Eine Person liest eine spanische Tageszeitung

Bildung vor allem in Entwicklungsländern wichtiger als Geburtensenkung

11. Juni 2019

Schon lange wird in der Wis­sen­schaft über den Zu­sam­men­hang zwi­schen de­mo­gra­fi­schen Ver­än­de­run­gen und Wirt­schafts­wachs­tum dis­ku­tiert. Bis­lang ging man davon aus, dass be­son­ders sin­ken­de Ge­bur­ten­ra­ten und die spä­ter im Ver­hält­nis zur Be­völ­ke­rungs­grö­ße stei­gen­de Zahl an er­werbs­tä­ti­gen Men­schen wirt­schaft­li­chen Auf­schwung brin­gen. Eine ak­tu­el­le Stu­die von Wolf­gang Lutz und Jesus Cres­po Cua­res­ma, beide an der Wirt­schafts­uni­ver­si­tät Wien (WU) sowie dem Witt­gen­stein Cent­re for De­mo­gra­phy and Glo­bal Human Ca­pi­tal af­fi­li­iert, zeigt nun: Nicht die sin­ken­den Ge­bur­ten­ra­ten per se, son­dern hö­he­re In­ves­ti­tio­nen in Bil­dung sind aus­schlag­ge­bend für das wirt­schaft­li­che Wachs­tum.

Als „de­mo­gra­fi­sche Di­vi­den­de“ be­zeich­net die Wis­sen­schaft bis­lang jenen wirt­schaft­li­chen Auf­schwung, der sich in Be­völ­ke­run­gen mit sin­ken­den Ge­bur­ten­ra­ten und sich ver­än­dern­den Al­ters­struk­tu­ren ab­zeich­ne­te. Bis­her ging man davon aus, dass die re­la­tiv be­trach­tet hö­he­re Zahl an Men­schen im Er­werbs­al­ter aus­schlag­ge­bend für das Wirt­schafts­wachs­tum sei. Die ak­tu­el­le Stu­die von WU Wien, Witt­gen­stein Cent­re for De­mo­gra­phy and Glo­bal Human Ca­pi­tal (WU, IIASA, VID/ÖAW) und TU Wien zeigt nun erst­ma­lig: Nicht fa­mi­li­en­po­li­ti­sche Maß­nah­men zur Sen­kung der Ge­bur­ten­ra­te, son­dern In­ves­ti­tio­nen in Bil­dung und das Hu­man­ka­pi­tal eines Lan­des brach­ten nach­hal­ti­gen Wirt­schafts­auf­schwung. WU-​Professor Jesus Cres­po Cua­res­ma, Lei­ter des In­sti­tuts für Ma­kro­öko­no­mie, er­klärt: „Bis­lang ging man davon aus, dass die nied­ri­gen Ge­bur­ten­zah­len per se und die da­durch ver­hält­nis­mä­ßig hö­he­re Er­werbs­tä­tig­keit zu wirt­schaft­li­chem Auf­schwung füh­ren. Wir sehen aber, dass nicht die nied­ri­ge Kin­der­zahl, son­dern ein stei­gen­des Bil­dungs­ni­veau ent­schei­dend für das spä­te­re Wirt­schafts­wachs­tum ist.“

