Mehr als nur ein Job: WU-Pilotstudie zu Arbeitsplatzgarantie ist ein voller Erfolg
Langzeitarbeitslosigkeit führt zu Einsamkeit und Resignation. Doch wie kann man ihr entkommen? Ein Forscher von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) hat einen innovativen Ansatz getestet: eine universelle Arbeitsplatzgarantie. Die Ergebnisse eines ersten Pilotprojekts sind vielversprechend.
Langanhaltende Arbeitslosigkeit schadet nicht nur den persönlichen Finanzen, sondern auch dem Wohlbefinden, der Gesundheit und dem Sozialleben. Das spürte auch der 60-jährige Werner V. aus Marienthal, einem Ortsteil von Gramatneusiedl: „Nach mehr als 600 Bewerbungen erwies sich mein Wunsch nach einer Beschäftigung als hoffnungslos. Zu alt, zu teuer, aufgrund meines Alters ohne langfristige Perspektive, scheinbar überqualifiziert für Dienstleistungsjobs …“
Wie so viele Arbeitslose wäre Werner V. vielleicht im Teufelskreis aus Hoffnungslosigkeit und Lethargie versunken – wenn da nicht das Forschungsprojekt von Maximilian Kasy und Lukas Lehner gewesen wäre: „Die Menschen wollen eine sinnvolle Arbeit zu einem fairen Lohn, und wenn wir ihnen dabei helfen, kommt dies uns allen zugute“, erklärt Lehner, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Oxford und am WU Forschungsinstitut Economics of Inequality.
Als Teil seiner Doktorarbeit an der Uni Oxford hat Lehner im Jahr 2020, gemeinsam mit dem AMS Niederösterreich und auf Initiative des damaligen Leiters Sven Hergovich, ein einmaliges Experiment gestartet: eine universelle Arbeitsplatzgarantie für alle Einwohner*innen des Ortes Marienthal. Einwohner*innen, die länger als 12 Monate arbeitslos sind, bekommen seither eine Garantie für einen sinnstiftenden und fair bezahlten Arbeitsplatz – völlig freiwillig und ohne Sanktionen.
Die Ergebnisse zeigen: Das Experiment ist ein voller Erfolg. Die Langzeitarbeitslosigkeit in Marienthal konnte völlig beseitigt werden und die Teilnehmer*innen gewannen nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern fühlten sich auch glücklicher und zufriedener. So wie der 60-jährige Werner V.: „Die Jobgarantie hat sich für mich als äußerst wertvoll und nützlich erwiesen. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Heimatmuseum archiviere und dokumentiere ich den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wert des historischen Ortes Marienthal.“
Marienthal: ein Stück Wissenschaftsgeschichte
Einen historischen Hintergrund hat auch die Auswahl des Ortes. Vor fast 100 Jahren wurde in Marienthal die erste empirische Sozialstudie durchgeführt, die sich mit den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Körper und Geist beschäftigte: „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von Marie Jahoda dokumentierte den Alltag der Bewohner*innen einer Industriesiedlung, die aufgrund der Schließung der zugehörigen Fabrik ihre Arbeit verloren hatten. Und zeigte, wie längere Beschäftigungslosigkeit zu Einsamkeit und innerer Resignation führt.
„Die demographische Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung entspricht in etwa dem niederösterreichischen Durchschnitt“, sagt Lukas Lehner, „aber die historische Bedeutung des Orts Marienthal hat für die Auswahl des Orts der Studie natürlich eine Rolle gespielt.“ Statt die Probleme durch Arbeitslosigkeit zu dokumentieren, ging es hier allerdings um das Gegenteil: zu zeigen, wie garantierte Beschäftigung sich auf betroffene Personen, die Gemeinschaft und die lokale Wirtschaft auswirkt.
Ein Gewinn für die Gemeinschaft
Die Teilnehmer*innen des Programms erhielten zu Beginn eine zweimonatige Vorbereitung mit Beratung und Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen. Anschließend wurden sie bei der Suche nach einem Arbeitsplatz unterstützt, konnten sich aber auch für die Schaffung eines neuen, subventionierten Arbeitsplatzes im Ort einsetzen – etwa in einer lokalen Schreinerei, in der Altenbetreuung oder in der örtlichen Schule. So kam die Arbeit der Teilnehmer*innen letztlich der ganzen Gemeinschaft zugute. Die Kosten dafür sind mit jenen vergleichbar, die durch die Arbeitslosigkeit selbst entstehen: Ein Jahr Arbeitslosigkeit kostet die österreichischen Steuerzahler*innen etwa 30.000 Euro, die Arbeitsplatzgarantie ist pro Teilnehmer*in auf einen ähnlichen Betrag budgetiert.
Und obwohl dieses Angebot auf Freiwilligkeit beruhte, konnte die Langzeitarbeitslosigkeit in Marienthal völlig beseitigt werden. Es führte aber auch zu einem starken Rückgang der Gesamtarbeitslosigkeit in der Gemeinde. Dieser Erfolg hat sich mittlerweile herumgesprochen: Im Juni 2023 stellte Lukas Lehner sein Projekt vor dem Europäischen Parlament vor, daraufhin vergab EU-Kommissar Nicolas Schmit eine Förderung von 23 Millionen Euro für weitere Pilotprojekte zu einer Arbeitsplatzgarantie.
„Langzeitarbeitslosigkeit hinterlässt Narben im Leben und schadet den Gemeinden“, resümiert Lukas Lehner, „doch die Arbeitsplatzgarantie in Marienthal zeigt, dass es möglich ist, diesen Schaden mit einer erschwinglichen, innovativen Sozialpolitik praktisch zu beseitigen.“
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen
Kasy, M. & Lehner, L. (2022). 'Employing the unemployed of Marienthal: Evaluation of a guaranteed job program'. INET Oxford Working Paper No. 2022-29.
Link zur Studie