Autokratien im Aufwind: Wie autoritäre Staaten das internationale Recht aushöhlen
Immer mehr Staaten werden autoritär geführt und versuchen, das Völkerrecht in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dieser Gefahr widmet sich Monika Polzin, Professorin für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der WU Wirtschaftsuniversität Wien.
Die liberale Demokratie ist derzeit weltweit auf dem Rückzug: Im März 2024 listete der von der Bertelsmann Stiftung herausgegebene Transformation Index mehr autokratische als demokratisch regierte Staaten auf – zum ersten Mal seit 2004. „Hinzu kommt, dass autokratisch regierte Staaten wie Russland und vor allem China immer selbstbewusster auf dem internationalen Parkett auftreten und ihre Ideen von der Ausgestaltung der internationalen Ordnung durchzusetzen versuchen“, sagt Monika Polzin, Leiterin des WU Instituts für die Internationalisierung des Rechts.
Nach ihrer Einschätzung besteht dadurch die Gefahr, dass Teile des Völkerrechts durch illiberale und autoritäre Ansichten geprägt werden könnten. Wie die internationale Gemeinschaft – und vor allem die liberalen Demokratien dieser Welt – damit umgehen können, hat Polzin in einem Beitrag beschrieben, der im renommierten Nordic Journal of International Law erschienen ist.
Recht des Stärkeren statt Rechtsstaat
Unter dem Titel „The Global Illiberal Dawn“ schlägt die Professorin für Öffentliches Recht erstmals eine Definition von autoritären Normen im Völkerrecht vor: „Die autokratischen Herrscher von heute sagen nicht mehr, dass sie Demokratie und Menschenrechte abschaffen wollen“, erklärt Polzin. „Stattdessen heißt es: Wir wollen die Demokratie, aber wir definieren sie anders; wir wollen Menschenrechte, aber wir interpretieren sie anders.“ Damit die internationale Staatengemeinschaft diesen Tendenzen effektiv entgegentreten kann, brauche es eine exakte Definition, was autokratisches Völkerrecht ist.
Diese Definition unterscheidet zwei verschiedene Kategorien: einerseits das klassische Völkerrecht, das im Kern die Beziehungen zwischen souveränen Staaten regelt, und andererseits die internationalen Normen, die sich unmittelbar auf die innerstaatliche Ordnung beziehen – also etwa die Menschenrechte.
Laut Monika Polzin werden zwischenstaatliche Regeln autokratisch, wenn ihr Inhalt von Willkür und Recht des Stärkeren – also eines „survival of the fittest“ – geprägt wird. Hier gebe es derzeit subtile autokratische Tendenzen, die sich insbesondere im Wiederaufleben historischer Argumente zeigten. Ein Beispiel seien die Territorialansprüche von China im Südchinesischen Meer, die nicht rechtlich, sondern historisch begründet werden.
Ein glückliches Leben als Menschenrecht?
Was die zweite Kategorie betrifft – also Normen, die die innerstaatliche Ordnung betreffen – identifiziert Monika Polzin eine Reinterpretation der Menschenrechte als größte Gefahr. Bei dieser Reinterpretation tut sich vor allem China hervor: Im Jahr 2022 etwa ließ der chinesische Staatspräsident Xi Jinping bei einem Treffen mit der UN-Hochkommissarin mit der Aussage aufhorchen, dass „ein glückliches Leben zu führen“ das größte Menschenrecht sei. „Solche Aussagen klingen im ersten Moment gut“, erklärt Polzin, „aber man muss sich bewusst machen, dass nicht alles gut ist, was gut klingt.“
Im Kontext betrachtet würde diese Aussage bedeuten, dass ein vom Staat definiertes glückliches Leben das ultimative Recht wäre und Vorrang gegenüber den liberalen Grundrechten und sogar den sozialen Rechten der Menschen hätte: „Das Vehikel für eine solche Umdeutung ist das Recht auf Entwicklung. China versucht schon länger, seine Ansätze über unverbindliche Dokumente ins Völkerrecht zu bringen“, sagt Monika Polzin. „Hier müssen die westlichen Staaten wachsam bleiben.“
Einen Hinweis, wie autoritäres Völkerrecht aussieht, gebe auch die Shanghai Cooperation Organisation – eine internationale Organisation, die 2001 unter anderem von China und Russland gegründet wurde, und der mittlerweile auch der Iran, Pakistan und (das demokratische) Indien angehören. Im Kreise dieser Staaten sei es schon jetzt möglich, internationale Verträge gegen Terrorismus, Extremismus und Separatismus zu schließen, die keine Bezüge zu den Menschenrechten enthalten. „Diese Organisation ist ein strategischer Interessenszusammenschluss gegen den Westen und eine Spielwiese für autoritäre Staaten, wo sie internationales Recht schaffen können, bei dem menschenrechtlicher Schutz keine Rolle spielt.“
Anhand der von Monika Polzin vorgelegten Definitionen können demokratische Staaten diese Tendenzen identifizieren – und ihnen in internationalen Gremien widersprechen. „Die große Herausforderung für Demokratien ist derzeit, Freiheit und Recht im Völkerrecht zu verteidigen, auch um ihre nationalen Verfassungsordnungen vor einer Aushöhlung zu schützen“, so das Resümee der WU Professorin.
Weitere Informationen
Polzin, M. (2024). The Global Illiberal Dawn: Toward a Definition of ‘Authoritarian International Law Norms’. Nordic Journal of International Law, 93(2), 237-266.