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Das Verhältnis von Freiwilligenarbeit und bezahlter Arbeit

Freiwilliges Engagement spielt eine bedeutende gesellschaftliche Rolle. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die häufig mit Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand, einem angespannten Arbeitsmarkt sowie einer höheren Nachfrage nach sozialen Diensten verbunden sind, birgt die Forderung nach verstärktem freiwilligen Engagement jedoch auch Gefahren.

Auf individueller Ebene bestehen diese in einer unzureichenden sozialen Absicherung freiwillig Engagierter. Auf der Ebene der Organisationen kann ein großer Sparzwang dazu führen, dass der Druck auf Freiwillige und auf Hauptamtliche steigt und zu schlechten Arbeitsbedingungen oder sogar zur Substitution von Hauptamtlichen durch Freiwillige führt. Ein unmittelbarer Austausch zwischen Freiwilligen und bezahlten MitarbeiterInnen ist aufgrund der unterschiedlichen Ausprägungsformen (Stundenausmaß, Schaffung von Verbindlichkeit) sowie aufgrund gesetzlicher Regelungen (insbesondere Arbeitsrecht, Freiwilligengesetz) zwar nicht leicht, aus Forschung und Praxis zeigt sich jedoch, dass es einige Bereiche gibt, in denen diesbezügliche Bedenken besonders stark sind.

Die Substitution erfolgt oft nicht eins zu eins sondern durch Verlagerung von Tätigkeiten innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereichs. Auch wenn bislang nur sehr wenig empirische Forschung zu diesem Thema existiert, weisen einige Studien auf einen tatsächlichen Verdrängungseffekt von bezahlten ArbeitnehmerInnen durch Freiwillige hin, andere Studien konnten hingegen keine derartigen Effekte nachweisen (Brudney/Gazley 2002). Diese Verdrängung wird häufig mit Kostenersparnissen bzw. budgetären Erfordernissen begründet.

Ziel der vorliegenden Studie war es, potenzielle Verdrängungseffekte zwischen Hauptamtlichen und Freiwilligen zu eruieren und mögliche Erklärungsansätze zu finden. Dafür wurden einerseits bestehende quantitative Daten analysiert, andererseits wurden qualitative Erhebungen in Organisationen ausgewählter Bereiche durchgeführt.

Die quantitative Studie zeigte, dass Freiwilligenarbeit in österreichischen Nonprofit-Organisationen mit bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus eine wichtige Rolle spielt. So gaben 57% der befragten Organisationen für das Jahr 2014 an, dass sie auch Freiwillige einsetzten. Bei einer Reduktion des Samples auf Nonprofit-Organisationen erhöht sich der Wert auf 60%. Allerdings zeigt sich auch, dass die Organisationen sehr heterogen sind und die Bedeutung der Freiwilligenarbeit zwischen den einzelnen Organisationen unterschiedlich eingestuft werden muss. Aus dem Volumen der freiwilligen Mitarbeit in den Organisationen zeigt sich, dass das Verdrängungspotenzial zwar grundsätzlich gegeben ist, gleichzeitig aber auch nicht überbewertet werden darf.

Aus der Untersuchung der Längsschnittdaten ist ein relativ konstantes Bild im Einsatz von freiwilliger Mitarbeit zu sehen. Zwischen den Jahren 2006 und 2014 hat sich diesbezüglich in den Organisationen nur relativ wenig geändert. Dies deutet weder darauf hin, dass Freiwilligenarbeit aus Professionalisierungsnotwendigkeiten im Zeitverlauf verdrängt wird, noch, dass aufgrund von Sparnotwendigkeiten bezahlte Arbeit durch Freiwillige ersetzt wird. Gleichzeitig muss hier jedoch ergänzt werden, dass nicht klar ist, ob der beobachtete Zeitraum lang genug ist, um derartige Überlegungen auch empirisch zu finden.

In der multivariaten Untersuchung konnte mit dem erweiterten Datensatz das Ergebnis aus Bittschi et al. (2015) bestätigt werden. In Organisationen, die unter Wettbewerbsdruck stehen, ist die Rate der Personalabgänge höher, wenn auch Freiwillige tätig sind. In Organisationen ohne Wettbewerbsdruck zeigt sich das hingegen nicht. Auch das Verhältnis der Freiwilligen zu den bezahlten MitarbeiterInnen zeigt einen signifikant positiven Einfluss auf die Personalabgangsrate.

Dieses Ergebnis kann aus unterschiedlichen Überlegungen als ein Substitutionseffekt gedeutet werden. Für Organisationen, die unter Wettbewerbsdruck stehen, kann der Einsatz von Freiwilligen eine Möglichkeit sein, um ein gewünschtes qualitatives oder quantitatives Niveau an Dienstleistungen aufrechtzuhalten. Während der statistische Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Freiwilligen und der Personalabgangsrate aus dem Schätzmodell hervorgeht, bleiben die genauen Wirkungsmechanismen zwischen dem Einsatz von Freiwilligen und der Personalfluktuation unklar.

In Abstimmung mit den vorhandenen Sekundärdaten wurden drei Tätigkeitsbereiche ausgewählt, um die Hintergründe potenzieller Substitutionseffekte zu hinterfragen:

  1. Bereiche, für die künftig ein sehr großer Bedarf an Dienstleistungen erwartet wird: Langzeitpflege

  2. Soziale Bereiche, die finanziell tendenziell mit Schwierigkeiten kämpfen: Asyl-/Flüchtlingsbereich und Obdachlosenbereich

  3. Bereiche, in denen Freiwillige und Hauptamtliche gleiche oder ähnliche Aufgaben abdecken: SanitäterInnen, SachwalterInnen, Bewährungshilfe, Rechtsberatung

Die qualitative Analyse zeigt, dass Freiwilligenarbeit und Erwerbsarbeit sehr unterschiedliche Phänomene sind, sie lassen sich durchaus als Gegenpole beschreiben. Während mit Erwerbsarbeit Verbindlichkeit und damit auch Qualitätssicherheit in der Erbringung von Dienstleistungen hergestellt werden kann, dient Freiwilligenarbeit häufig dazu, persönliche Beziehungen zu pflegen. Wesentliches Kriterium ist hier die Freiwilligkeit und die Tatsache, dass die Tätigkeiten unbezahlt erbracht werden.

