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Studie zum gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen des Zivildienstes in Österreich 2010

Die vorliegende Studie zum ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzen des Zivildienstes wurde vom Kompetenzzentrum für Nonprofit Organisationen und Social Entrepreneurship der WU Wien, im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres erstellt.

Ein wesentlicher Teil der Berechnungen beruht auf einer Erhebung bei Zivildiensteinrichtungen in Österreich. In diesem Zusammenhang gilt der Dank den Einrichtungen für ihre Offenheit und die rege Teilnahme, die sich in einem hohen Rücklauf zeigte. Eine zweite Erhebung wurde bei einer Stichprobe (ehemaliger) Zivildiener durchgeführt, die ebenfalls rege an der Befragung teilnahmen, wofür wir ebenfalls unseren Dank aussprechen. Hier sei auch explizit nochmals jenen Zivildienern gedankt, die für einen Pretest zur Verfügung standen und viele konstruktive Anmerkungen lieferten.

v.l.n.r. Dr. Christian Schober (NPO&SE Kompetenzzentrum), Mag. Verena Weiss (Abteilungsleiterin ZD im BM.I), Mag. Ferdinand Mayer (Leiter der Zivildienstserviceagentur), Mag. Tanja Lang-Muhr (Zivildienstserviceagentur), Mag. Selma Sprajcer (NPO&SE Kompetenzzentrum) und Mag. Walter Grosinger (BMI, Stv. Sektionschef)


Zusammenfassend kommen die AutorInnen der vorliegenden Studie zum Schluss, dass eine Aufrechterhaltung des Zivildienstes ökonomisch und gesellschaftlich empfehlenswert ist. In Geldeinheiten ausgedrückt bringt der Zivildienst 140 Mio. Euro gegenüber dem Alternativszenario „kein Zivildienst“ an eingesparten Kosten bzw. höheren Leistungen/Wirkungen. Wesentlich sind hierbei die Leistungen der Zivildiener, die als Ehrenamtliche nach dem Zivildienst in den Zivildiensteinrichtungen verbleiben mit etwa 105 Mio. Euro. Wird noch berücksichtigt, dass die Wirkungen der erbrachten Leistungen in den vorliegenden Bewertungen eher unterschätzt werden und einige der zweifelsfrei vorhandenen positiven Effekte des Zivildienstes in dieser Studie nicht monetarisiert wurden, liegt der wahre monetär bewertete Nutzen noch deutlich höher.


Bei der Betrachtung der Kosten und Wirkungen wird auch ein besonderes Augenmerk auf die durch den Zivildienst induzierte Freiwilligenarbeit in den anerkannten Zivildiensteinrichtungen gelegt.Dieser Effekt wurde in der vorliegenden Studie erstmalig berücksichtigt. Die meisten Zivildiensteinrichtungen sind Nonprofit Organisationen und als solche zum Teil von freiwilligem Engagement getragen. In Österreich sind knapp 44% der über 15-Jährigen freiwillig tätig, im europäischen Durschnitt sind es rund 23% (Rameder/More-Hollerweger 2009). Um diese Zahl der Ehrenamtlichen zu erhalten und die Leistungserbringung - vor allem in Organisationen im Sozial- und Gesundheitsbereich - sicher zu stellen, ist die ständige Akquirierung von Freiwilligen von großer Bedeutung.

In dieser Hinsicht kann der Zivildienst als „Hauptlieferant“ von Ehrenamtlichen in einigen Bereichengesehen werden, da die Eintrittsbarriere durch die bereits vorhandene Ausbildung und Kenntnis der Organisation für die Zivildiener sinkt.

Die Erhebungen

Die Erhebungen zeigen, dass etwa ein Drittel der Zivildiener nach dem Zivildienst weiterhin in ihrer Einrichtung tätig ist, davon rund 7% als hauptamtliche Mitarbeiter und 26,4% (3.420 Personen im Jahr 2010) als Ehrenamtliche. Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter leisteten durchschnittlich 324 Stunden pro Jahr. Nach zehn Jahren sind immer noch rund 27% der durch den Zivildienst akquirierten Ehrenamtlichen in der Zivildienstorganisation tätig. Die mit der Zeit erfolgenden Abgänge ehemaliger Zivildienstleistender können durch hinzukommende Ehrenamtliche aus späteren Zivildienstantrittsterminen laufend ersetzt werden.

Bei einem Wegfall des Zivildienstes, so das Alternativszenario, sollen den Einrichtungen zufolge die Leistungen der ehrenamtlich tätigen ehemaligen Zivildiener zu etwa 43% von neuen, nicht über den Zivildienst akquirierten Ehrenamtlichen, zu etwa 38% durch neue Hauptamtliche und zu etwa 19% durch Mehrarbeit derzeit Beschäftigter ersetzt werden. Die sich daraus ergebenden Kosten und Wirkungen, inklusive allfälliger Arbeitsmarkteffekte, wurden in der Studie berücksichtigt. Hierbei hat sich gezeigt, dass die durch den Zivildienst hervorgerufene Ehrenamtlichkeit wesentlich für die positive Gesamtbeurteilung des Zivildienstes ist. Der gesellschaftlich und ökonomisch positive Effekt der Ehrenamtlichkeit macht in Summe etwa 105 Mio. Euro aus.

