen in Verbindung gesetzt, um herauszufinden, wie Importe auf Zolländerungen und Mengenrestriktionen reagierten. Die Ergebnisse zeigen, dass der Rückgang der britischen Importe um über 43 Prozent zwischen 1929 und 1933 nur zu etwa einem Viertel auf die Handelspolitik Großbritanniens zurückzuführen ist. „Die sonstigen wirtschaftlichen Probleme der Weltwirtschaftskrise waren hier wirkmächtiger - wer weniger produziert, importiert auch weniger“, erklärt Lampe. Starke Auswirkungen hatte die britische Handelspolitik hingegen auf die Herkunft der Importe: zwischen 1929 und 1933 stieg der Anteil britischer Importe, die aus seinem Empire kamen, um mehr als 10 Prozentpunkte, von 27 auf gut 37 Prozent. Etwa drei Viertel davon waren unmittelbare Folge der Handelspolitik, die das Empire stark bevorzugte. „Das bedeutet, dass der Rückgang britischer Importe seine traditionellen Handelspartner in Kontinentaleuropa, USA und Lateinamerika nach 1931 ungleich stärker traf – während sich der Handel mit dem Empire erholte, fiel dieser mit dem Rest der Welt mindestens bis 1933 ungebremst weiter. Das blieb dort nicht unbemerkt und löste zum Teil deutliche Gegenmaßnahmen aus“.

Politischer Alleingang mit Folgen

„Multilateraler Handel und gleiche Marktzugangschancen sind eine zentrale Grundlage des heutigen Weltwirtschaftssystems. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Tendenzen, das aufzulösen, tatsächliche Folgen für internationale Handelsströme haben. Die britische Geschichte legt also nahe, dass das Auflösen internationaler Handelssysteme, der politische Alleingang von Ländern, reale Folgen hatte, die zu nationalen und internationalen Spannungen beitragen konnten. Dies war in der Dekade vor dem zweiten Weltkrieg der Fall und es wäre sicher auch heute ein Problem, wenn sich die derzeitige multilaterale, kooperative Welthandelsordnung, die aus dem Scheitern der Zwischenkriegszeit geboren wurde, zugunsten nationaler Lösungen auflösen würden“, so Lampe.

Zu den Studien:

Alan de Bromhead, Alan Fernihough, Markus Lampe, Kevin Hjortshøj O’Rourke (2019): The anatomy of a trade collapse: the UK, 1929–1933; European Review of Economic History, 23(2):123–144; URL: https://doi.org/10.1093/ereh/hey029

Alan de Bromhead, Alan Fernihough, Markus Lampe, Kevin Hjortshøj O'Rourke (2019): When Britain Turned Inward: The Impact of Interwar British Protection; American Economic Review, 109 (2): 325-352; URL: https://doi.org/10.1257/aer.20172020

Über Markus Lampe

(c) Markus Lampe

Markus Lampe ist Vorstand des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach seiner Ausbildung in Münster und seinem Postdoc in Kopenhagen war der Historiker und promovierte Volkswirt von 2010 bis 2015 als Assistenz- und später Assoziierter Professor an der Universidad Carlos III in Madrid tätig. Im September 2015 folgte er dem Ruf an die WU. In seiner wissenschaftlichen Arbeit widmet sich Lampe vorwiegend der Geschichte des internationalen Handels und der Handelspolitik sowie der Wirtschaftsgeschichte Dänemarks im 19. Jahrhundert mit Fokus auf die Agrargeschichte – 2019 erschien dazu sein Buch „A Land of Milk and Butter” bei Chicago University Press. Zudem erforscht der Wissenschaftler in einem laufenden Projekt die Entwicklung des Wiener Immobilienmarktes im 20. Jahrhundert. Seine Studien publiziert der gebürtige Deutsche unter anderem im American Economic Review, Journal of Economic History, Economic History Review und European Review of Economic History. Letzterer wird von der European Historical Economics Society, der wichtigsten europaweiten Vereinigung für Wirtschaftsgeschichte, herausgegeben, zu deren President-Elect Lampe Ende August 2019 gewählt wurde. Zudem ist Lampe Research Fellow des Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London.

Pressekontakt:
Mag. Anna Maria Schwendinger
PR-Referentin
Tel: + 43-1-31336-5478
E-Mail: anna.schwendinger@wu.ac.at

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