Brexit: Warum Expatriates das Land verlassen und wie Unternehmen sie halten können
Nach langem Hin und Her ist er tatsächlich vollzogen: Der Brexit. Mit 31.1.2020 trat Großbritannien (GB) aus der Europäischen Union aus. Nun beginnt eine elfmonatige Übergangsphase mit dem Ziel, ein Handelsabkommen mit der Europäischen Union zu erreichen. Zahlreiche Expatriates in GB hängen nach wie vor in der Schwebe, denn noch ist nicht sicher, wie es nach dieser Zeit für sie weitergeht. WU Professor Alexander Mohr untersuchte, wie Expatriates aus Organisationen mit der Unsicherheit umgehen und was sie dazu bewegt, in ihre Heimatländer zurückzukehren – oder zu bleiben.
Rund drei Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger leben und arbeiten in Großbritannien, unter ihnen auch zahlreiche WissenschaftlerInnen. „Für manche Branchen sind internationale Mitarbeitende besonders wichtig, weil der Bedarf an fachlicher Expertise oder bestimmten Fähigkeiten im Inland alleine nicht gedeckt werden kann“, erklärt WU Professor Alexander Mohr, „Auch im Hochschulsektor ist Internationalität von besonderer Bedeutung, vor allem in der Lehre und in der Forschung.“ Vor seiner Tätigkeit an der WU war der gebürtige Deutsche selbst beruflich in Großbritannien tätig, er hielt Professuren in an der University of Kent und der University of Bradford. Bereits damals interessierte sich Mohr dafür, was seine deutschen Kolleginnen und Kollegen dazu bewegte, wieder nach Deutschland zurückgehen zu wollen und welche Rolle das Brexit-Votum dabei spielte.
Steigende Ausländerfeindlichkeit
Mittels Befragungen sowohl vor als auch nach dem Brexit-Votum im Juni 2016 untersuchte der Professor für International Business die Beweggründe für den Verbleib in GB beziehungsweise die Intention, in das Herkunftsland zurückzukehren. Dafür befragte Mohr 124 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in GB. Dabei zeigte sich: Jene Expats, die sich bereits vor dem Brexit-Votum gut integriert fühlten und sehr zufrieden mit ihrer Arbeitsstelle waren, blieben vom Votum und seinen Folgen weitgehend unberührt und zeigten auch danach die Intention, weiter in GB zu arbeiten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich noch nicht in GB integriert fühlten und wenig soziales Netzwerk vor Ort hatten, hatten nach dem Votum deutlich höhere Intentionen, in ihre Heimat zurückzukehren. „Bei den Begründungen zeigte sich, dass bestehende Ressentiments gegenüber Ausländerinnen und Ausländern in GB, die durch die Brexit-Abstimmung weiter beflügelt wurden, eine wesentliche Rolle spielen, dass Expats in ihre Heimat zurückkehren wollen“, erklärt Alexander Mohr, „Zudem herrschte bei einigen Befragten generell Unsicherheit darüber, ob sie weiter in Großbritannien arbeiten dürfen oder auch, ob sie dort einen anderen Job als den bisherigen ausüben dürften.“
Handlungsbedarf für Unternehmen
Für Organisationen wie Universitäten, aber auch für Unternehmen, die auf Expertise und Mitarbeitende aus dem Ausland angewiesen sind, ergibt sich daraus ein klarer Handlungsbedarf. „Wachsende Ressentiments gegenüber Ausländerinnen und Ausländern bedeuten, dass Organisationen und Unternehmen möglicherweise internationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren. Je nach Abhängigkeit von deren Expertise kann dies schwerwiegende Folgen haben - beispielsweise für den Gesundheitssektor, der stark auf Know-how und Fähigkeiten aus dem Ausland zurückgreift“, so Alexander Mohr, „Umso wichtiger ist es, dass Organisationen und Unternehmen ihre internationalen Mitarbeitenden dabei unterstützen, sich im Gastland zu integrieren, ein soziales Netzwerk aufzubauen und sich wohlzufühlen.“
Über die Studie
Für die Studie führte Alexander Mohr eine standardisierte Befragung von 124 deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Großbritannien neun Monate vor und neun Monate nach dem Brexit-Votum im Juni 2016 durch. Die Befragten waren im Durchschnitt 45 Jahre alt und lebten zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 2 und 36 Jahren in Großbritannien. 46 Prozent der Befragten waren weiblich, 54 Prozent männlich.
Alexander Mohr ist Professor für „Exportmanagement und Internationalisierungsprozesse“ am Department für Welthandel der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach dem Abschluss des Studiums der Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Tübingen, Edinburgh und Erlangen-Nürnberg promovierte Alexander Mohr im Jahr 2002 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zum Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. 2008 wurde er dort mit einer Arbeit zum Personalmanagement in international operierenden Unternehmen habilitiert. Nach Professuren an der Universität Bradford, England, wo er auch das Bradford Centre in International Business leitete, und der Universität Kent folgte er 2016 dem Ruf an die WU. In seiner Forschung widmet sich Alexander Mohr der Internationalisierung von Unternehmen, insbesondere den Themen Eintrittsstrategien, Internationalisierungsgeschwindigkeit und Personalmanagement in internationalisierenden Unternehmen. Besonderes Interesse gilt der Analyse von Beziehungen sowohl zwischen privaten Unternehmen als auch zwischen privaten Unternehmen und staatlichen Akteuren und NGOs im Rahmen der internationalen Geschäftstätigkeit. Mohr publiziert in international renommierten Fachzeitschriften wie dem Journal of International Business Studies, Strategy Science und Academy of Management Learning and Education.
Alexander Mohr