In diesem Zusammenhang muss die Frage gestellt werden, ob es möglich ist, auf Dauer eine ausreichende Anzahl neuer ehrenamtlicher Mitarbeiter zu akquirieren bzw. in weiterer Folge deren Abgänge nachzubesetzen. Dazu gaben 87% der befragten Organisationen an, dass es schwer oder sehr schwer sei, nach einer Abschaffung des Zivildienstes die entsprechende Anzahl freiwilliger MitarbeiterInnen als Ersatz für die verlorenen ehrenamtlichen ehemaligen Zivildiener zu bekommen.

Profiteure des Zivildienstes sind vor allem die Gesellschaft/allgemeine Bevölkerung, die Zivildiensteinrichtungen und die Familien der Zivildiener.

Eine Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes würde für die Zivildiensteinrichtungen bedeuten, dass mit höheren Kosten deutlich geringere Leistungen erbracht werden können. Zudem bleibt unklar, ob diese zusätzlichen Kosten überhaupt von alternativen fördergebenden Institutionen getragen werden können bzw. ob die Einrichtungen selbst bzw. deren EigentümerInnen in der Lage sein werden, die Kosten teilweise selbst zu übernehmen oder über den Markt zu finanzieren.

Die Gesellschaft/allgemeine Bevölkerung profitiert vom Zivildienst und würde im Abschaffungsfall die Auswirkungen negativ zu spüren bekommen. Die Zivildiensteinrichtungen würden die Leistungsstunden reduzieren, was sich auf die Betreuungsquantität und -qualität auswirken würde.

Eine Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich würde auch den als Wehrersatzdienst konzipierten Zivildienst betreffen. Die vorliegende Studie geht in diesem Zusammenhang der Frage nach, welche ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen eine Abschaffung des Zivildienstes nach sich ziehen würde.

Zur Beurteilung der Wirkungen einer allfälligen Abschaffung wurde ein Vergleich zwischen einem Zivildienstszenario (Zivildienst existiert) und einem Alternativszenario (Zivildienst wurde Ende 2009 ersatzlos abgeschafft) gezogen. Hierbei wurden mittels einer ökonomischen Evaluation, in Form einer Cost-Benefit-Analyse, die entstehenden Kosten den monetär bewerteten Leistungen bzw. teilweise Wirkungen gegenübergestellt. Als Referenzjahr wurde das Jahr 2010 gewählt. Berechnung der Studie zum ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzen des Zivildienstes Die Daten für die Berechnungen stammen aus verschiedenen Quellen. Zum einen stellte das Bundesministerium für Inneres (BMI) bzw. die dort angesiedelte Zivildienstserviceagentur (ZISA) vorhandene Daten zur Zuweisungsstatistik sowie den anfallenden Kosten für den Bund zur Verfügung.

Da diese für die Feststellung von Wirkungen nicht herangezogen werden konnten, wurden weiters zwei breit angelegte Erhebungen durchgeführt, eine bei den Zivildiensteinrichtungen und eine bei (ehemaligen) Zivildienern. Hierin unterscheidet sich die vorliegende Studie wesentlich von bisher durchgeführten Berechnungen bzw. Studien, die zumeist ohne Primärerhebungen ihr Auslangen fanden und ihre Aussagen primär auf mehr oder weniger plausible Annahmen stützten. Zum anderen wurden seitens des AMS Daten zum Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt. Die Berechnungen für die beiden Szenarien wurden hierbei für unterschiedliche Anspruchsgruppen (Stakeholder) des Zivildienstes, bei denen Kosten sowie Leistungen/Wirkungen in unterschiedlichem Ausmaß zum Tragen kommen, getrennt durchgeführt. Als relevante Stakeholder wurden die Zivildiensteinrichtungen, die Zivildiener, der Bund, die Sozialversicherung, die Gesellschaft/allgemeine Bevölkerung, die Gemeinden, die Familie der Zivildienstleistenden und das AMS identifiziert.

Ergebnisse der Studie

Den Zivildiensteinrichtungen zufolge haben die 12.981 zugewiesenen, bzw. die 9.377 im Durchschnitt gleichzeitig eingesetzten, Zivildiener im Jahr 2010 hochgerechnet 12.934.032 Netto-Leistungsstunden (ohne Ausbildungszeit und Pausen) erbracht. Den Großteil dieser in den Bereichen Krankentransport und Rettungsdienst. Im Alternativszenario „kein Zivildienst“ würden die Zivildiensteinrichtungen ihren Angaben zu Folge durchschnittlich über alle Branchen hinweg die Leistungsstunden, die im Jahr 2010 von den Zivildienern erbracht wurden, auf 72% reduzieren.