Bildungsexpansion als Erfolgsfaktor

In ihrem Mo­dell wid­me­ten sich die Wis­sen­schaft­le­rIn­nen dem Zu­sam­men­wir­ken von Al­ters­struk­tu­ren und Bil­dungs­ni­veaus. Dabei zeig­te sich auch: Für Be­völ­ke­run­gen mit ten­den­zi­ell sehr nied­ri­gem Bil­dungs­ni­veau kön­nen sin­ken­de Ge­bur­ten­ra­ten bei gleich­blei­ben­dem Bil­dungs­ni­veau sogar ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen haben. Um­ge­kehrt zeigt das Mo­dell: Bes­ser ge­bil­de­te Be­völ­ke­run­gen kön­nen von mehr Er­werbs­tä­tig­keit (durch sin­ken­de Ge­bur­ten­ra­ten) bes­ser ge­bil­de­ter Men­schen pro­fi­tie­ren. „Un­se­re Er­geb­nis­se zei­gen, dass die ma­kro­öko­no­mi­sche Ren­di­te von In­ves­ti­tio­nen in Bil­dung sehr groß sein kann. Zum Bei­spiel sehen wir, dass das jet­zi­ge Brut­to­in­lands­pro­dukt pro Kopf in Ni­ge­ria 65 Pro­zent höher wäre, hätte Ni­ge­ria in den letz­ten Jahr­zehn­ten die glei­che Ex­pan­si­on von Bil­dung um­ge­setzt wie Süd­ko­rea. Süd­ko­rea star­te­te vor allem in den 70er- und 80-​Jahren eine rie­sen Bil­dungs­of­fen­si­ve. Sol­che Ef­fek­te be­ob­ach­ten wir nicht, wenn wir Än­de­run­gen in Al­ters­struk­tur (ohne Än­de­run­gen in Bil­dung) si­mu­lie­ren“, so Cres­po Cua­res­ma. „Wäh­rend man in den ver­gan­ge­nen Jah­ren vor allem in Ent­wick­lungs­län­dern ver­mehrt auf fa­mi­li­en­po­li­ti­sche Maß­nah­men zur Sen­kung der Ge­bur­ten­ra­te setz­te, um die Wirt­schaft an­zu­kur­beln, zeigt sich nun, dass In­ves­ti­tio­nen in das Hu­man­ka­pi­tal einer Be­völ­ke­rung we­sent­li­cher Er­folgs­fak­tor für wirt­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen sind. Be­son­ders für Län­der mit nied­ri­gem Bil­dungs­ni­veau und ohne Bil­dungs­ex­pan­si­on kann eine sin­ken­de Ge­bur­ten­ra­te kon­tra­pro­duk­tiv sein“.

Gebildete Mütter investieren mehr in Bildung ihrer Kinder

Eine Er­klä­rung dafür sehen die Wis­sen­schaft­le­rIn­nen darin, dass ge­bil­de­te El­tern, ins­be­son­de­re ge­bil­de­te Müt­ter, auch mehr in die Bil­dung ihrer Kin­der in­ves­tie­ren. In wei­te­rer Folge führt dies wie­der­um spä­ter zu bes­ser ge­bil­de­ten er­werbs­tä­ti­gen Men­schen, die die Wirt­schaft an­kur­beln. „Un­se­re Stu­die be­stä­tigt wie­der, dass vor allem Bil­dung die Schlüs­sel­kom­po­nen­te für un­se­re Zu­kunft ist. Be­son­ders wich­tig ist dies in Hin­blick auf die Sus­tain­able De­ve­lo­p­ment Goals der Ver­ein­ten Na­tio­nen, die als obers­tes Ziel die welt­wei­te Be­en­di­gung ex­tre­mer Armut bis 2030 nen­nen. Um die­ses Ziel zu er­rei­chen, sind Bil­dungs­in­ves­ti­tio­nen in den be­trof­fe­nen Län­dern un­um­gäng­lich“, so Cres­po Cua­res­ma.

Über die Stu­die

Für die Stu­die wurde mit­tels der be­stehen­den Daten von über 160 Län­dern der Welt in der Pe­ri­ode 1980-​2015 ein öko­no­me­tri­sches Mo­dell ent­wi­ckelt, an­hand des­sen ver­schie­dens­te Si­mu­la­tio­nen um­ge­setzt wur­den. Im Mo­dell wird die In­ter­ak­ti­on zwi­schen Bil­dung und Al­ters­struk­tur als Be­stim­mungs­fak­tor des lang­fris­ti­gen Wirt­schafts­wachs­tums ex­pli­zit be­trach­tet.

Stu­die:

Lutz W, Cres­po Cua­res­ma J, Ke­be­de E, Fürnkranz-​Prskawetz A, San­der­son W, & Striess­nig E (2019). Edu­ca­ti­on ra­ther than age-​structure brings de­mo­gra­phic di­vi­dend. Pro­cee­dings of the Na­tio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces of the United Sta­tes of Ame­ri­ca.

Pres­se­kon­takt

Mag. Anna Maria Schwen­din­ger
PR-​Referentin
Tel: + 43-​1-31336-5478
E-​Mail: anna.schwen­din­ger@wu.ac.at

Presse-Information als PDF
Presse-Information als PDF
zurück zur Übersicht