Im Rahmen der Interviews wurde dies auch in einen zeitlichen Bezug gebracht. In den letzten Jahrzehnten ist es im Sozial- und Gesundheitsbereich zu einer starken Professionalisierung gekommen, wodurch Arbeitsplätze entstanden sind. Dies kann als unmittelbare Folge der Entwicklung des Sozialstaates gesehen werden, der durch Bereitstellung der finanziellen Mittel, durch die Festlegung von rechtlichen Rahmenbedingungen und die Definition von Qualitätskriterien als Motor für diese Entwicklungen fungiert(e), wobei Freiwilligenorganisationen in diesem Prozess eine bedeutende Rolle spiel(t)en. Diese liegt einerseits darin, soziale und gesellschaftliche Probleme wahrzunehmen, aufzugreifen und Lösungsansätze zu entwickeln. Auch bei der Entwicklung der Dienstleistungen und der entsprechenden Qualitätskriterien und der Ausverhandlung der finanziellen Rahmenbedingungen spiel(t)en NPOs eine bedeutende Rolle.

Dass Freiwilligenarbeit auch in stark professionalisierten Organisationen eine bedeutende Rolle spielt, wird im Rahmen der Interviews in allen drei untersuchten Bereichen sehr stark damit begründet, dass es einen Gegenpol zur Professionalisierung braucht, um eine Brücke zur Gesellschaft zu bilden. Für die KlientInnen, KundInnen, BewohnerInnen etc. der Organisationen ermöglichen Freiwillige die Teilhabe an der Gesellschaft, die im Rahmen der professionellen Beziehung mit bezahlten Arbeitskräften in dieser Form nicht möglich ist. Für die Organisation bedeutet die Auseinandersetzung mit den Freiwilligen eine Möglichkeit, Feedback einzuholen. Freiwillige erhalten wiederum einen Einblick in Gesellschaftsbereiche, mit denen sie sonst wenige Berührungspunkte hätten und sind damit wichtige MeinungsträgerInnen und MultiplikatorInnen.

Freiwilligenarbeit und Erwerbsarbeit werden weitgehend als sich ergänzende Tätigkeiten beschrieben, allerdings gibt es auch Überschneidungen. Im Zuge der Gespräche zeigten sich einige Graubereiche: einzelne Beispiele belegen, dass Freiwilligenarbeit gelegentlich dazu dient, ein bestehendes Dienstleistungsangebot bei reduzierter oder wegfallender Finanzierung aufrechtzuerhalten bzw. einen höheren Bedarf ohne zusätzliche finanzielle Mittel abzudecken. Bei den Rettungsdiensten ist dies klarer Bestandteil des Konzepts zur kurzfristigen Deckung des Bedarfs bei Großeinsätzen. In geringem Umfang dient der Einsatz Freiwilliger auch der Einsparung von Personalkosten.

Freiwilligenarbeit bietet den Organisationen demnach einen gewissen Dispositionsspielraum, der es ihnen ermöglicht auf veränderte Rahmenbedingungen einzugehen. Insgesamt wurde das Potenzial von den befragten Personen aufgrund der zeitlichen Einschränkungen Freiwilliger und dem dadurch entstehenden organisatorischen Aufwand als gering eingeschätzt. Inwieweit dieser Dispositionsspielraum genutzt wird, hängt auch von der jeweiligen Mission, dem ideologischen Hintergrund und der Organisationskultur ab. Einige Organisationen sprechen sich gegen den Einsatz von Freiwilligen aus oder haben sehr klare Regelungen, in welchen Bereichen oder in welcher Form Freiwillige tätig sein können.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Freiwilligenarbeit wichtige Funktionen für die Nonprofit-Organisationen aber vor allem auch für die Gesellschaft erfüllt. Mit Unterstützung der Freiwilligen können Dienstleistungen in einer bestimmten Qualität bereitgestellt werden. Inwieweit diese Dienstleistungen von der öffentlichen Hand finanziert werden, ist eine Frage der Qualitätsstandards, die laufend ausverhandelt werden, und Nonprofit-Organisationen spielen in diesem Prozess eine wichtige Rolle. Inwieweit es zu Substitutions- und Verdrängungseffekten zwischen hauptamtlichen und freiwilligen Tätigkeiten kommt, ist eine Frage des Ausgangspunktes. Durch die beschriebenen laufenden Änderungen der Rahmenbedingungen (Änderungen des Angebots und der Nachfrage von Dienstleistungen, Professionalisierung etc.) läuft die Frage letztlich darauf hinaus, was finanzierbare Leistungen sind. Hier variieren die Strategien und Ansätze der einzelnen Organisationen. Es zeigt sich jedoch deutlich, dass das Potenzial von Freiwilligenarbeit, hauptamtliche MitarbeiterInnen zu ersetzen, begrenzt ist.

Kontakt
Mag.rer.soc.oec. Eva More-Hollerweger

Eva More-Hollerweger

Senior-Researcherin, Obfrau des NPO-Instituts (Verein)
Aufgaben: NPOs, Zivilgesellschaft, Freiwilligenarbeit, Evaluationen und strategisches Management.