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Arbeit im Call Center: Unsichtbar und unterschätzt

07. Mai 2021

Ohne sie ist die moderne Unternehmenswelt kaum mehr denkbar. Aber die Arbeit von Call Center Agents bleibt unsichtbar. Sie wird oft missverstanden und dadurch falsch bewertet. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) geht den Fähigkeiten und Tätigkeiten dieser „unsichtbaren Arbeiter/innen“ nach und entdeckt Erstaunliches.

Call Center Agents zeichnen Fähigkeiten aus, die ihnen landläufig nur selten zugeschrieben werden: Sie sind sprachlich begabt und besonders interaktionsfähig. Sie beherrschen komplexes Informationsmanagement und können Gespräche spontan verschriftlichen. Sie meistern „articulation work“ und „emotional labor“, also das Vermitteln zwischen der Welt ihres Arbeitsgebers und der Kund/inn/en. Ihre kognitiven und sprachlichen Leistungen sind aber nicht nur Außenstehenden verborgen – auch das eigene Management weiß oft nichts davon. Das überrascht vor allem deswegen, weil Arbeitsplätze in Call Centern in hohem Maße überwacht sind und die Arbeit der Agents ständig gemessen wird.

WU Forscherin Johanna Tovar, Institut für englische Wirtschaftskommunikation der WU, hat in ihrer Studie Call Center Agents in den Philippinen und in Großbritannien befragt. Sie führt diese Unsichtbarkeit nach außen und innen auf die Art zurück, wie Fähigkeiten und Erfolge in den Call Center gemessen werden: überwiegend quantitativ und gestützt allein durch automatisch erfasste Arbeitsschritte, die in Datenbanken gespeichert und dann ausgewertet werden. Dazu gehören etwa die Geschwindigkeit, mit der sie Anfragen beantworten oder die Zahl der beantworteten Anfragen.

Alles, was die Systeme nicht automatisiert erfassen können, findet in den Augen der Manager/innen nicht statt: Die wirklichen Fähigkeiten der Agents, die nur durch qualitative Befragungen etwa in Mitarbeiter/innen-Gesprächen gemessen werden könnten, bleiben unberücksichtigt.

„Unsichtbarkeit“: Gut oder schlecht für Call Center Agents?

Dabei hat diese Unsichtbarkeit der Fähigkeiten und Leistungen für die Agents durchaus Vorteile und Nachteile zugleich. Zwar wirken sich die lückenhaften Systeme zur Bewertung von Agents negativ auf den Stresslevel und die Zufriedenheit aus. Zugleich wissen sich die Agents und das untere Management aber selbst zu helfen: Sie passen Skripte und Gesprächsleitfäden, die ihnen durch das höhere Management vorgegeben werden, eigenständig an und sorgen durch diese Adaptionsleistung dafür, dass ihre Interaktionen mit Kund/inn/en erfolgreich verlaufen.

Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Sociolinguistic Studies“ erschienen.

Zur Studie

Johanna Tovar: „Call center agents’ skills: Invisible, illegible, and misunderstood“. Abrufbar unter https://doi.org/10.1558/sols.39555

Pressekontakt:

Alexander Vieß
Forschungskommunikation
Wirtschaftsuniversität Wien
Tel: + 43-1-31336-5478
E-Mail: alexander.viess@wu.ac.at

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