Aufarbeitung von WU-Geschichte geht weiter: Veranstaltung mit Zeitzeugen thematisiert Affäre Borodajkewycz
Vor genau 50 Jahren stand die Hochschule für Welthandel im Mittelpunkt einer öffentlichen Auseinandersetzung: der „Affäre Borodajkewycz“. Taras Borodajkewycz war in den dreißiger und vierziger Jahren ein überzeugter Nationalsozialist, war zwischen 1955 und 1965 als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der ‚Welthandel‘ tätig und gab in dieser Zeit in Lehrveranstaltungen immer wieder Äußerungen von sich, in denen die österreichische Nation und jüdische Persönlichkeiten verunglimpft wurden. Eine Veranstaltung mit Bundespräsident Heinz Fischer, Ferdinand Lacina und Elisabeth T. Spira im Juni beleuchten die damaligen Geschehnisse.
Trotz seiner Betätigung während der NS-Zeit wurde Taras Borodajkewycz nach Ende des Zweiten Weltkriegs an die Hochschule für Welthandel berufen. Lange Zeit regte sich kaum Widerspruch gegen seine antidemokratischen, antisemitischen und rassistischen Bemerkungen in Lehrveranstaltungen. Sein problematisches Geschichts- und Politikverständnis geriet erst ins öffentliche Bewusstsein, als der junge Jurist (und heutige Bundespräsident) Heinz Fischer in Zeitungsartikeln Borodajkewycz vorwarf, den Boden für eine Renaissance des Nationalsozialismus zu bereiten. Dabei stützte er sich auf Vorlesungsmitschriften des damaligen Welthandelsstudenten (und späteren Finanzministers) Ferdinand Lacina.
Demonstration mit Todesopfer
Der Fall Borodajkewycz beschäftigte nicht nur die Gerichte des Landes. Er wurde in (inter-)nationalen Medien diskutiert und war Gegenstand von Debatten im Gemeinde- und Nationalrat. Dabei ging es im Kern um die Frage, inwieweit die demokratische Grundordnung der Zweiten österreichischen Republik durch Alt- und Neo-Nazis gefährdet war. Die Auseinandersetzungen gipfelten in einer Demonstration in der Wiener Innenstadt, bei der am 31. März 1965 der Wiener Pensionist Ernst Kirchweger von einem rechtsradikalen Burschenschafter so schwer verletzt wurde, dass er verstarb. Kirchweger war das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik.
Veranstaltung mit Bundespräsident Fischer und Ferdinand Lacina
„Es ist unsere gesellschaftliche Pflicht, die dunklen Kapitel der Vergangenheit, die Teil jeder Universitätsgeschichte sind, aufzuarbeiten. Die Geschehnisse während und nach der NS-Zeit in Österreich dürfen sich nicht wiederholen, dafür sind wir mit verantwortlich", sagt WU-Rektor Christoph Badelt. Ein halbes Jahrhundert nach dem tödlichen Angriff auf Kirchweger befasst sich daher eine Veranstaltung mit dieser Causa. Thematisiert wird u.a., in welchem gesellschaftlichen und politischen Umfeld sich ein Hochschullehrer, der ausdrücklich jede (selbst-)kritische Distanzierung vom Nationalsozialismus weit von sich wies, damals entfalten konnte. Auch Fragen wie „Wie ist die ‚Hochschule für Welthandel‘ mit der Kontinuität zwischen NS-Zeit und Zweiter Republik umgegangen, die Borodajkewycz verkörperte?“ oder „Wie haben Zeitzeugen die Affäre erlebt, und welchen Stellenwert hatte sie für die österreichische Nachkriegsgeschichte?“ sollen diskutiert werden.
Im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung am 9. Juni werden die Zeitzeugen Heinz Fischer, Ferdinand Lacina und Elisabeth T. Spira ihre Erinnerungen an die Ereignisse von 1965 schildern. Details dazu werden Ende Mai gesondert bekannt gegeben.
Aufarbeitung der WU-Geschichte: Gedenkprojekt und Mahnmal
Die Veranstaltung steht in einem größeren Kontext der Aufarbeitung der WU-Geschichte. 2012 startete die WU ein Forschungsprojekt, das sich mit der Geschichte der ehemaligen Hochschule für Welthandel zur Zeit des "Anschlusses" und der NS-Herrschaft beschäftigte. Zum Gedenken an die ab März 1938 ausgegrenzten, vertriebenen oder ermordeten Angehörigen der Hochschule für Welthandel wurde auf dem neuen Campus an zentraler Stelle ein Mahnmal errichtet. Die Skulptur des Künstlers Alexander Felch ist fixer Bestandteil des Campus. Die Namen der Opfer sind zu einer Kugel aus Niro verbunden, weitere Namen können noch hinzugefügt werden, bewusst sind auch Leerstellen eingebaut. Die Biographien der Opfer sind in einem virtuellen Gedenkbuch abrufbar http://gedenkbuch.wu.ac.at/. Darüber hinaus untersucht die Universitätsbibliothek, ob Buchbestände in der NS-Zeit unrechtmäßig in den Besitz der Hochschule gelangt sind.
Universitätsarchiv unterstützt Aufarbeitung
Das im Bibliothekszentrum eingerichtete Universitätsarchiv erschließt außerdem systematisch alle schriftlichen und bildlichen Hinterlassenschaften der WU und ihrer Vorgängerinstitutionen, der kaiserlich-königlichen Exportakademie (gegründet 1898) und der Hochschule für Welthandel (seit 1919). Neben der Aufbereitung von archivwürdigem Material hat das Universitätsarchiv die Aufgabe, die WU-Geschichte der Öffentlichkeit nahe zu bringen. Ausstellungen, wissenschaftliche Tagungen und Publikationen werden die Gelegenheit geben, die Bestände des Archivs auszuwerten und zu präsentieren. Das Gedenkprojekt, das Provenienzprojekt und die Affäre Borodajkewycz zeigen, wie wichtig es ist, Aspekte der WU-Geschichte in ihrem zeithistorischen Kontext zu beleuchten.
Affäre Borodajkewycz mit Heinz Fischer, Ferdinand Lacina und Elisabeth T. Spira
Ort: Festsaal 1 im Library and Learning Center
http://campus.wu.ac.at/?roomShow=LC.0.110%20Festsaal%201
Kontakt:
Pressesprecherin
Tel: + 43-1-31336-4977
cornelia.moll@wu.ac.at
WU-Presseinformation Veranstaltung zu Fall Borodajkewycz als PDF