Alles unter Kontrolle, alles „meins“? Wie Handygrößen, Zahlungsmethoden und Wissen unsere Besitzgefühle beeinflussen
Bereits im Kleinkindalter entwickeln wir Besitzgefühle. Dabei geht es nicht um rechtlichen Besitz, sondern um psychologischen Besitz, der sich hinter dem Wörtchen „meins“ verbirgt. WU-Professorin Bernadette Kamleitner untersucht, wodurch und wofür wir Besitzgefühle entwickeln und zeigt dabei, wie sich Produkte besser entwickeln, Daten besser sichern und Umweltschutzmaßnahmen besser durchsetzen lassen.
„Wer kennt das nicht: Beim Besuch einer Veranstaltung reservieren wir mithilfe unserer Jacke oder Tasche einen Platz und gehen dann noch kurz raus. Als wir pünktlich zum Start zurückkommen, ist die Jacke zwei Plätze weiter gerutscht und jemand anderer sitzt auf unserem Platz. Psychologisch hat uns jemand ‚unseren‘ Platz weggenommen. Wir fühlen psychologischen Besitz, obwohl der Platz rechtlich dem Veranstalter gehört“, erklärt WU-Professorin Bernadette Kamleitner, Leiterin des Instituts für Marketing und KonsumentInnenforschung. In verschiedensten Studien untersuchte sie, welche Faktoren unser Besitzgefühl beeinflussen und welche Konsequenzen dies hat. Gemeinsam mit ihren Forschungspartnern konnte sie dabei drei zentrale Mechanismen in verschiedenen Kontexten bestätigen: Wahrgenommene Kontrolle, psychologisches Investment sowie Wissen und Vertrautheit.
Was ich nicht kontrollieren kann, ist weniger meins
In Studien mit ihrem Team zeigte Kamleitner, dass Menschen besonders für jene Produkte Besitzgefühl entwickeln, die ergonomisch gut passen. Diese sind nämlich besonders gut kontrollierbar. Beispielsweise zeigte sich, dass psychologischer Besitz für Mobiltelefone besonders hoch war, wenn das Verhältnis zwischen Daumenlänge und Bildschirmgröße ideal war. Das heißt: Menschen mit kurzen Fingern empfanden eher Besitzgefühl, wenn das Handy auch passend klein war. Bei Mobiltelefonen mit großen Displays (und somit erschwerter Kontrollierbarkeit) war das Besitzgefühl niedriger. Genau umgekehrt stellte sich die Situation bei Menschen mit langen Fingern dar. „Wenn wir bei Dingen das Gefühl haben, diese besonders gut kontrollieren zu können – wir diese also richtig ‚im Griff‘ haben, so empfinden wir auch mehr Besitzgefühl. In der Folge passen Menschen auch häufig besser auf diese Dinge auf“, so Kamleitner.
Mehr Investment, mehr Besitz
Ein wesentlicher Aspekt in puncto Besitzgefühl ist auch das psychologische Investment. Je mehr Menschen in etwas investieren oder dafür opfern, umso mehr steigt ihr Besitzgefühl dafür. „Ein Prinzip, das auch in Crowdfunding zum Tragen kommt – Menschen investieren in etwas, entwickeln Besitzgefühl und Verantwortung dafür, fühlen sich verantwortlich und investieren vielleicht wieder“, so die Studienautorin. Die Rolle von psychologischem Investment zeigte sich auch bei einer Studie, die Zahlungsmethoden in den Fokus rückte. Dabei wurde deutlich, dass Menschen, die mit Karte zahlten, weniger Besitzgefühl für das Gekaufte hatten als Menschen, die bar zahlten. Der Grund, so Kamleitner, liege darin, dass Barzahlung die Investition deutlicher und damit fühlbarer macht als Kartenzahlung. Zur Studie
Vertrautheit schafft Besitz
Kamleitner konnte in ihren Studien bestätigen, dass auch das Wissen um und die Vertrautheit mit etwas unser Besitzgefühl beeinflussen. „Je mehr ich über etwas weiß, desto eher wird es meins. In weiterer Folge bedeutet das auch, dass wir nicht nur für Produkte Besitzgefühle hegen können“. Dies konnte die Wissenschaftlerin gemeinsam mit einer Kollegin in einem Experiment belegen. „Wir ließen zwei Gruppen jeweils unterschiedlich schwere Quizze zum Thema Umwelt ausfüllen. Die Gruppe, die das leichtere Quiz ausfüllte und besser abschnitt, hatte nachher das Gefühl mehr über die Umwelt zu wissen und zeigte in weiterer Folge mehr Interesse am Umweltschutz“. Die Studie wurde mit dem EACR Best Paper Award ausgezeichnet.
<link fileadmin wu d i mcore form-btn-blue>Zur Studie
Bernadette Kamleitner ist Leiterin des Instituts für Marketing und KonsumentInnenforschung an der WU. Die gebürtige Oberösterreicherin studierte Handelswissenschaften an der WU sowie Psychologie an der Universität Wien und promovierte in beiden Fächern. Kurz vor Vollendung ihres zweiten Doktorats in Wirtschaftswissenschaften nahm Bernadette Kamleitner ein Angebot der University of London (Queen Mary) an, wo sie ab 2007 im Bereich Marketing/Consumer Behaviour forschte und lehrte. Zudem fungierte sie dort als Direktorin des Marketingprogramms und Mitglied des Forschungsrates. 2012 folgte Kamleitner dem Ruf an die WU. In ihrer Forschung widmet sich Kamleitner aktuell dem Thema Besitz sowie der Frage nach den Folgen der Digitalisierung und der Wahrnehmung von Kosten und Nutzen. Sie ist Initiatorin der weltweit ersten interdisziplinären Konferenzserie zu Besitzforschung, gibt gemeinsam mit ihrem Team einen renommierten wissenschaftlichen Blog zum Thema heraus und initiierte eine einzigartige themenspezifische Sammlung in der Bibliothek der WU. Die Wissenschaftlerin publiziert erfolgreich in internationalen Journalen wie Marketing Letters, Journal of Economic Psychology und California Management Review, ist Member des Editorial Boards zahlreicher Fachzeitschriften (Journal of Business Research, Journal of Consumer Marketing) und forschte gemeinsam mit internationalen Forschungspartnern im Rahmen von Forschungsaufenthalten in Australien (QUT), Großbritannien (Cass) und den USA (Virginia Tech, Yale). Die mit zahlreichen Preisen (z.b. EACR Best Paper Award, JCM Outstanding Reviewer Award) ausgezeichnete Wissenschaftlerin arbeitet mit einer Vielzahl an Unternehmen und Institutionen, ist u.a. im wissenschaftlichen Beirat des CMC der Akademie der Wissenschaften sowie des österreichischen Werberats, war Präsidentin der Transfergesellschaft WWG Forum Marketing und ist stellvertretende Vorständin des Departments Marketing der WU Wien.
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