Dies entspricht einer Reduktion um 3,6 Mio. Leistungsstunden. Die verbleibenden Leistungsstunden würden durchschnittlich über alle Branchen hinweg zu 85% durch neue hauptamtliche MitarbeiterInnen, zu 9% durch Mehrarbeit des bestehenden Personals und zu 6% durch neu akquirierte, d.h. zusätzliche ehrenamtliche MitarbeiterInnen, erbracht werden. Die damit in Zusammenhang stehenden Kosten und Wirkungen inklusive allfälliger Arbeitsmarkteffekte wurden in der Studie berücksichtigt.

Von einem Wegfall der Wehrpflicht und einer damit verbundenen Abschaffung des Zivildienstes würden - unter Berücksichtigung von Faktoren wie einem höheren Einkommen und höheren Sozialversicherungs- und Steuereinnahmen - die Zivildiener selbst, der Bund, die Sozialversicherungen (inkl. Mitarbeitervorsorgekasse), die Gemeinden und das AMS profitieren. Eine nähere Betrachtung macht jedoch deutlich, dass die Zivildiensteinrichtungen überwiegend direkt oder indirekt über die öffentliche Hand finanziert werden und somit zusätzliche Kosten, die bei einer Abschaffung für die Einrichtungen entstehen, zum Gutteil wieder von der öffentlichen Hand zu tragen wären. Dies führt dazu, dass Gemeinden ebenfalls negativ von einer Abschaffung betroffen wären. Bei den Sozialversicherungen und beim Bund würde der positive Effekt einer Abschaffung weiter bestehen bleiben, sich aber von der Effektgröße verringern. Die Hauptlast der höheren Kosten, im Zuge einer Abschaffung des Zivildienstes, würden jedoch die Länder zu tragen haben. Werden diese Kosten über den Finanzausgleich teilweise an den Bund weitergegeben, reduziert sich der Kostenvorteil des Bundes weiter.

Abgesehen vom rein ökonomischen Nutzen für unterschiedliche Stakeholder wurde auch ein persönlicher Nutzen des Zivildienstes für die Zivildiener erkennbar, der nicht in seinem vollen Umfang in der Studie monetär bewertet werden konnte. So hat sich der Zivildienst für die befragten Personen zu einem hohen Anteil positiv auf den Ausbau von Fähigkeiten und Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Belastbarkeit und Selbstmotivation ausgewirkt. Mehr als zwei Drittel der Zivildiener konnte ein (eher) besseres Verständnis und Einfühlungsvermögen für kranke und ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen entwickeln. Auch die Kommunikation und der Umgang mit benachteiligten Gruppen wurden positiv beeinflusst.

Die Mehrheit der befragten Zivildiener meinte, dass ihnen die durch den Zivildienst erworbenen Fähigkeiten in der Ausbildung bzw. im beruflichen Werdegang von Nutzen bzw. eher von Nutzen sein werden. Knapp ein Drittel gab an, sich durch den Zivildienst besser in die Gesellschaft integriert zu fühlen bzw. gebraucht zu werden.

Die erhöhte Kompetenz der (ehemaligen) Zivildiener im Sozial- und Gesundheitsbereich und das höhere Interesse und Verständnis für Probleme benachteiligter Gruppen ist von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Aufgrund fehlender Bewertungsmaßstäbe wurde diese Bedeutung in der Studie jedoch nicht monetarisiert. Hinsichtlich einer besseren gesellschaftlichen Integration konnten ebenfalls keine Monetarisierungen vorgenommen werden.

In Summe zeigt sich, dass der Zivildienst entsprechend seiner Form im Jahr 2010 für die Gesellschaft insgesamt vorteilhaft ist. Im Alternativszenario „kein Zivildienst“ zeigt sich im Gegensatz zum Szenario mit Zivildienst ein deutlich negativer Effekt aufgrund massiv reduzierter Leistungen. Eine durch die Abschaffung des Zivildienstes bedingte Reduktion der Leistungen/Wirkungen übersteigt die Kostenreduktion um etwa 140 Mio. Euro, wie in der Tabelle oben ersichtlich ist.

Für nähere Informationen stehen Ihnen die AutorInnen der Studie zur Verfügung: 

Dr. Christian Schober
Tel: + 43 1 313 36 / 5888
christian.schober@wu.ac.at

Mag.a Selma Sprajcer
Tel: + 43 1 313 36 / 5112
selma.sprajcer@wu.ac.at

Dr.in Doris Schober
Tel: + 43 1 313 36 / 4268
doris.schober@wu.ac.at